Der Wespen-Versteher
PressedienstDer Bremer Biologe Volker Lohrmann ist ein weltweit gefragter Insektenforscher
Volker Lohrmann hat bereits 20 bis dahin unbekannte Wespen-Arten entdeckt. Der Kurator der Insekten-Abteilung im Übersee-Museum Bremen forscht zu fossilen und lebenden Insekten. Menschen für die Artenvielfalt zu begeistern, ist sein Antrieb. Dabei greift er auch zu ungewöhnlichen Mitteln.
Dr. Volker Lohrmann ist bewusst, dass die Wespe allgemein einen schlechten Ruf genießt. „Fast jeder Mensch kann von einem schmerzhaften Stich berichten“, sagt der Biologe. Das hört er auch immer wieder, wenn er Gäste durch die Insektensammlung des Übersee-Museums Bremen führt. Beharrlich versucht er dann, eine Lanze zu brechen für die Wespe. Und nicht nur für sie: auch für Ameisen, Mücken oder Spinnen. „Wenn man versteht, dass alle Lebewesen einen wichtigen Platz im Netzwerk des Lebens haben, sieht man die Wespe mit anderen Augen.“
Der 44-Jährige ist Kurator der Insektensammlung des Museums und ein ausgewiesener Experte für Wespen. 20 Arten hat er bereits entdeckt, die bis dahin der Wissenschaft nicht bekannt waren. „Ich habe in meiner Schublade bestimmt noch 20 bis 30 weitere unbeschriebene Wespenarten aus unterschiedlichen Teilen der Welt“, sagt er. Zum einen fehlt die Zeit, zum anderen oftmals weiteres, aber dringend notwendiges Vergleichsmaterial – obwohl allein die Museumssammlung 600.000 Insekten umfasst.
Neue Wespengattung entdeckt
Schlagzeilen machte 2024 seine Entdeckung einer neue Wespenart in einem 100 Millionen Jahre alten Bernstein aus Myanmar, die Volker Lohrmann zusammen mit anderen Forschenden machte. Der Fund war auch deshalb so besonders, weil er zu einer bislang unbekannten Insekten-Gattung gehört. Bis dahin war es dem Fachmann erst einmal gelungen, eine neue Gattung zu entdecken, die ebenfalls nur eine Art unter sich hat.
In diesem Fall hatte ein privater Sammler den Bernstein, in dem die winzige Plattwespe aus der Kreidezeit verewigt war, der Forschung zur Verfügung gestellt. Das ist nicht unüblich: Privatsammlerinnen und -sammler oder Museen stellen immer wieder Exemplare als Leihgabe für die Forschung des Bremer Wissenschaftlers zur Verfügung. Denn seine Expertise speziell für sogenannte Stechimmen, also Bienen, Wespen, Ameisen und Verwandte, hat sich längst in Fachkreisen herumgesprochen.
Lohrmanns Expertise ist weltweit gefragt
Das führte auch schon dazu, dass zwei Forscher aus Kalifornien eine neu entdeckte Wespenart nach Lohrmann benannten. Sie trägt seither den Namen „Eorhopalosoma lohrmanni“. Das kam so: Eine Fachzeitschrift, bei der die beiden Insektenforscher ihren Artikel über eine neue Wespenart zur Publikation eingereicht hatten, bat den Bremer, die Arbeit als sogenannter Reviewer fachlich zu prüfen. So etwas macht er regelmäßig. „Ich habe sehr umfassende Kommentare gemacht und gewisse Beobachtungen und Aussagen infrage gestellt“, sagt er. Es gebe Kolleginnen und Kollegen die auf solche Anmerkungen empfindlich reagieren, in dem Fall aber war es anders. „Sie waren dankbar für das Feedback und haben sich ihr Fossil daraufhin noch einmal genauer angeguckt.“ Tatsächlich kamen die beiden in Teilen zu anderen Interpretationen als zuvor. Dass sie die neue Art dann sogar nach ihm benannt haben, habe ihn sehr geehrt, sagt Volker Lohrmann.
