Von GenZ bis Boomer: Generationenvielfalt als wirtschaftlicher Erfolgsfaktor?
FachkräfteWie mit gezielter Altersdiversität die Potenziale altersgemischter Belegschaften gehoben werden
Wie können wir den Umgang mit dem Altern in der Arbeitswelt sinnvoll gestalten? Und woran erkenne ich überhaupt, dass es Handlungsbedarf gibt? Solche Fragen stehen im Zentrum, wenn Unternehmen sich mit Altersvielfalt und dem demografischen Wandel auseinandersetzen. In einer alternden Gesellschaft ergeben sich daraus handfeste Chancen – vorausgesetzt, sie werden strategisch genutzt.
Das wissen auch Sylvia Hütte-Ritterbusch und Valeska Schaaf, die in Bremen GOKA als Teil der Neopera Business Consulting GmbH gegründet haben – eine Strategieberatung mit Fokus auf Generationenvielfalt („Altersdiversität“) im Unternehmen. Darüber hinaus leiten die beiden seit 2021 das Forum Generationenmanagement beim ddn e.V. - dem Thinktank für den demografischen Wandel in Deutschland. Hier vernetzen sich bundesweit kleine und große Unternehmen, Institutionen und die öffentliche Verwaltung zum Thema Alter/n in der Arbeitswelt.

Frau Hütte-Ritterbusch, Frau Schaaf - welche Vorurteile begegnen Ihnen so bei ihrer Arbeit? Was werfen sich die verschiedenen Generationen vor?
Sylvia Hütte-Ritterbusch: Ageismus (Altersdiskriminierung) ist die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Alters. Er manifestiert sich in Vorurteilen, Stereotypen und diskriminierenden Handlungen, die Menschen aufgrund ihres Alters erfahren. Ageismus kann sich auf ältere Menschen, aber auch auf jüngere Menschen beziehen. Älteren Mitarbeitenden wird beispielsweise unterstellt sie seien unflexibel, wollen nichts mehr lernen, Digitalisierung ist ihnen ein Fremdwort.
Valeska Schaaf: Gleiches gibt es auch auf der anderen Seite: Die Jungen werden als Generation „Snowflake“ bezeichnet, die wollen nur Teilzeit und Sabbaticals machen, dabei aber viel Geld verdienen. Generationen-„Bashing“ gibt es in beide Richtungen. Deshalb betrachten wir auch das Thema Altersvielfalt als Ganzes.
Hütte-Ritterbusch: Bei uns geht es darum, die unterschiedlichen Perspektiven und Skills, die jede Altersgruppe mitbringt, ideal zu nutzen und ins Miteinander zu bringen. Und erstmal überhaupt ein Verständnis füreinander zu schaffen.
Woher stammen die Stereotype? Von Kolleg:innen oder Vorgesetzten?
Hütte-Ritterbusch: Stereotype können von Kolleg:innen wie auch Führungskräften gedacht werden und natürlich auch von uns selbst. Vieles geht dabei unterbewusst. Bei einem 50. Geburtstag zu wünschen „Du siehst ja super aus für dein Alter“ klingt erstmal harmlos, kann aber auch schon negativ empfunden werden und auch bereits eine „Micro-Aggression“ sein.
Ist das nur ein Thema der Unternehmenskultur oder spiegelt sich die Art, wie wir Junge und Alte behandeln im Betrieb auch wirtschaftlich wieder?
Hütte-Ritterbusch: Mit dem Thema „Alter“ umzugehen ist schon lange kein Nice-to-have mehr, sondern es geht dabei um knallharte wirtschaftliche Fakten:
Man weiß zum Beispiel, dass Ältere weniger häufig an Trainings teilnehmen, seltener befördert, schneller gefeuert werden oder mit Abfindungen entlassen werden. In einer alternden Gesellschaft befeuert das den Fachkräftemangel. Studien zufolge liegt das Fachkräftepotenzial von Personen zwischen 55 und 64 Jahren zwischen 600.000 und 1,1 Millionen, in dem man Ältere fördert und nicht vorschnell in Rente schickt.
