Kulturzentrum Lagerhaus – kultureller Ideen-Schmelztiegel
TourismusInmitten der östlichen Vorstadt gibt es seit rund 40 Jahren einen Kulturbetrieb, der für Bremen eine zentrale Rolle spielt. Konzerte, Lesungen, Tanz- und Deutschkurse, ein Café, Ateliers und Proberäume werden hier Tag für Tag unter einem Dach vereint. Das Lagerhaus ist ein wahrer Schmelztiegel der Kulturen, davon konnte ich mich bei einem Rundgang überzeugen.
Donnerstagnachmittag im November. Ich betrete zum x-ten Mal in meinem Leben den gläsernen Eingangsbereich des Lagerhauses in der Schildstraße. Diesmal bin ich allerdings nicht privat hier. Ich bin mit Anselm Züghart verabredet, der das Kulturzentrum auf inhaltlicher Ebene leitet. Kurz darauf sitze ich auch schon bei ihm Büro in der zweiten Etage und er legt mir einen Zettel mit einer knappen Zusammenfassung des Lagerhauses vor: „Das Kulturzentrum Lagerhaus ist an 365 Tagen im Jahre für Gäste und Mitglieder geöffnet. Hier arbeiten 75 Menschen aus 26 Ländern. Wir bieten 5000 Kulturangebote im Jahr.“ Dann folgt eine Aufzählung der Veranstaltungen, die die kulturelle Vielfalt des Hauses deutlich macht. Alles teilt sich in die drei großen Bereiche der Kulturarbeit des Lagerhauses: Kultur, Migration und Ökologie.
Zurück zu den Anfängen
Inzwischen ist auch Bernd Scheda zu uns gestoßen. Er ist ebenfalls in der Geschäftsführung in verwaltender und baulicher Instanz tätig und wird mir von Anselm als ein „Gründungsfossil“ vorgestellt. Tatsächlich erfahre ich später, dass Bernd mit einer Gruppe Ende der 1970er Jahre das leer stehende Gebäude besetzte und sich schließlich ein Verein gründete, der das heutige Dach des Kulturzentrums darstellt. Hierunter haben sich einzelne Vereine angesiedelt, die für das vielfältige Angebot sorgen. Im kommenden Jahr soll das 40-jährige Bestehen groß gefeiert werden.
Bis in der Schildstraße ein kultureller Ballungsort entstehen konnte, diente das Gebäude, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts erbaut wurde, der Brema AG als Pack- und Lagerhaus. Das weiter vorne in der Straße gelegene Kontorhaus gehörte ebenso zur Firma wie das rückseitig gelegene Fabrikgebäude, das auch von der Weberstraße aus erreichbar ist. Hier waren die Metzgerei und Bäckerei des sogenannten Konsumvereins untergebracht.
Vom Dach aus durch alle Bereiche des Hauses
Bernd Scheda nimmt mich mit auf einen Rundgang durchs Haus. Zunächst steigen wir aufs Dach. Von der kleinen Plattform aus hat man einen Blick über die Dächer der östlichen Vorstadt. Bernd weißt mich auf zwei aufragende, silberne Abzüge hin und erzählt vom hauseigenen Blockheizkraftwerk, das sich im Keller befindet. Ökologie ist einer der wichtigen Bereiche, in die die Arbeit des Lagerhauses eingeteilt ist. „Es gab auch mal Ideen, die Dächer hier mit einer Photovoltaik-Anlage zu versorgen“, erzählt der gelernte Architekt. Er berichtet mir außerdem von der Regensammelstation, mit der hier im Haus die Toilettenspülung versorgt wird.
Nachdem wir uns einen Überblick vom Gebäude-Ensemble verschafft haben, steigen wir über eine schmale Dachleiter wieder nach unten und gelangen so ins Dachgeschoss auf Ebene 4, wo Unterrichts- und Schulungsräume für (Sprach-)Kurse allerlei Art zu finden sind. Migration sowie Bildung sind weitere wichtige Bereiche des Hauses. Die hier angesiedelten Vereine sorgen mit ihrer Arbeit und ihrem Angebot für interkulturellen Austausch, kulturelle Vielfalt sowie Förderung von Benachteiligten. In der Etage darunter gibt es weitere Lehrräume und einen Café-Raum, in dem regelmäßig Treffen stattfinden und Bilder wechselnder Künstlerinnen und Künstler ausgestellt werden.
Auf der vierten Geschosseben ist außerdem das Büro zweier Vereine angesiedelt, die sich mit dem Thema Ökologie beschäftigen. Den Raum möchte mir Bernd Scheda nicht vorenthalten und tatsächlich staune ich nicht schlecht über die riesige Rankpflanze, die sich über die Deckenbalken im Raum verbreitet hat und eine geradezu tropische Atmosphäre schafft. Wahrscheinlich ist sie ebenso alt wie das Kulturzentrum selbst.
In der Etage 3 befindet sich im kleineren Seitenflügel der Raum der Medien-Coop, in dem gerade ein Kurs stattfindet. Konzentrierte Stimmung liegt in der Luft, wir werfen nur einen kurzen Blick rein und schließen schnell wieder die Tür. Der Raum, mit einer kleinen Bar bestückt, dient auch abendlichen Veranstaltungen.
