Vom Sperrgebiet zum dynamischen Quartier: die Bremer Überseestadt
ÜberseestadtMarketing für die Bremer Überseestadt – ein Gespräch mit den WFB-Projektleiterinnen Jana Altrock und Ariane Bohms
Auf einem ehemaligen Industriegelände im Westen Bremens, wo früher Kellogg´s seine Cornflakes produzierte, entsteht derzeit die Überseeinsel, ein neues Quartier mit Wohnungen, Freizeitangeboten, Raum für die gewerbliche Entwicklung und neuen Bildungsangeboten direkt an der Weser. Und dort, wo Kellogg´s das Getreide für seine Frühstücksflocken in einem riesigen Silo lagerte, eröffnete im August 2024 eines der wohl ungewöhnlichsten Hotels Deutschlands, das John & Will.
Die Überseeinsel ist ein außergewöhnliches Entwicklungsprojekt mitten in der Bremer Überseestadt. Damals Sperrgebiet, hat sie selbst seit Anfang der 2000er drastische Veränderungen durchlebt und sich zu einem lebendigen Ortsteil entwickelt. Im Auftrag der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation ist die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) für die Entwicklung der Infrastruktur, die Vermarktung von Grundstücken und die Ansiedlung von Unternehmen verantwortlich.
Darüber hinaus arbeitet die WFB Hand in Hand mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren vor Ort zusammen, um diesen Ortsteil mit Leben zu füllen und Bremerinnen und Bremer sowie Gäste der Stadt für die Überseestadt als Erlebnisstandort zu begeistern. Unsere Projektleiterinnen im Marketing für die Überseestadt, Jana Altrock und Ariane Bohms, verraten im Interview, welche Rolle die Überseestadt im Marketing spielt, wie sich die Vision im Laufe der Zeit verändert hat und was ihre Lieblingsorte sind.
Warum spielt die Überseestadt eine besondere Rolle im Marketing der WFB?
Jana Altrock: Hafenrevitalisierungsprojekte gibt es in verschiedenen Städten, aber die Überseestadt gehört mit 300 Hektar Fläche zu den größten in Europa. Das Besondere an der Überseestadt ist der Mix zwischen Alt und Neu, Tradition und Moderne. Man hat alte Schuppen und Speicher erhalten, revitalisiert, modernisiert, umfunktioniert und neue innovative Gebäude sind hinzugekommen. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gehen in dem neuen Quartier eine gelungene Allianz ein. Somit stellt die Überseestadt ein Vorzeigeprojekt für den Standort Bremen dar.
Ariane Bohms: Als ich Kind war hatte mein Vater beruflich mit dem Hafengebiet zu tun. Einmal durfte ich mit – das war aufregend, denn damals war es Sperrgebiet und man durfte es nicht betreten! Und jetzt ist hier ein großer, lebendiger Ortsteil entstanden, wo Menschen arbeiten, wohnen und ihre Freizeit verbringen. Das ist etwas ganz Besonderes.
Ursprünglich war das Gebiet fast ausschließlich als Gewerbestandort gedacht. Man hatte unglaublich viel Fläche zur Verfügung. Es gab noch einige historische Gebäude, Schuppen und Speicher, aber ein Großteil war Brachfläche. Und es gab natürlich noch eine Reihe von Bestandsunternehmen, die bis heute vor Ort geblieben sind. Auf der anderen Seite siedelten sich kreative und innovative Projekte und Unternehmen an und es entstanden moderne und energieeffiziente Gebäude. Hier treffen viele unterschiedliche Interessen und Nutzungen aufeinander, die sich aber auch gegenseitig bereichern können. Das Miteinander in Einklang zu bringen war sicher anfangs eine Herausforderung, aber bietet auch eine große Chance.
Wo liegen die Herausforderungen bei der Vermarktung eines derartigen Projektes?
Ariane Bohms: Anfangs standen knapp 120 Hektar Vermarktungsfläche zur Verfügung. Wir mussten erst einmal die Projektentwicklungsunternehmen, Investorinnen und Investoren ansprechen und ihnen verdeutlichen, warum sich eine Ansiedlung an diesem Standort lohnt. Unser Motto war „Ein Standort der Möglichkeiten“. Das Interesse war aus meiner Sicht gut und letztendlich haben sich vor allem regionale Projektentwickler:innen wie Justus Grosse, Zech Bau, Siedentopf und aktuell die Überseeinsel GmbH mit größeren Entwicklungsprojekten durchgesetzt.
