
Es ist eine Geschichte wie im Märchen: Aus einer unbekannten Mitarbeiterin eines Jugendradios in Bremen wird quasi über Nacht eine bekannte Moderatorin. Die junge Bremerin Anna Orlova startet gerade richtig durch.
Anna Orlova erinnert sich noch genau an den Moment, der ihr Leben verändern sollte. „Das war an einem Samstagmorgen im letzten Jahr“ erzählt die Moderatorin, die damals die Social-Media-Kanäle des Bremer Jugendradios „Bremen Next“ betreute. Sie war gerade aufgewacht, schaute auf ihr Handy und traute ihren Augen nicht. Der Facebook-Kanal von „Bremen Next“ – ein Format des öffentlich-rechtlichen Radiosenders Radio Bremen – hatte über Nacht eine Million Menschen erreicht. Der Facebook-Kanal hat gerade mal knapp 57.000 Abonnenten. Was war passiert?
Böhmermann teilte ein Video von Orlova: So fing es an
Zusammen mit ihren Kollegen begab sie sich auf Spurensuche und fand heraus: Fernsehmoderator Jan Böhmermann hatte ein Video von „Bremen next“, in dem Orlova lustige Fragen aus dem Internet beantwortet, auf Facebook geteilt. Offenbar hatte ihm gefallen, was er gesehen hatte. Später outete er sich öffentlich als ihr Fan.
30 Sekunden verändern ihr Leben
Das Video verbreitete sich schnell im Netz und machte Orlova quasi über Nacht zu einer kleinen Internetbekanntheit. So wurde auch der Berliner Bestsellerautor Sebastian Fitzek auf den Clip aufmerksam. Vor seiner Karriere als Schriftsteller arbeitete Fitzek als Chefredakteur und Programmdirektor bei mehreren Radiostationen. Schon nach 20, 30 Sekunden - so erzählte er es später dem Berliner Boulevardblatt „B.Z.“ – hatte er genug gesehen. Orlova sei „eine Kodderschnauze mit Engelsgesicht“, lobte er. Er war so begeistert von der jungen Bremerin, dass er per Handy eine Kurznachricht an den Programm-Chef des Berliner Radiosenders Jam FM schickte. Auch ihm gefiel der Humor der jungen Bremerin. Fitzeks Nachricht war somit der Startschuss für einen Karrieresprung: Orlova bekam ein Jobangebot vom privaten Radiosender Jam FM, sie ging nach Berlin, wurde Moderatorin mit einer eigenen täglichen Sendung.
Orlova nutzt Instragram & Co. für ihre eigene Marke
„In dem Video, das Böhmermann geteilt hat, habe ich dumme Fragen aus dem Internet vorgelesen und noch dümmere Antworten gegeben“, sagt die 28-Jährige und fügt hinzu: „Das ist das, was ich richtig gut kann.“ Weil das so ist, hat sie nicht nur inzwischen eine eigene Radiosendung. Bei Instagram hat sie 16.000 Abonnenten. Ihre lustigen Videos auf ihrem Kanal annajamfm sind von allem ein bisschen zu viel: zu schnell, zu schrill, zu quietschig. Orlova veralbert Schmink-Anleitungen im Internet (und verpasst dabei fast die Moderation ihrer Live-Sendung), gibt ungewöhnliche Beziehungstipps – zum Beispiel für das richtige Schlussmachen – oder versucht, ihre Kollegin Tatjana zu einem „richtigen Mann“ zu erziehen. „Schritt eins: dein Blick. Der muss richtig sein. Guck böse. Weniger lächeln. Noch weniger lächeln.“ Tatjana lächelt, zieht Grimassen - und schafft es nicht.
Sie spricht derb und ist unangepasst
Hinter dem Quatsch verbirgt sich eine Frau, die verstanden hat, dass Aufmerksamkeit die wichtigste Währung im Medienbetrieb ist. Die weiß, wie sie Instagram & Co. nutzt, um ihre eigene Marke zu pushen. Orlova spielt in ihren Videos mit Stereotypen und überzeichnet auf humoristische Weise ihre Eigenschaften, die manche an ihr nervig finden: ihre Stimme, ihre derbe Sprache und ihre unangepasste Art. Mal posiert sie perfekt gestylt, mal ungeschminkt, mal per Filter verzerrt. Sie flucht, zieht Grimassen und sagt, was sie will und wie sie es will.
Zielscheibe für Hass aus dem Netz
Wie viele erfolgreiche Frauen, die ihre Meinung laut und deutlich sagen, wird sie dafür nicht nur bewundert, sondern auch angefeindet. „Für viele bin ich eine laufende Zielscheibe, weil ich bin, wie ich bin, und mir nicht den Mund verbieten lasse“, sagt die Moderatorin. Gerade online seien es die Menschen nicht gewohnt, jemanden zu sehen, der sich nicht verstellt. Die Folge: beleidigende Kommentare. Sie kommen vor allem von Männern, die sich von der zierlichen Frau mit dem großen Selbstbewusstsein offenbar provoziert fühlen. Dass sie sich davon nicht einschüchtern lässt, könnte an dem dicken Fell liegen, das sie sich schon früh zulegen musste.
Orlova kam mit acht Jahren nach Deutschland
Orlova wurde im russischen Saratow an der Wolga geboren, mit acht Jahren kam sie zusammen mit ihrer alleinerziehenden Mutter nach Deutschland. Erste Station: eine Flüchtlingsunterkunft. Nach einigen Wochen ging es weiter in eine Notwohnung im Bremer Stadtteil Lesum. Dort ging sie auf eine evangelische Grundschule – als einzige Ausländerin. Sie fühlte sich an der Schule nicht wohl, wurde ausgegrenzt. Nach einigen Monaten zog sie mit ihrer Mutter in eine Wohnung im Stadtteil Kattenturm. „In Kattenturm kamen die anderen Kinder auch aus sozial schwachen Verhältnissen, alle hatten zu Hause die gleichen Probleme wie ich", erzählt Orlova. „Zum ersten Mal fühlte ich mich akzeptiert."