Schaaf: Es gibt zudem Untersuchungen, die zeigen, dass die Zugehörigkeit in einer altersgemischten Gruppe die Arbeitsmotivation im Betrieb für alle steigert.

… und da sind wir noch nicht beim Thema Investments in die Arbeitskraft/Rekrutierungskosten.
Schaaf: Retention ist günstiger als Rekrutierung – wer Leute länger hält, muss weniger für Rekrutierung ausgeben. Ich muss also bessere Angebote schaffen für die, die da sind. Sowohl für die Jungen als auch alten Mitarbeitenden. Die Fluktuationsraten bei jungen Mitarbeitenden sind oft höher, da viele Junge auch gern nochmal woanders hinwollen. Rekrutiere ich jemand mit 40 bis 50 hat er oder sie vielleicht sehr viel Lust etwas zu bewirken, will aber keine Jobwechsel mehr. Diese Leute haben ja auch schon Netzwerke und kennen die Prozesse.
Jetzt sprechen wir doch mehr über die Alten und nicht die Jungen.
Hütte-Ritterbusch: Weil hier oft die Themen prävalenter sind. Das interessante aber ist: Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen von „Alter“ – das chronologische, das biologische, das Erfahrungsalter, das „gefühlte Alter“ oder wie die Forschung sagt das subjektive Alter. Die wirken sich auf unser Verhalten aber auch auf unsere Bedürfnisse aus.
Und auch Führungskräfte reagieren darauf: Wenn diese eine Mitarbeitenden „jünger“ als sein biologisches Alter einschätzen, wird dieser mehr gefördert und erhält andere Aufgaben und Projekte, haben Studien ergeben. Darum betrachten wir auch nicht nur die Alten oder die Jungen, sondern immer alle Altersgruppen. Das echte Alter kann eben ganz woanders liegen als das, was im Pass steht.
Wie finde ich im Unternehmen heraus, dass mir eine genauere Betrachtung des Alters Vorteile verschaffen kann?
Schaaf: Viele Unternehmen wissen das längst, wenn auch vielleicht unterbewusst: Denn in den kommenden Jahren werden bis zu einem Drittel der Belegschaft in Rente gehen. In manchen von uns beratenen Unternehmen sind das sogar fast 50 Prozent. Das erzeugt einen Druck, ob man will oder nicht.
Hütte-Ritterbusch: Als erstes gilt es, Daten zu gewinnen. Der reine Altersdurchschnitt der Belegschaft reicht nicht – man muss sich die Altersstruktur anschauen. Wie viele Mitarbeitende habe ich in welcher Altersgruppe? Weitere Daten kommen aus Mitarbeitendenbefragungen: Wie erleben unterschiedliche Altersgruppen Prozesse im Unternehmen? Haben sie unterschiedliche Bedürfnisse? Auch Fluktuationsraten und Krankenstände können viel über mögliche Baustellen aussagen. Mit der Neopera Business Consulting GmbH greifen wir direkt auf Know-how im Bereich Data Analytics zu. Die Unternehmen haben ihre Daten ja meist in verschiedenen Systemen und können mit ihrer HR-Software solche Analysen nicht durchführen. Sie liefern uns dann einfach Rohdaten zu.
Schaaf: Neben den Zahlen gibt es auch andere Screeningverfahren, mit denen man schnell die wichtigsten Themen abklappern kann, zum Beispiel über Selbsteinschätzungstools. Wenn Junge, Alte, Personalabteilung und Betriebsrat in einem Workshop mit uns zusammenkommen, kommt man schnell zum Punkt und guten Ergebnissen. Wir finden es sehr zielführend, wenn alle Beteiligten am Thema gleich dabei sind.
Was sind typische Maßnahmen, die daraus erwachsen?
