Licht aus, Film ab
ErfolgsgeschichtenCinema im Ostertor: Deutschlands ältestes Programmkino wird 50
Das Bremer Cinema im Ostertor gilt als das älteste Programmkino in Deutschland. Eröffnet wurde es am 7. November 1969. Gefeiert wird das Jubiläum in diesem Monat mit besonderen Filmen, die in den letzten 50 Jahren hier auf der Leinwand gezeigt wurden. Das Kino war sogar mal selbst Bestandteil eines bekannten Films.
Papiertüte mit Süßem statt Popcorn
Popcorn sucht der Besucher hier vergeblich. Wer Kino mit Megatüten voll aufgepopptem Mais verbindet, ist im Bremer Cinema im Ostertor fehl am Platz. „Das war uns von Anfang an klar: Popcorn kommt uns nicht in die Tüte“, lacht Kinobetreiber Thomas Settje. „Das stinkt und macht Dreck.“ Auf Zuckriges müssen die Cineasten im Cinema dennoch nicht verzichten: An der Kasse gibt es eine kleine Auswahl unverpackter Süßigkeiten, die bunt gemischt in einer Papiertüte landen. „Außerdem bieten wir Cocktails und guten Wein im Café an“, sagt Settje.
Kino mit zahlreichen Auszeichnungen fürs Programm
Der 63-Jährige legt aber nicht nur bei den kulinarischen Genüssen in seinem Kino Wert auf Qualität, sondern vor allem beim Programm. Von der Bundesregierung gab es dafür schon 45 Auszeichnungen. „Die bekommen wir fast jedes Jahr“, sagt Settje fast nebenbei, der zusammen mit seiner Frau Helena und seiner Schwester Andrea seit Anfang der Jahrtausendwende das Kino mitten im Szeneviertel Bremens betreibt. Übernommen haben die Geschwister das Kino von ihrem Vater Gerd Settje, der es am 7. November 1969 zusammen mit Gleichgesinnten eröffnete. Das Cinema gilt mit seinen 50 Jahren als Deutschlands ältestes Programmkino. Gefeiert wird das Jubiläum im Geburtstagsmonat mit Filmen, die in den letzten 50 Jahren besonders erfolgreich liefen, so wie die Kultkomödie „Harold und Maude“ von 1971.
„Es gibt natürlich Kinos, die älter sind“, betont Thomas Settje. Dafür muss er gar nicht weit gehen: In der Schauburg, nur ein paar hundert Meter entfernt, wurden bereits 1929 Filme gezeigt. Es war damals das erste Filmtheater mit Ton, heute ist es das älteste noch bestehende Kino in der Hansestadt. Während die Schauburg inzwischen seit Jahrzehnten so wie das Cinema ein sogenanntes Filmkunsttheater ist, war sie das aber nicht immer.
Aller Anfang ist schwer: Autorenfilme kamen erst nicht gut an
Das Cinema widersetzte sich dagegen von Anfang an dem seichten Mainstream. Gezeigt wurden in den ersten Jahren anspruchsvolle Autorenfilme mit experimentellem Charakter: Sartre-Verfilmungen oder Titel des französischen Nouvelle Vague-Regisseurs Jean-Luc Godard. „Der Zeitgeist war in Bremen damals aber noch nicht bereit dafür. Der Anfang war schwierig“, erzählt Settje. Zu manchen Vorstellungen kamen nur eine Handvoll Menschen.
Erst Kammer-Lichtspiele, dann Cinema im Ostertor
Sein inzwischen verstorbener Vater hatte geahnt, dass es nicht leicht werden würde. Deshalb hatte er damals sechs Verbündete mit ins Boot geholt, um das Cinema im Ostertor zu betreiben. „Die glorreichen Sieben“ werden die Gründer heute noch in Anlehnung an den Westernklassiker aus dem Jahr 1960 genannt. Die finanzielle Last war so auf viele Schultern verteilt. Gerd Settje betrieb auch den bekannten Club „Lila Eule“, der übrigens ebenfalls heute noch existiert und nur wenige Schritte vom Cinema entfernt ist. In dem Club wurden freitags immer 16-mm-Filme gezeigt. Als dann die Betreiber der „Kammer-Lichtspiele“ verkaufen wollten, griff er zu. Das Cinema im Ostertor entstand in den Räumlichkeiten.
Mit den Studenten kam das Interesse für Arthouse-Filme
Mitte der 1970er Jahre kam dann doch noch der Erfolg. 1971 war in Bremen die Universität gegründet worden, mit ihr zogen Studierende nach Bremen, die offen waren für avantgardistische Filme. In den 1970er und 1980er Jahren etablierten sich bundesweit Programmkinos, um Filme abseits des Massengeschmacks zu zeigen. In der Arbeitsgemeinschaft Kino (AG Kino) schlossen sich die Betreiber zu einem Netzwerk zusammen, um gegenüber den Filmverleihern einen besseren Stand zu haben. „Wir haben uns das monatliche Programm sorgfältig überlegt, meist gab es einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den gezeigten Filmen.“, erzählt Thomas Settje. Vielen Besuchern von damals sind noch die „Langen Filmnächte“ in Erinnerung geblieben.
