Wie eine Kaffeemaschine die Unternehmenskultur verändern kann
FachkräfteLeonard Heygster vom HAH Institut für Wohlbefinden zeigt, wie Organisationen mentale Gesundheit zur strategischen Stärke machen

Was hat eine Kaffeemaschine mit Unternehmenskultur zu tun? Und warum lohnt sich das Thema Wohlbefinden für Unternehmen nicht nur ethisch, sondern auch wirtschaftlich? Beim Stammtisch für Personalverantwortliche, den die WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH regelmäßig in Zusammenarbeit mit der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation organisiert, zeigte Leonard Gabriel Heygster, Gründer des HAH Instituts für Wohlbefinden und Host des Podcasts „humansarehappy“, wie Wohlbefinden wissenschaftlich verstanden und praktisch gefördert werden kann. Er erklärt, warum mentale Gesundheit* Teil der strategischen Unternehmensführung sein muss und wie Unternehmen mit kleinen, aber wirkungsvollen Maßnahmen ihre Kultur dahingehend gestalten können.
Herr Heygster, warum sollten sich Unternehmen mit dem Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden beschäftigen?
Heygster: Wirtschaftlich betrachtet ergibt es schlichtweg Sinn: Jeder Euro, den ein Unternehmen in mentale Gesundheit investiert, bringt laut einer Studie von Deloitte einen Return of Investment von 4 bis 5 Euro. 17,5 Prozent aller Krankschreibungen in Deutschland in 2023 gehen auf mentale Belastungen zurück – das sind 132 Millionen verpasste Arbeitstage und 17,2 Milliarden Euro volkswirtschaftlicher Schaden.
Darüber hinaus zeigen Studien, dass Mitarbeitende, die sich mit der Organisationskultur identifizieren, engagierter und produktiver arbeiten. Mehr als 30 Prozent des Unternehmenserfolgs hängen davon ab.
Aber es geht nicht nur um Zahlen. Es geht um persönliche, gesellschaftliche Folgen: 38 Prozent der Menschen mit mentalen Belastungen klagen über Schlafprobleme, 18 Prozent über schlechtere soziale Beziehungen – was übrigens der Nummer-Eins-Faktor für ein gelingendes Leben ist. 12 Prozent greifen häufiger zu gefährlichen Substanzen. Es ist nicht nur ein Business-Thema, sondern es geht um Menschen.
Was genau verstehen Sie unter dem Begriff „Wohlbefinden“?
Wissenschaftlich spricht man vom „subjektiven Wohlbefinden“. Dieses setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Glück auf der affektiven Ebene, also eine kurzfristige positive Emotion, die durch das Eintreten eines Ereignisses entsteht, das für einen werthaltig ist. Und auf der kognitiven Ebene gibt es die Zufriedenheit, das ist die langfristige bewusste Bewertung des Lebens. Wenn ich Sie fragen würde: Wie zufrieden sind Sie mit ihrem Job, mit der Familie, der Gesundheit, dem Geld? Da fangen Sie an nachzudenken und definieren so Ihren Level an Zufriedenheit.
Wenn man beides zusammennimmt, bekommt man ein umfassendes Bild vom subjektiven Wohlbefinden. Und genau das ist der zentrale Begriff in meiner Arbeit – auch weil er wissenschaftlich von der WHO anerkannt ist.
Wie unterstützen Sie Unternehmen dabei, Wohlbefinden zu fördern?
Am Anfang geht es darum, Klarheit bei den Begrifflichkeiten zu schaffen: Was bedeutet Wohlbefinden? Welche strukturellen Faktoren beeinflussen es? Dann schauen wir individuell: Will die Organisation ihre Mitarbeitenden empowern und ihren dazu Workshops und Schulungen anbieten? Oder will sie strukturelle Maßnahmen umsetzen? Wir entwickeln dann eine klare Roadmap mit Wegmarken, die individuell auf die Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten ist.
Wie kann der Return on Investment ganz konkret im Alltag aussehen?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn wir einen Workshop organisieren, in dem Mitarbeitende einfach mal gefragt werden, wie es ihnen geht – das sendet ein starkes Signal. Das wird wahrgenommen. Als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter fühle ich mich gesehen und meine Meinung ernst genommen.
So entsteht ein positiver Affekt im psychologischen Sinne. Und das wirkt sich auf die Motivation und die Identifikation mit dem Unternehmen aus. Vielleicht arbeitet man dann ein bisschen lieber, ein bisschen gewissenhafter. Und das zahlt sich langfristig aus: weniger Fluktuation, weniger Krankheitstage, geringere Kosten im Recruiting.
Wie gelingt es Unternehmen, Wohlbefinden langfristig zu verankern?
Man muss das Thema als Teil der strategischen Unternehmensführung verstehen. Wohlbefinden als Teil der Unternehmenskultur zu implementieren ist kein Sprint, sondern ein Marathon. Man kann intern zum Beispiel thematische Jahre definieren: Dieses Jahr ist dann das Jahr des sozialen Wohlbefindens im Unternehmen, nächstes Jahr liegt der Fokus auf das körperliche Wohlbefinden. Man organisiert regelmäßig Workshops, ergreift konkrete Maßnahmen und kommuniziert es in der Belegschaft. Dazu braucht man eine Roadmap. Anschließend ist es wichtig, zu evaluieren und dranzubleiben. Sonst ist es einfach nur heiße Luft.
Welche konkreten Maßnahmen können Unternehmen ergreifen, um Wohlbefinden strukturell zu fördern?
