Geschichte trifft auf Natur – auf den Spuren der Torfbauern
TourismusTorfkahnfahrten verbinden Bremer Historie mit Nachhaltigkeit und Inklusion
Es ist ein durchwachsener Morgen mit typischem Bremer Frühlingswetter. Sonne und Regen wechseln sich ab, doch davon lassen sich Torfkahnfahrten-Leiter Ullrich Mickan und seine Torfschipper nicht beirren. „Wir fahren bei jedem Wetter“, sagt er und bereitet mit Torfkahnfahrer Horst Ellinghausen den Kahn für die Abfahrt vor. Gerade einmal einen guten Kilometer vom Bremer Hauptbahnhof entfernt befindet sich angrenzend an den beliebten Bürgerpark der Torfhafen in Findorff. Hier kamen einst 300 Kähne am Tag mit Torfblöcken aus dem Teufelsmoor in Bremen an, um diese als Heizmittel an die Bevölkerung zu verkaufen. Für einen bleibenden Eindruck dieser längst vergessenen Zeiten sorgen heute originalgetreue Nachbauten der Torfkähne mit Namen wie „Jan von Moor“, die von Findorff aus zu ihren Rundfahrten aufbrechen. Schnell noch ein Sitzkissen und eine Decke geschnappt, schon geht es los.
„Wie im Amazonas“
Die Kähne treiben ruhig auf dem Wasser, auf ihrer Tour entlang am Bürgerpark. Es dauert nur ein paar Minuten, da hat man bereits vergessen, dass man sich in der Großstadt befindet und genießt den ungetrübten Blick in die Natur. Vor allem Auswärtige seien immer wieder erstaunt über das malerische Kleinod, das nur einen Katzensprung von anderen touristischen Sehenswürdigkeiten in Bremen entfernt ist. „Sie gehen gerade einmal ein paar Hundert Meter zu Fuß vom Hauptbahnhof und befinden sich mitten in der Natur, diese Nähe zwischen beidem ist einmalig“, sagt Ullrich Mickan. Eine idyllische Wasserroute, die mitten in der Stadt beginnt und weiter an malerischen Landschaften vorbeiführt – das wissen auch die Passagiere zu schätzen. „Ein Gast sagte mal mit Blick auf die Kleine Wümme: Das ist wie im Amazonas“, berichtet Mickan. „Viele, die in Bremen eine Stadttour machen, nutzen die Fahrt zum Relaxen.“
Die Flotte der Torfkähne Bremen umfasst sechs Kähne mit jeweils 16 Sitzplätzen, mehr als 80 Fahrten für diese Saison sind bereits fest gebucht. Rund 40 Prozent der Gäste seien klassische Touristinnen und Touristen, der Rest Buten- und Binnenbremer:innen. Es gibt verschiedene Angebote für unterschiedliche Zielgruppen: Eine gemütliche Fahrt mit Kaffee und Kuchen als Abwechslung zum trubeligen Sightseeing, eine Fahrt ins Grüne, eine romantische Moorlichterfahrt mit dem Partner oder der Partnerin in einem Lampion-geschmückten Kahn, eine Fahrt mit gastronomischem Halt oder auch eine Junggesell:innen-Abschiedstour.
Im September sind außerdem musikalische Lesungen auf dem Torfkahn sowie eine Barockmusiknacht entlang der Torfkanäle geplant. Am beliebtesten seien Gruppenfahrten, zum Geburtstag mit der Familie oder ein Betriebsausflug. Auf Wunsch der Gäste gibt es seit Kurzem auch eine „Stille Fahrt“: Auf der rund anderthalbstündigen Tour wird nicht gesprochen, „einfach Pause machen – schweigen, gucken und genießen“, wie Mickan sagt. „Die Zeit, in der wir leben, ist hektisch, da braucht man solche Auszeiten.“ Die Torfkahnfahrten können direkt über die Internetseite der Torfkähne Bremen gebucht werden.
Lebendige Geschichte
Geschichte trifft auf Natur, so lasse sich das Konzept am besten zusammenfassen, sagt Mickan. Denn auf den Torfkahnfahrten sollen die Gäste zum einen etwas über die Natur erfahren, aber auch Wissenswertes über die Historie der Torfkähne. 16 sachkundige Kahnführer:innen berichten den Passagier:innen aus der Zeit der Moorkolonisierung. Denn wo Naturfreundinnen und -freunde heute wunderschöne Landschaften auf dem Wasser genießen können, mussten vor vielen Jahren Torfschiffer auf den oftmals tagelangen Fahrten den Unterhalt für sich und ihre Familien sichern. Im 17. und 18. Jahrhundert bevölkerten erste Siedler das nördlich von Bremen gelegene, unwegsame Teufelsmoor. Für die Moorbewohner:innen war der Abbau des Torfs die wichtigste Einnahmequelle – Bremen wiederum war auf den Torf als Heizmittel angewiesen.
Ullrich Mickan und den ehrenamtlichen Torfkahnfahrer:innen ist es ein wichtiges Anliegen, diese Geschichte lebendig zu halten. Die Torfkahnfahrten sind für sie ein Herzensprojekt. Auch deshalb beteiligen sie sich aktiv im Arbeitskreis „Kulturelles Erbe“, der von der Abteilung Bremen Tourismus der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH initiiert wurde. „Die Torfkähne sind auf einer ganz anderen Ebene ein kulturelles Erbe: Dass in Bremen damals nur mithilfe der Torfkähne geheizt werden konnte, ist eine Besonderheit“, sagt Mickan.
