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7.7.2025 - Wolfgang Heumer

Lückenschluss im Datennetz

Wissenschaft

Bremer Wissenschaftler entwickeln Basis für die nächste Mobilfunk-Generation

Zwei Männer in einem Labor
Armin Dekorsy (links) und Carsten Bockelmann entwickeln Schlüsseltechnologien. © WFB/Hake

Mobiles Telefonieren bekommt eine neue Dimension. Neben Antennen werden künftig Drohnen, Flugzeuge, Ballone und Satelliten für die Übertragung digitaler Informationen genutzt. Die Universität Bremen setzt mit Partnern aus Wirtschaft und Wissenschaft Standards für den Mobilfunk der Zukunft. Das Ziel: Europa soll jederzeit unabhängigen Zugang zur digitalen Kommunikation haben.

Als das Ahrtal im Juli 2021 von einer Schlammlawine verwüstet wurde, herrschte Funkstille im Katastrophengebiet. Weil die Erd- und Wassermassen einen großen Teil der Antennen in der Region mit sich gerissen hatten, konnten Rettungs- und Hilfskräfte lange Zeit nicht per Smartphone miteinander kommunizieren. So etwas soll möglichst nicht wieder passieren: Künftig sollen in solchen Situationen Drohnen oder Flugzeuge aufsteigen und binnen kürzester Zeit im Luftraum den Zugang zu Internet und Telefonie ermöglichen. An der Forschung des kommenden Mobilfunkstandards 6G ist unter anderem auch die Universität Bremen beteiligt.

Ein dreidimensionales Funknetz ist nur eine von vielen grundlegenden Neuerungen in der sechsten Mobilfunk-Generation, die frühestens ab 2030 verfügbar sein wird. „6G wird die mobile Höchstleistungsdatentechnologie der Zukunft und unsere Kommunikation im kommenden Jahrzehnt noch einmal revolutionieren“, sagt Armin Dekorsy, Leiter des Fachbereichs Nachrichtentechnik an der Universität Bremen.

Mit 6G erreicht der Mobilfunk eine neue Dimension: Die vorherigen Generationen hatten die Kommunikation von Mensch zu Mensch (1G bis 3G) mittels Mobiltelefon und Laptop vorangetrieben, den schnellen Zugang zu Informationen geschaffen und erdumspannend soziale Netze gespannt (4G) sowie die Kommunikation zwischen Maschinen ermöglicht (5G). „Jetzt verknüpfen wir die digitale und die physische Welt ganz eng miteinander“, erklärt Dekorsy.

Konzept für ein dreidimensionales Funknetz

In bundesweiten Forschungsprojekten, darunter Open6Ghub, ist sein Team daran beteiligt, die Kerntechnologien für den späteren 6G-Standard zu erkunden. Die Bremer Wissenschaftler konzentrieren sich dabei darauf, die Grundlagen für die Infrastruktur zu schaffen. Denn um wirklich ununterbrochen und nahezu in Echtzeit Informationen in weitaus größeren Mengen als derzeit zu transportieren, sei ein absolut lückenloses Höchstleistungsnetz erforderlich.

Dekorsy und die Forschungsgruppenleiter Dr. Carsten Bockelmann und Dr. Dirk Wübben haben mit der Arbeitsgruppe Nachrichtentechnik das Konzept für ein dreidimensionales Sende- und Empfangsnetz aus terrestrischen Antennen, fliegenden Komponenten und erdnahen Satelliten entworfen. „Wir arbeiten im Projekt Open6GHub im Bereich der Grundlagenforschung an den technologischen Konzepten für ein solches Netz“, erläutert Dirk Wübben, „zum andern arbeiten wir in den Projekten 6G-TakeOff und 6G-Plattform anwendungsorientiert gemeinsam mit der Industrie daran, dass die Grundlagen in Produkte und Systeme umgesetzt werden können.“

Am Fallturm installierter Sender simuliert Minisatelliten

Wie das Mobilfunknetz der Zukunft aussehen kann, ist auf einer Wiese am Rande des Universitätsgelände zu sehen. Wenn sich Carsten Bockelmann dort mit seinem Smartphone nicht in die Funkzelle einer terrestrischen Antenne einloggen kann, übernimmt eine Sende- und Empfangseinheit in der Spitze des benachbarten 146 Meter hohen Fallturms die Datenübertragung. Normalerweise nutzt das Zentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation der Universität Bremen (ZARM) den Turm für Freifall-Experimente. „Für uns simuliert der von uns installierte Sender einen Minisatelliten, wie er künftig im 6G-Netz zum Einsatz kommt“, sagt Bockelmann.

Sollte sein Smartphone die Verbindung zum „Satelliten“ verlieren, schaltet sich am anderen Ende der Wiese ein autonom fahrendes Vehikel gewissermaßen als rollendes Relais in den gestörten Funkverkehr ein. „Und falls das immer noch nicht reicht, können wir mit Hilfe einer Drohne noch eine fliegende Basisstation starten“, erläutert Bockelmann. In der Realität sollen später auch noch Flugzeuge, Stratosphärengleiter oder Ballone zur lückenlosen Signalübermittlung bereitstehen.