Mit Filmvorführungen das Taschengeld aufgebessert
Zusammen mit seiner jüngeren Schwester wuchs er mit dem Kino auf. „Ich hab‘ mir schon zu Schulzeiten mein Taschengeld damit aufgebessert, dass ich die Vorführungen gemacht habe.“ Das war damals noch eine mühselige Arbeit. Für einen Film wurden meist zwei Filmrollen benötigt. Wenn eine zu Ende war, musste die zweite passend gestartet werden. „Da war Feingefühl gefragt.“ Settje erinnert sich aber auch daran, dass sich manche Vorführer die Streifen auch so zusammenschnitten, dass es zeitlich für sie günstig war. „Manchmal wurden zwei, drei oder vier Minuten vom Film gekappt, damit der Vorführer im Anschluss an den Film noch die Straßenbahn bekam.“ Er versichert aber, dass kein Zuschauer damals etwas verpasste: „Das waren Szenen, die auch wegbleiben konnten.“ Heute sind die Filme längst digital. An die alten Zeiten erinnert im Foyer des Cinemas aber noch ein historischer Projektor.
Staatsministerin für Kultur fördert Programmkinos
Als dann in den 1990er Jahren immer mehr Multiplex-Kinos in Deutschland aufmachten, bekam das nicht zuletzt auch das Cinema zu spüren. Auch heute sei nach wie vor nicht einfach, sagt Settje. Im Gegensatz zu Kommunalkinos wie dem Bremer City 46 werden die Programmkinos meist privatwirtschaftlich oder von Vereinen betrieben. Um die kleineren und mittleren gewerblichen Filmkunstkinos zu unterstützen, vergibt das Staatsministerium für Kultur und Medien jedes Jahr einen Kinoprogrammpreis in Höhe von insgesamt 1,8 Millionen Euro. Nach Angaben des Lexikons der Filmbegriffe beträgt in Deutschland der Anteil der Arthouse-Kinos am gesamten Kinomarkt weniger als zehn Prozent. Inzwischen gucken viele Menschen auch viel Netflix & Co. zu Hause oder auf dem Rechner unterwegs.
Neue Kinosessel für den Komfort
Doch mit immer neuen Innovationen behaupten sich die Settjes in einem schwierigen Markt. Regelmäßig werden Regisseure eingeladen. Waren im Kinosaal früher 200 Plätze, sind es heute nur noch 120. „Die Leute hatten nach mehr Komfort gefragt“, sagt Thomas Settje. Vor einem Jahr wurden die roten Polsterstühle noch einmal erneuert. Der legendäre Kiosk im Foyer musste schon vor langer Zeit weichen. „Nach der Lockerung der Ladenöffnungszeiten hat er sich nicht mehr gelohnt.“ Dafür gehört heute mit der „Heldenbar“ eine angesagte Kneipe zum Cinema.
Cinema als Kulisse für Romanverfilmung
Im Jahr 2010 mussten Kino und Bar für ein paar Tage schließen. Denn das Cinema wurde selbst zur Filmkulisse. Für die Verfilmung des Romans „Neue Vahr Süd“ von Sven Regener versetzten Kulissenbauer die Fassade an dem denkmalgeschützten Haus in einen ähnlichen Zustand wie in den 1980er Jahren – die Zeit, in der der Film spielt. „Bei den Dreharbeiten kamen die Erinnerungen wieder hoch“, sagt Thomas Settje.
„Einfach ein Genuss“
Zum Stammpublikum des Cinemas gehören heute Menschen, die teilweise schon vor 50 Jahren hier ins Kino gingen. „Und jetzt kommen auch deren Kinder und Enkelkinder“, sagt Settje. Auch viele Studierende sind unter den Besuchern. Den Cineasten gefällt das Konzept: „So wünsche ich mir Kino. Hier gibt es Filme, die es nicht in die großen Kinopaläste schaffen und trotzdem richtig gut sind. Einfach ein Genuss“, schreibt ein Besucher auf einem Internetportal. Und das alles ganz ohne Popcorn.
Pressekontakt:
Andrea und Thomas Settje, Geschäftsführende, Telefon +49 (0)421 700 914, kino@cinema-ostertor.de.
Bildmaterial:
Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.
Foto 1: Zusammen mit seiner jüngeren Schwester Andrea wuchs Thomas Settje mit dem Kino auf. Ihr Vater Gerd Settje gründete 1969 zusammen mit sechs Verbündeten das Cinema im Ostertor, heute sind die beiden Geschwister Geschäftsführer. © WFB/Carmen Jaspersen
Foto 2: Thomas Settje steht an einem alten Projektor, der an die analogen Zeiten im Cinema im Ostertor erinnert. © WFB/Carmen Jaspersen
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