Anfang der 2000er war das Marketing für die Überseestadt eine ganz neue Herausforderung für uns– da war erstmal die Frage: Was ist unsere Aufgabe? Wir mussten nicht nur unsere Kolleg:innen bei der Vermarktung der Flächen unterstützen, sondern erst einmal der Überseestadt ein Image verpassen und sie in Bremen bekannt machen. Wir mussten nicht nur Investorinnen und Investoren, sondern auch den Bremerinnen und Bremern erklären, dass wir einen neuen riesigen und kreativen Ortsteil entwickeln, wo früher ein Sperrgebiet war. Das war spannend, vor allem, weil viele Bremerinnen und Bremer dieses ehemalige Sperrgebiet eben gar nicht kannten und es am Anfang auch wenig zu zeigen gab. Wir haben vielmehr eine Vision verkauft.
Wie sah diese Vision damals aus und wie hat sie sich im Laufe der Jahre entwickelt?
Jana Altrock: Man wollte in der Überseestadt eine Mischnutzung etablieren: Hafenwirtschaft, Gewerbe, Immobilien aber auch Gastronomie, Freizeitangebote, Kultur. Die vorhandenen Betriebe der Industrie und Hafenwirtschaft sollten erhalten bleiben, Bestandsschutz genießen und Entwicklungsmöglichkeiten erhalten. Die brachliegenden Flächen galt es, mit neuen Nutzungen zu füllen. Auch Wohnbebauung fand im 2003 verabschiedeten Masterplan Berücksichtigung und wurde im Laufe der späteren Entwicklung zunehmend wichtiger. Anfang 2010 wurde der Überseestadt Marketingverein e. V. gegründet, mit dem wir natürlich sehr eng zusammenarbeiten und uns regelmäßig austauschen. Ziel des Marketingvereins war und ist es, durch touristisches Standortmarketing das Image und die Bekanntheit der Überseestadt zu fördern und die Kommunikation zwischen allen Beteiligten an einer zentralen Stelle zu bündeln sowie Marketinginstrumente und Veranstaltungen in der Überseestadt zu koordinieren. Inzwischen hat sich die Überseestadt zu einem lebendigen Quartier entwickelt und ist auch über die Grenzen hinaus bekannter geworden.
Gerade in den letzten Jahren haben wir festgestellt, dass sich die Überseestadt viel dynamischer entwickelt hat als erwartet. Der größte Teil der öffentlichen Flächen ist vermarktet und entwickelt worden. Durch die dynamische Entwicklung sind neue Herausforderungen und Schwerpunkte aufgekommen wie zum Beispiel die Verkehrs- und Mobilitätsentwicklung sowie öffentliche Nahversorgung. Damit einhergehend rücken andere Zielgruppen in den Fokus unserer Arbeit.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihren Marketingmaßnahmen und welche Zielgruppen sprechen Sie dabei vorrangig an?
Jana Altrock: Das hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Unsere heutigen Zielgruppen sind Bremerinnen und Bremer, junge Menschen, Gäste aber auch Bewohner:innen der Überseestadt – es haben dort nämlich in den letzten Jahren immer mehr Menschen ihr Zuhause gefunden. Projektentwicklungsunternehmen und Investierende spielen natürlich weiterhin eine Rolle, aber der Fokus liegt mittlerweile für uns auf den eben genannten Zielgruppen.
Heute geht es uns darum, die Überseestadt als Wohn- und Erlebnisquartier zu positionieren und die Attraktivität und die Erlebnisangebote des Standorts bekannter zu machen. Dabei sind wir im engen Austausch mit dem Überseestadt Marketingverein und arbeiten auch verstärkt mit weiteren Akteurinnen und Akteuren vor Ort zusammen – zum Beispiel Initiativen wie die Überseekirche oder das jetzt hier, Quartiersentwicklung Überseestadt von Kultur Vor Ort e. V.
Wie erreichen Sie diese Zielgruppen?