Zwei Männer in einem Labor
Armin Dekorsy (l.) und Carsten Bockelmann arbeiten daran, Kommunikation in schwer zugängliche Regionen zu bringen. © WFB/Hake

Mit 6G entsteht eine völlig neue Mobilfunk-Generation

Was relativ einfach klingt, ist eine technologische Herausforderung: „Die Nutzung digitaler Daten wird in den nächsten Jahren einen noch viel größeren Umfang haben als heute“, betont Professor Dekorsy. Dafür sei eine sichere und zuverlässige Übertragung notwendig – und zwar überall. Die dafür erforderliche Hardware wird später einmal von der Industrie entwickelt, an der Universität Bremen und in Forschungsprojekten wie Open6GHub geht es um die Standards und Protokolle, die die Verbindungsfähigkeit der unterschiedlichen Systeme ermöglichen.

Die Entwicklung von 6G unterscheidet sich damit grundlegend von der Arbeit an der aktuellen fünften Generation: „Dort wurde die Übertragung via Satellit erst nachträglich in einer Fortschreibung des 5G-Standards integriert“, sagt Armin Dekorsy. Jetzt haben die Fachleute von Anfang an alle Übertragungswege einschließlich Drohnen, Flugzeugen, Ballonen und Satelliten im Blick.

Zuverlässige Datenkommunikation unverzichtbar für innovative Anwendungen

Warum der Schritt in den Luft- und Weltraum notwendig ist, wird am Beispiel autonomer Automobile deutlich: „Nur wenn diese Fahrzeuge jederzeit und in jeder Menge Daten untereinander austauschen können oder Daten von außen empfangen und nach außen senden können, wird komplett autonomes Fahren möglich sein“, sagt Carsten Bockelmann. Zudem werde es viele neue Anwendungen geben, für die es derzeit neben der Übertragungssicherheit auch am erforderlichen Datenvolumen und -geschwindigkeit mangelt.

Bockelmanns Forschungsgruppe arbeitet beispielsweise an einem „intelligenten Krankenwagen“. Das Fahrzeug erfasst die Gesundheitsdaten der erkrankten Person an Bord, kommuniziert mit dem Krankenhaus und ermöglicht bereits während der Fahrt eine Behandlung im ähnlichen Umfang wie in der Klinik. „Voraussetzung ist es, dass der Informationsaustausch zum Beispiel mit dem Krankenhaus ununterbrochen und schnell ist“, so Bockelmann.

Die nächste Mobilfunk-Generation öffnet zudem unter dem Aspekt der technologischen Souveränität eine neue Dimension: „Es geht auch um den unabhängigen Zugang Deutschlands und Europas zur Übertragung digitaler Daten.“ 5G konnte in Deutschland nur mithilfe der Netzwerktechnologien des chinesischen Herstellers Huawei realisiert werden. Und dass Mobilfunk auch in entlegenen Regionen zu empfangen ist, wäre ohne Tech-Milliardär Elons Musk und seine Starlink-Satelliten undenkbar. Mit Blick auf die aktuellen geopolitischen Entwicklungen sei zu erkennen, „dass darin gewisse Risiken für die Digitalisierung Europas stecken“, umschreibt Dekorsy das Problem. Um dem vorzubeugen, hat das Bundesforschungsministerium die deutsche Industrie frühzeitig in die Projekte 6G-TakeOff und 6G-Plattform eingebunden, so dass diese bereits parallel zu der Forschungsarbeit Konzepte entwickeln kann.

Enge Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft

Für Dekorsy gehört die enge Verknüpfung zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zum Selbstverständnis: Vor seinem Wechsel an die Universität war er in der Industrie tätig. Für die aktuellen Projekte hat er deshalb den schnellen Schulterschluss mit der Luft- und Raumfahrtindustrie gesucht, für die Bremen einer der wichtigsten Standorte ist. Die in der Hansestadt ansässigen Unternehmen OHB und Airbus können sich bereits während der Entwicklung der Standards mit der erforderlichen Satellitentechologie befassen. „Das ist angewandter Know-how-Transfer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft“, betont Dekorsy.

Augenscheinlich hat der Gedanke an einen unabhängigen Digitalnetz-Zugang für Europa in der Politik Früchte getragen. Aus Berlin kamen Signale, dass die neue Bundesregierung das 2021 gestartete Projekt nach dem ursprünglich geplanten Abschluss Ende 2025 fortsetzen will. Die Arbeitsgruppe Nachrichtentechnik hat sich daher schon darauf vorbereitet, weiter mit Hochdruck an der neuen Mobilfunk-Generation zur arbeiten. „Wenn alles so weiterläuft wie bisher, wird 6G voraussichtlich 2030 erstmalig verfügbar sein“, ist Dekorsy überzeugt.

Pressekontakt:

Dr. Carsten Bockelmann, Forschungsgruppenleiter im Arbeitsbereich Nachrichtentechnik der Universität Bremen, Tel.: +49 421 218 62386, E-Mail: bockelmann@ant.uni-bremen.de

Autor: Wolfgang Heumer

Bildmaterial: Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebe-nen Bildnachweises frei zum Abdruck.

Foto 1: Armin Dekorsy (links) und Carsten Bockelmann entwickeln Schlüsseltechnologien. ©WFB/Björn Hake

Foto 2: Armin Dekorsy (links) und Carsten Bockelmann arbeiten daran, Kommunikation in schwer zugäng-liche Regionen zu bringen. ©WFB/Björn Hake

Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz, herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförde-rung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Auto-renstücke, die von Journalistinnen und Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Redakti-onen den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen. Bei Fragen schreiben Sie einfach eine E-Mail an: pressedienst@bremen.de

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