Mit Unterstützung der WFB passenden Träger gefunden
Ullrich Mickan ist heute so etwas wie der Projektleiter der Torfkähne Bremen. Und Experte auf dem Gebiet, wenn es darum geht, Geschichten lebendig werden zu lassen: Mickan hat seinerzeit auch das Konzept für das Bremer Geschichtenhaus entwickelt, übernahm 2007 im Auftrag des Vereins bras e.V. die Leitung für die Findorffer Torfkähne und machte sie zur Tourismusattraktion. Nach zehn Jahren als Betriebsleiter verabschiedete er sich in den Ruhestand, heuerte auf der kanarischen Insel La Gomera an und organisierte naturnahe Exkursionen. Als er 2022 von seiner Nachfolgerin Sara Fruchtmann im Bremer Geschichtenhaus hörte, dass die Kähne verkauft werden sollten, stand für ihn fest: „Das touristische Angebot der Torfkahnfahrten muss weitergehen.“ Doch wie? „Ein fehlender Träger war das größte Problem“, berichtet Mickan. Hier konnte die Wirtschaftsförderung Bremen unterstützen: Sie brachte ihn schließlich mit der Stiftung Maribondo de Floresta zusammen, die sich für die Förderung von Menschen mit Behinderung einsetzt und in Bremen mehrere Sozialprojekte, Cafés und Lebensmittelmärkte betreibt, in denen Menschen mit körperlichen oder psychischen Handicaps arbeiten.
Als Inklusionsbetrieb beschäftigen die Torfkähne Bremen drei schwerbehinderte Mitarbeiter:innen, die bei der Pflege der Torfkähne und der Betreuung der Gäste unterstützen. Ebenso werden Gästen mit Behinderungen die Fahrten mit dem Torfkahn ermöglicht, ein Alleinstellungsmerkmal im deutschen Outdoortourismus: So gibt es beispielsweise einen Personen-Lift, mit dem gehbehinderte Menschen vom Rollstuhl in die Kähne gebracht werden können. Zudem gibt es eine barrierefreie Toilette am Torfhafen. „Wir sind inzwischen Dank des Engagements der Stadt Bremen ein barrierefreier Ort“, sagt Ullrich Mickan. Die Idee, die Torfkähne als Integrationsprojekt aufzustellen, hat dem touristischen Angebot neuen Schwung verliehen. Und Mickan und seine Mitstreiter:innen haben noch viele Ideen im Kopf, die sie gerne künftig umsetzen möchten. Für Menschen mit Beeinträchtigungen beim Sehen, Hören oder Laufen sollen besondere Programme und Touren entwickelt werden. „Außerdem träume ich davon, dass sehbeeinträchtigte Menschen als Guide mitfahren und Gäste diese Fahrt mit verbundenen Augen aus ihrer Sicht erleben können“, verrät Mickan. Mit dem großen Fokus auf das Thema Barrierefreiheit ist das touristische Angebot bremenweiter Vorreiter.
Nachhaltigkeit und Naturverträglichkeit im Fokus
Und die Torfkahnfahrten können noch mit einem weiteren Alleinstellungsmerkmal punkten: Die Kähne werden ausschließlich mit Elektromotoren betrieben. Denn das Thema Nachhaltigkeit spielt für Ullrich Mickan und seine Mitstreiter:innen eine große Rolle. Auf der Fahrt vom Findorffhafen über die Kleine Wümme gebe es viele Vogelarten, die nicht vertrieben werden sollen. „Ökologisch macht es nur Sinn, wenn wir mit E-Motoren fahren“, sagt Mickan. Es geht um den Schutz der Biodiversität: „Wir fahren durch die Natur, beeinträchtigen sie aber nicht.“ Da viele Gäste vorab nicht wissen, dass die Kähne flüsterleise und elektrisch fahren, nimmt Mickan sie zu Beginn der Fahrt gerne mal auf die Schippe: „Wenn Sie den Motor nicht mehr hören, schnappen Sie sich die Paddel“, sagt er und lacht. „Mit unserem Ansatz sind wir sehr zeitgemäß“, sagt Mickan. „Natur-Tourismus ist laut Umfragen derzeit das am meisten gesuchte Angebotsspektrum, da passen wir perfekt rein.“
Erfolgsgeschichten
Seit 2018 setzen die Themenjahre in Bremen innovative Impulse für Stadtmarketing und regionale Wirtschaftsförderung. Sie stärken den Tourismus in der Hansestadt und fördern vielseitige Kooperationen. WFB-Projektleiterin Kristina Brandstädter weiß, was das Bremer Modell erfolgreich macht und welche Ansätze andere Städte nutzen können.
Mehr erfahrenIn der neuen Episode unseres Podcasts geht es um den Werder Bremen-Faktor: Das Verhältnis von Fußball, Sport und Wirtschaft in Bremen. Mit dem Vorsitzender der Werder-Geschäftsführung Klaus Filbry und WFB-Geschäftsführer Oliver Rau.
zum PodcastBremen gehört seit Anfang November 2024 offiziell als Street Art City zu den exklusiven Partner:innen der international agierenden „Street Art Cities“-App.
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