Schaaf: Es gibt viele Möglichkeiten. Die Zielgruppe der erfahrenen Mitarbeitenden steht gerade bei vielen Betrieben im Fokus und wir führen dort beispielsweise Orientierungsseminare für diese Zielgruppe durch. Als 50-Jährige hat man ja noch 17 Jahre im Unternehmen – da kann man sich noch stark weiterentwickeln. Viele Ü50 haben das Gefühl, dass sie im Unternehmen nicht mehr gesehen werden und verlieren so Selbstbewusstsein und Motivation. Das kann man ändern.
Das ist dann Aufgabe der Führungskräfte.
Schaaf: Die Führungskräfte abzuholen ist zentral, gerade, wenn es darum geht, ein Bewusstsein für die Fähigkeiten von Älteren zu schaffen. Denn Führungskräfte wissen oft auch gar nicht, wie sie mit dem Thema umgehen sollen. Wie spricht man die eigenen Mitarbeitenden an, ohne ihnen auf die Füße zu treten nach dem Motto: „Du bist alt und musst jetzt was machen!“ Da braucht es Awareness. Die Durchführung von Führungskräfte-Lernreisen und auch Keynotes stehen daher oft auf unserer Agenda. Mitarbeitende müssen aber auch Eigenverantwortung übernehmen.
Welche weiteren Maßnahmen kommen Ihnen unter?
Hütte-Ritterbusch: Flexibilität (Ort, Zeit und Dauer der Arbeit) sind der entscheidende Stellhebel für die Unternehmen. Ein weiteres wichtiges Stichwort: Lebensphasenorientierte Personalarbeit. Familiengründung, Elternzeit, Krankheit, Pflege von den eigenen Eltern, Renteneintritt – es gibt viele Phasen bei 20- bis 60-Jährigen, die Betriebe künftig flexibler gestalten müssen, wenn sie Beschäftigte halten und langfristig motivieren wollen. Warum kann man als Führungskraft und Vater nicht den Sommer über 70 Prozent arbeiten, weil man mit den Kindern und Enkeln öfter ins Schwimmbad will? In Deutschland ist sowas häufig undenkbar, in anderen Ländern, ich habe mal in der Schweiz gearbeitet, kein Problem.
Schaaf: Ein anderes Beispiel: Rente. Wie beschäftige ich Leute aus der Rente? Wir regen zum Beispiel Rentenberatungen im Unternehmen an – da kommen nicht nur die Alten sondern auch die Jungen. Das führt zu einem Perspektivwechsel bei beiden Generationen. Schon allein, wenn es um die Transparenz geht: Wer geht wann? Das weiß oft nur das eigene Team, aber nicht andere Abteilungen. Da verpasst man leicht Momente, um mit den Mitarbeitenden in den Austausch zu kommen: Wie kann man Wissen sichern? Vielleicht gibt es ja auch Interesse, dass Beschäftigte länger arbeiten wollen? Es muss ja nicht dieselbe Stelle oder Aufgabe sein.
Das passt ja gut zu den Plänen der neuen Bundesregierung, die Senior:innen den steuerfreien Zuverdienst von bis zu 2.000 Euro ermöglichen will.
Hütte-Ritterbusch: 20,5 Prozent der Menschen in Deutschland zwischen 65 und 69 haben in 2023 gearbeitet. Die machen das nicht alle, weil sie müssen – ein großer Teil arbeitet, weil sie Wertschätzung und Teilhabe wollen, die geregelten Strukturen lieben und – jetzt kommt ein neuer Begriff – Generativität leben. Sie wollen der nächsten Generation etwas weitergeben. Das liegt in der Natur des Menschen. Es wäre schade, das nicht zu nutzen.
Schaaf: So etwas wirkt sich dann auch auf die Rekrutierung aus: Bisher sprechen Stellenausschreibungen vor allem Junge an. Aber auch Ältere zu gewinnen ist nicht nur aufgrund der Bindung und dem Know-how sinnvoll, denn auch die eigene Kundschaft wird ja älter. Man kann somit die Kundenperspektive besser einnehmen.