Tanz für alle, Kultur für alle
Auf der anderen Seite der Etage befindet sich das Tanzwerk. Hier steht alles im Zeichen der Bewegungskunst. Gerade finden keine Kurse statt und wir dürfen einen Blick in das wunderschöne Tanzstudio und die Umkleideräume werfen. Ich werde mit einem Programm versorgt und muss sagen: Das Motto „Tanz für alle“ spiegelt sich im Programm bestens wieder. Viele Projekte sind alters- und generationsübergreifend angelegt, die Räume sind wie auch der Rest des Lagerhauses barrierefrei erreichbar und die Spannweite der offenen Tanzkurse ist enorm.
Das „für alle“ spiegelt übrigens auch den generellen Ansatz des Lagerhauses wieder. Es begreift sich als lernendes Kulturzentrum, dessen Qualität stets auf dem selbstreflektierten Prüfstand steht. Auch die Integration im Arbeitsmarkt über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ist ein Teil des Konzepts.
Die Herzstücke des Hauses
Durch eine Hintertür gelangen Bernd und ich nun in ein bauliches Herzstück des Gebäudes, nämlich ins Glashaus. Es schmiegt sich in den Hinterhof zwischen Lagerhaus und dem rückseitigen Fabrikgebäude, in dem die Handwerks- und Ausbildungscooperative AUCOOP ansässig ist. Das Besondere an dem Konstrukt ist die Tatsache, dass das Gestänge fast ausschließlich verschraubt und nicht verschweißt ist. „Theoretisch könnte man das ganze Teil komplett auseinander bauen und an anderer Stelle wieder hochziehen“, erklärt Bernd. Das Glashaus ist ein Produkt jahrelanger Weiterentwicklung und ein Symbol für den Ideenreichtum und die vielen Visionen, die im Lagerhaus quasi zum guten Ton dazu gehören. Die Vorhaben sind so zahlreich, dass sie sich längst in unterschiedlichen Projekten über die Stadt verbreitet haben. Mit dem FLUT-Zelt ist das Lagerhaus jährlich auch Teil der Breminale, die Kulturstätte ist wichtiger Antrieb für den Bremer Karneval sowie Mehrheitseigner des Townside Hostels und es bespielt regelmäßig das Licht-und-Luft-Bad als Freiluft-Veranstaltungsort auf der Werderinsel.
Über eine Metalltreppe gelangen wir eine weitere Etage nach unten und betreten über einen Seiteneingang den Hauptveranstaltungssaal, der den Namen Kioto für „Kultur im Ostertor“ trägt. Hier laufen gerade die Vorbereitungen für das Konzert des deutschen Rappers Fatoni. Überall laufen Leute herum, ein Soundcheck wird durchgeführt und auf dem Boden sind Instrumente und Konzerttechnik gestapelt. Außerdem wird die Lichtanlage getestet, was für mich fotografisch ein dankbarer Moment ist :)
Wir verlassen den Saal durch den Haupteingang und stehen wieder im zentralen Treppenhaus. Bernd zeigt mir im Vorbeigehen immer wieder auf den überall im Haus ausgehängten Fluchtplänen, wo wir uns gerade befinden und wie sich der Aufbau der einzelnen Ebenen unterscheidet. Trotzdem verliere ich zwischendurch auch mal den Überblick und frage mich, in welcher Etage wir uns gerade befinden. Es bestätigt sich ein ums andere Mal das Gefühl, dass man sich bei all dem bunten Angebot im Haus hervorragend verlieren kann. Wer möchte, kann hier morgens eintreten und zum Beispiel an einem Tanzkurs teilnehmen und erst tief in der Nacht nach einer Lesung oder einem Konzert wieder herauskommen. Das Lagerhaus hat täglich bis zu 16 Stunden Betrieb.
Begegnungsstätte in ehemaliger Packstation
Zu guter Letzt betreten wir noch im Erdgeschoss das Café. Je nach Jahreszeit öffnet es um 18 oder 19 Uhr den gastronomischen Betrieb, es werden außerdem alle Werderspiele gezeigt, es kann gekickert werden und es gibt einen Raucherbereich, der optisch mit dem restlichen Gastraum verbunden ist. Da es bereits auf den Abend zugeht, ist schon alles vorbereitet. Es strömt gemütliches Licht durch den Raum. Ich kann mir gut vorstellen, wie sich später nach und nach die Tische füllen.
Bernd erzählt, dass sich hier im Raum noch vieles der ursprünglichen Nutzung erkennen lässt. Die bodentiefen großen Fenster zur Straße dienten einst als Ladeluken für die Fuhrwerke, ein kreisrundes abgedecktes Loch im Boden weißt auf eine alte Spindeltreppe hin, die Schächte für Lastenaufzüge sind noch zu erkennen. Da wo heute die Küche des Cafés eingerichtet ist, befand sich früher ein großer Kühlraum, was sich unschwer an den dicken Mauern im Türbereich erkennen lässt.
Unser Rundgang neigt sich dem Ende zu. Wir machen noch einen kurzen Halt in Bernds Büro auf der 1. Etage, wo ich noch einmal ein Modell des Gebäudekomplexes anschaue und Bernd mir Zeichnungen und Skizzen baulicher Visionen zeigt.
Schließlich verabschiede ich mich eine Etage höher noch von Anselm und der Mitarbeiterin Ronja Wiechern. Über die schmale Treppe gelange ich nach unten. Aus dem Kioto-Saal wummern noch immer Soundchecks, unten im gläsernen Eingangsbereich wird mir noch einmal die Vielfältigkeit des Hauses bewusst. Die vielen Plakate und Flyer zeugen von einer nie endenden kulturellen Welle, die sich vor vier Jahrzehnten vom Viertel aus über die Stadt ergoss. Ich bin gespannt, was das Lagerhaus in den nächsten 40 Jahre noch so auf Lager hat.
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