Das kommt immer darauf an, worauf man einzahlen möchte, also welches Bedürfnis man fördern möchte. Eine ganz einfache Maßnahme ist die Gestaltung der Arbeitswelt: Wie sieht es intern mit Begegnungsmöglichkeiten aus? Gibt es Orte, an denen sich Mitarbeitende zufällig treffen können? Zum Beispiel: Wenn das Unternehmen zwei Stockwerke hat, gibt es eine Kaffeemaschine nur auf einer Etage. Auf der anderen Etage befinden sich dann Wasserkocher und Teebeutel. Das heißt, man muss seine Etage verlassen, um an das Getränk seiner Wahl zu kommen. So begegnet man anderen Leuten und kommt ins Gespräch.

Man könnte auch eine Kaffeemaschine hinstellen, wo immer nur zwei Tassen drunter passen. Das heißt: Wer sich selbst einen Kaffee machen möchte, muss dann eine weitere Person fragen, ob sie auch einen Kaffee möchte. Das ist der Butler-Effekt und eine ganz bewusste Maßnahme, die das Bedürfnis nach positiver Beziehung fördert.
Ein anderes Thema sind Meetings. Die Kalender sind oft voll und man hat einen Termin nach dem anderen. Dazwischen sind keine Pausen eingeplant. Das ist Wahnsinn und absolut stressig. Warum kann man als Unternehmen nicht sagen: Unsere Meetings gehen bei uns grundsätzlich nur 25 oder 55 Minuten? So gewährleistet man zumindest Pausen zum Durchatmen zwischen den Terminen. Aber natürlich müssen die Führungskräfte in die Verantwortung genommen werden, damit sie sich auch daranhalten und es vorleben.
Ich kenne ein Unternehmen, in dem gewaltfreie Kommunikation Teil des Onboardings ist. Jede:r bekommt zu Beginn der Beschäftigung eine Schulung darüber, wie man bedürfnisorientiert und wertschätzend miteinander kommuniziert. Es ist ein einfacher, effektiver Einstieg und zeigt: Uns ist es wichtig, wie wir miteinander reden.
Welche Verantwortung hat dabei die Führungsebene?
Langfristig kann das Thema nur implementiert werden, wenn es von oben vorgelebt wird. Wenn Geschäftsführerinnen oder Geschäftsführer das Thema nicht ernst nehmen, kann man sich alle Maßnahmen sparen. Es geht wirklich nur über das Vorleben, über Haltung und nicht über Broschüren.
Und das fängt schon mit Kleinigkeiten an: Eine Führungskraft, die zeigt, dass nicht jede E-Mail sofort beantwortet werden muss. Dass man um 16 Uhr auch mal das Handy ausmachen kann.
Welche Rolle spielt die interne Kommunikation bei der langfristigen Implementierung von Wohlbefinden im Unternehmen?
Interne Kommunikation ist äußerst wichtig. Aber ich denke dabei nicht nur an interne Newsletter oder Intranet. Dies ist eine einseitige Form der Kommunikation: Die Organisation spricht, die Mitarbeitenden nehmen es auf.
Ich finde, wir sollten auch Orte wie die Kantine oder die Kaffeemaschine als Möglichkeiten der internen Kommunikation verstehen – da, wo Menschen zufällig zusammenkommen. In einer Organisation, die ich kenne, haben sie zum Beispiel auf den Tablett-Unterlagen in der Kantine nicht nur den Speiseplan gedruckt, sondern die „Gerüchteküche“. Da wurde mit Humor auf den Buschfunk reagiert, aber auch ganz bewusst Stellung bezogen. Das ist eine clevere Art der informellen Kommunikation.
Wie hat sich der Umgang mit Mental Health in den letzten Jahren verändert?
Ich glaube, es gibt heutzutage deutlich weniger Stigmatisierung. Da ist in vielen Fällen zwar noch Luft nach oben, aber im Grunde ist es weniger tabuisiert, über mentale Gesundheit zu sprechen. Im Gegenteil: Unternehmen, in denen das Thema aktiv gelebt wird, werden als attraktivere Arbeitgebende wahrgenommen.
Inzwischen gehört es bei vielen schon zur Grundausstattung: Man bekommt nicht nur ein Diensthandy, sondern auch Zugang zu einer Mental-Health-App. Und das ist gut so. Organisationen, die dies ernsthaft angehen, senden ein starkes Signal: Wir haben das Thema auf dem Schirm und nehmen euch ernst.
Sie haben bei Stammtisch für Personalverantwortliche der WFB referiert. Wie war die Erfahrung für Sie?
Ich fand die Kommunikation und die Koordination sehr wertschätzend und das ist nicht selbstverständlich. Ich finde es großartig, dass es dieses Angebot für Organisationen im Raum Bremen gibt – eine Plattform für Austausch, eine Bühne für wichtige Themen rund um die Arbeitswelt.
*Im Laufe des Interviews werden die Begriffe Wohlbefinden und mentale Gesundheit als Synonyme verwendet.
Stammtisch für Personalverantwortliche
Zum Stammtisch für Personalverantwortliche laden die Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation und die WFB Wirtschaftsförderung Bremen alle zwei bis drei Monate ein. Der Stammtisch ist eine Plattform, um sich über aktuelle Themen und Herausforderungen zu allen Aspekten des Personalwesens auszutauschen und Politik und Verwaltung wichtige Impulse mitzugeben, wie ansässige Firmen bei ihrer Personalakquise, -bindung und -entwicklung unterstützt werden können. Die Teilnahme ist kostenlos. Weitere Infos zum Veranstaltungsformat finden sich hier: https://www.fachkraefte-fuer-bremen.de/stammtisch-fuer-personalverantwortliche/
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