Haben Sie ein Beispiel für ein Unternehmen, was diese ganzen Prozesse vorbildlich angeht?
Schaaf: Ein Beispiel ist IKEA Deutschland. Dort haben wir mit Mitarbeitenden gemeinsam das Projekt AllGenerations gestartet, um Mitarbeitende in allen Lebensphasen gezielt zu fördern – etwa durch Rentenberatung, altersdiverses Recruiting oder Zeitwertkonten. Gemeinsam haben wir den Age-Diversity-Index (INRS) entwickelt, der die Vielfalt der Altersgruppen objektiv messbar macht.
Hütte-Ritterbusch: Das Ergebnis: IKEA konnte standortbezogen gezielte Maßnahmen ableiten – etwa zur Nachfolgeplanung oder für altersgemischte Teams. Die Kennzahlen schärfen den Blick für Altersdiversität als echten Erfolgsfaktor in der Personalstrategie.
IKEA ist ein großer Konzern mit entsprechendem Budget – lässt sich so etwas auch für den Mittelstand umsetzen?
Hütte-Ritterbusch: Ja klar. Altersvielfalt im Unternehmen benötigt kein großes Budget. Es geht zunächst darum, das Thema als Handlungsfeld zu erkennen. Wie kann ich das Miteinander von Jung und Alt im Unternehmen gezielt unterstützen? Bei einer Tischlerei konnten neben flexibleren Arbeits- und Projektbearbeitungen auch schon eine gemeinsame, kostenfreie Mittagspause für eine gutes Miteinander sorgen. In einer Finanzdienstleistungsunternehmen haben wir über die Sommermonate eine intergenerationelle Gärtneraktion durchgeführt. In einem Land- und Forstmaschinenbetrieb begleiten wir ein Buddy-Programm. Hier tauschen sich junge und erfahrene Mitarbeitende regelmäßig miteinander aus und lernen voneinander.
Wie sehen Sie die Aktivitäten in Bremen?
Schaaf: Ganz neu ist ja die Diversity-Förderung der Bremer Wirtschaftssenatorin und der BAB – Die Förderbank für Bremen und Bremerhaven. Das ist gerade für kleine Unternehmen eine große Chance, Prozesse anzustoßen. Durch die Förderung wird das Thema präsenter und natürlich einfacher zugänglich. Wir hätten da viele Ideen für kleine, umsetzbare Maßnahmen.
Hütte-Ritterbusch: Oft stecken die Personaler:innen, und nicht alle Betriebe haben eine eigene Personalabteilung, im operativen Tagesgeschäft fest und schaffen es nicht, zu den sogar kostenlosen Veranstaltungen zu kommen. Dabei gibt es hier in Bremen tolle Möglichkeiten. Der Stammtisch für Personalverantwortliche ist ein gutes Beispiel. Es werden arbeitsbezogene Themen „am Puls der Zeit“ vorgestellt und diskutiert. Wir haben uns sehr gefreut, dort Anfang des Jahres für das Thema Altersvielfalt und Generationenmanagement sensibilisieren zu können. Wir können nur empfehlen, sich dafür Zeit freizuräumen – es lohnt sich!
Vielen Dank für das Interview!
Stammtisch für Personalverantwortliche
Zum Stammtisch für Personalverantwortliche, in dessen Rahmen dieses Interview entstand, laden die Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation und die WFB Wirtschaftsförderung Bremen alle zwei bis drei Monate ein. Der Stammtisch ist eine Plattform, um sich über aktuelle Themen und Herausforderungen zu allen Aspekten des Personalwesens auszutauschen und Politik und Verwaltung wichtige Impulse mitzugeben, wie ansässige Firmen bei ihrer Personalakquise, -bindung und –entwicklung unterstützt werden können. Die Teilnahme ist kostenlos.
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