Ariane Bohms: Zu Beginn der Entwicklung war neben klassischer Pressearbeit, Printprodukten, Anzeigen und regionaler und überregionaler Investierendenwerbung, beispielsweise auf internationalen Immobilienmessen unter anderem unser Internetauftritt ein wichtiges Marketinginstrument. Unser Internetauftritt hat sich im Laufe der Zeit mit den Zielgruppen weiterentwickelt. Anfangs haben wir hauptsächlich Informationen für Projektentwickler:innen zusammengestellt. Inzwischen stellen wir dort alle Informationen zur Überseestadt gesammelt zur Verfügung – ob für Arbeitnehmende, Besucher:innen oder Bewohnerinnen und Bewohner. Wir beantworten alle möglichen relevanten Fragen: Was kann man alles in der Überseestadt machen? Wo können meine Kinder zur Schule gehen? Wo kann ich Sport treiben? Wer arbeitet dort und wo kann man überall wohnen? Da ist der regelmäßige und enge Austausch zum Marketingverein und den anderen Akteurinnen und Akteuren vor Ort essenziell, um diese Informationen aktuell zu halten.
Um die Dimensionen der Überseestadt besser begreifbar zu machen, haben wir bereits 2004 ein sieben Meter langes Überseestadt-Modell bauen lassen, das wir in regelmäßigen Abständen aktualisieren. Es ist sehr beeindruckend. Wer es sich ansehen möchte, findet es momentan im Hafenmuseum Bremen.
Jana Altrock: Außerdem ist die Überseestadt zusätzlich zu anderen Medien seit 2016 auf Facebook und Instagram präsent. Dort kommunizieren wir alle wichtigen Themen rund um die Überseestadt, ob Veranstaltungen, Bauprojekte, News, Neuansiedlungen. Hier können sich unsere Zielgruppen niedrigschwellig über die Überseestadt informieren.
Wir haben darüber hinaus drei Veranstaltungsformate zusammen mit dem Marketingverein entwickelt, die sich bewährt haben und die wir immer weiter ausgebaut haben: der maritime Familientag, der Tourentag Überseestadt und unser Weihnachtsmarkt HafenWiehnacht.
Der Tourentag eignet sich zum Beispiel wunderbar dafür, die thematische Vielfalt des Quartiers vorzustellen und auf interessante Hot-Spots aufmerksam zu machen. Er findet jedes Jahr im September statt. Zusammen mit dem Marketingverein bieten wir eine ganze Reihe an Führungen und Touren „kreuz und quer durchs Quartier“ an. Einige Touren haben wir schon seit mehreren Jahren im Programm, da sie sehr beliebt und immer schnell ausgebucht sind. Die Begehung der Überseeinsel ist hier ein gutes Beispiel. Interessierte können zusammen mit einem Guide dieses Zukunftsquartier und dessen Baustellen erkunden. Auch neue Führungen standen in diesem Jahr auf dem Programm, zum Beispiel die Besichtigung der Rolandmühle. Die Teilnehmenden bekamen bei dieser Führung exklusive Einblicke in die sonst nicht öffentlich zugängliche Produktionsstätte.
Auf dem Weihnachtsmarkt „HafenWiehnacht“ gibt es verschiedene Verkaufshütten, Gastronomiestände und ein kleines Bühnenprogramm. Besucher:innen aber auch Bewohnerinnen und Bewohner können hier zum Beispiel nach Feierabend einen Glühwein trinken. Wir versuchen, vor allem lokale Ausstellende aus der Überseestadt oder Walle einzubinden, die besondere, regionale und handgemachte Produkte vor Ort verkaufen.
Was sollte sich jemand, der die Überseestadt nicht kennt, unbedingt ansehen?
Ariane Bohms: Ich persönlich finde die Europahafenpromenade mit ihrem inzwischen recht vielfältigen gastronomischen Angebot ganz toll. Einfach dort in der Sonne sitzen, auf das Wasser und die Marina gucken und einen Kaffee trinken, das mag ich sehr. Auch am Holz- und Fabrikenhafen auf den Treppen bei der Feuerwache kann man wunderschöne Sonnenuntergänge und eine ganz besondere Stimmung genießen. Das gefällt mir sehr!
Jana Altrock: Mit einer Gruppe lohnt sich das Schwarzlichtminigolf oder der Hafenrummel, dort kann man im historischen Hafenambiente Jahrmarktspiele spielen, das ist mal etwas ganz Außergewöhnliches. Besonders toll finde ich den Strandpark Waller Sand, da kann man gut spazieren gehen, hat eine wunderschöne Aussicht auf den Molenturm und bekommt Kurzurlaubfeeling. Es ist einer meiner persönlichen Lieblingsorte. Ansonsten lohnt sich ein Besuch des Lloyd Caffees mit Hafenflair und leckerem Kaffee.
Vielen Dank für das Gespräch!
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