Wie man Kinder für Insekten begeistert
Die Arbeit im Übersee-Museum sei für ihn ein „Riesenglücksgriff“. „Ich habe hier nicht nur die Möglichkeit, wissenschaftlich zu arbeiten, sondern kann auch im Rahmen von Vorträgen und Führungen die Ergebnisse kommunizieren.“ Er freue sich besonders, wenn er Kindern die Sammlung näher bringen dürfe. „Wenn ich ihnen die riesigen Käfer zeige und dann die großen, glänzenden Augen der Kindern sehe, geht mir das Herz auf“, sagt Lohrmann. Sie seien es schließlich, die die Welt von morgen gestalten.
Kinder für Insekten zu begeistern, gelinge auch auf andere Weise: Indem sie an der Namensgebung für eine neue Art beteiligt werden. „Es gibt noch ein, zwei Wespen in der Schublade, bei denen ich das gerne machen würde“, sagt Volker Lohrmann. Als er noch am Museum für Naturkunde in Berlin war, haben Besucherinnen und Besucher im Rahmen einer Nacht der Museen über den Namen einer Wespenart abstimmen dürfen. „Ampulex dementor“ heißt diese nun – nach der feindlichen Kreatur in „Harry Potter“.
Schon als Kind für die Natur interessiert
Volker Lohrmann interessierte sich als Kind schon für Insekten, aber nicht nur für sie. „Ich bin in einem Dorf aufgewachsen und habe alles gesammelt, was ich in der Natur gefunden habe: Vogelfedern, Vogeleierschalen, tote Vögel und getrocknete Insekten.“ Zu seinem zehnten Geburtstag schenkte ihm sein Vater, ein Hobby-Imker, ein Bienenvolk. „Da sind definitiv schon früh die Weichen gestellt worden“, sagt der Forscher. Mit elf Jahren habe er sein ganzes Taschengeld dafür ausgeben, einen auf der Straße tot aufgefundenen Mäusebussard präparieren zu lassen.
Dennoch studierte er zunächst Mathematik – und Biologie nur im Nebenfach. „Ich habe dann aber doch viel mehr Zeit in der Biologie verbracht und habe schließlich gewechselt.“ Das Interesse speziell an Insekten sei während des Hauptstudiums wieder geweckt worden. „Das, was ich jetzt mache, ist die Fortsetzung dessen, was ich als kleiner Junge schon gemacht habe, nur professioneller“, unterstreicht Lohrmann. „Das ist ein unglaubliches Privileg.“ Eine der ersten Wespenarten, die er entdeckt hat, hat er nach seinem Vater benannt.
Übersee-Museum hat europaweit einzigartige Sammlung
Seit 2013 arbeitet Lohrmann im Bremer Übersee-Museum. Die Insekten-Abteilung ist nur eine von vielen: Besucherinnen und Besucher können im Haus in die Kultur ferner Kontinente eintauchen und die europaweit einzigartige Sammlung von Natur-, Völker- und Handelskunde besichtigen. Erst vor kurzem wurde die neue Dauerausstellung „Der blaue Kontinent – Inseln im Pazifik“ eröffnet, die niedrigschwellig die Vielfalt, Pracht und Bedrohungen des pazifischen Raums zeigt. Auch aus dieser Region befinden sich Exemplare in der Insektensammlung.
Einer der Gründe, warum der Kurator auf die Vielfalt der Insekten aufmerksam machen möchte, ist das Massensterben der artenreichsten Tiergruppe der Erde. „Man kann nur das schützen, was man kennt“, unterstreicht er. Laut der „Krefelder Studie“ nahm zwischen 1989 und 2016 die Fluginsekten-Biomasse in Deutschland um 76 Prozent ab. Und es geht weiter mit dem Artensterben. „Solche Phänomene gab es zwar schon zu früheren Zeiten, der Treiber heute ist aber der Mensch“, so Lohrmann.
Ein Problem sei, dass gar nicht alle lebenden Insekten bekannt seien – und damit keine Kenntnis vorhanden ist, was alles ausstirbt und welche Funktionen damit wegfallen. „Wir wissen nicht, was das macht mit dem Ökosystem.“ Lohrmann vergleicht es gerne mit einem Kartenhaus. „Wenn man da eine kritische Karte zieht, dann bricht alles zusammen.“
Das Leben der Juwelwespe fasziniert
Deshalb will er auch das schlechte Image der Wespe verbessern. Dass Bienen wichtig sind, weil sie Pflanzen bestäuben und damit die Nahrungsgrundlage für viele Tiere und den Menschen sichern, wissen die meisten. Dass aber auch Wespen ihren Platz im Ökosystem haben, erklärt Lohrmann etwa am Beispiel der in den Tropen beheimaten Juwelwespe als Gegenspielerin der Kakerlake: Mit einem Stich in einen Bereich des Nervensystems der Schabe legt sie deren Fluchtinstinkt lahm. Die so willenlose Kakerlake führt die Wespe in ein Versteck. Dort legt die Wespe ein Ei an ein Bein der Kakerlake. Nachdem die Larve geschlüpft ist, frisst sie ihren Wirt bei lebendigem Leib von innen auf und verpuppt sich in der leeren Hülle der Kakerlake – bevor sie schließlich als Wespe schlüpft.
Ob er mit dieser an Aliens erinnernde Anekdote den schlechten Ruf der Wespe bei seinen Zuhörerinnen und Zuhörern beseitigen kann? „Zumindest ist das Interesse geweckt“, lacht Lohrmann.
Pressekontakt: Charlotte Altenmüller, Pressesprecherin Übersee-Museum, Tel.: +49 421 160 38 105, E-Mail: presse@uebersee-museum.de
Autorin: Janet Binder
Bildmaterial: Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.
Foto 1: Volker Lohrmann ist einer der gefragtesten Insektenkenner weltweit. ©WFB/Jens Lehmkühler
Foto 2: Das Übersee-Museum hat eine Sammlung von rund 600.000 Insekten. ©WFB/Jens Lehmkühler
Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet bereits seit Juli 2008 monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz, herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Autorenstücke, die von Journalistinnen und Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Redaktionen den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen. Bei Fragen schreiben Sie einfach eine E-Mail an: pressedienst@bremen.de
Erfolgsgeschichten
„Wurst Case“ als Best Practice
Leerstehende Immobilien gibt es immer wieder. Was auf den ersten Blick wie eine negative Begleiterscheinung städtischen Strukturwandels wirkt, kann sich als Chance für neue Ideen und Konzepte erweisen. Die Bremer ZwischenZeitZentrale zeigt auf, welche Möglichkeiten der Zwischennutzung es gibt. Bestes Beispiel: das „Wurst Case“ auf dem früheren Gelände der Fleischwarenfabrik Könecke.
Mehr erfahrenWasserscheue Windmühlenflügel
Regen, Sturm, Salz, UV-Strahlen: Rotorblätter von Offshore-Windenergieanlagen altern schnell. Das reduziert die Leistungsfähigkeit. Forschende der Fraunhofer-Institute in Bremerhaven und Bremen entwickeln zusammen mit Industriepartnern daher widerstandsfähige Beschichtungen und möglichst einfach zu handhabende Reparatursysteme.
Mehr erfahrenWie Start with a friend in Bremen echte Integration schafft
Wie sorgt man für gelebte Integration? Start with a friend hat darauf eine Antwort gefunden und ist zu einem Erfolgsmodell mit vielen Standorten in Deutschland geworden, auch in Bremen. Dabei musste die Initiative viele Wachstumherausforderungen überwinden - wie sie das schaffte.
Mehr erfahren