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7.12.2016 - Günther Hörbst

Digitalisierung in der Logistik: Die Revolution hat gerade erst begonnen

Maritime Wirtschaft und Logistik

Warum ein Grundsatz aus dem Jahr 1965 die Zukunft von Geschäftsmodellen beschreibt

Computer und IT wird in Unternehmen der Logistik seit Jahrzehnten eingesetzt. Warum sprechen wir erst jetzt von den radikalen Veränderungen, die durch die Digitalisierung entstehen? Günther Hörbst, Geschäftsführer der Via Bremen Foundation, erklärt in seinem Gastbeitrag, warum die Digitalisierung uns jetzt lawinenartig erfasst.


Das Wort Logistik wird heute kaum noch in den Mund genommen, ohne es wahlweise mit den Begriffen „3D-Druck“, „Industrie 4.0“, „Internet der Dinge“, „Big Data“, „Cloud“ oder gleich mit einer Kombination davon zu verbinden. Meist heißt es dann in den Ausführungen, dass diese neuen technologischen Möglichkeiten eine noch nie dagewesene Flexibilität in der Produktion schaffen werden. Es wird dadurch möglich werden, einen vielfach höheren Grad an Komplexitäten zu beherrschen sowie gleichzeitig die Fehlerquote – etwa durch Datenbrillen des Bremer Start-ups Ubimax – in der Produktion und im Kontraktgeschäft deutlich zu reduzieren. Außerdem werden künftig Maschinen intensiv mit Maschinen kommunizieren und voneinander lernen. Dadurch werden Prozesse weiter automatisiert werden können. Goldene Zeiten für die Logistik!

Aber warum tritt diese gewaltige Veränderung ausgerechnet jetzt auf? Was hat sich eigentlich geändert in dieser kurzen Zeit? IT wird in Unternehmen und Fabriken seit 50 Jahren eingesetzt, seit 30 Jahren arbeiten auch Roboter und Maschinen in der industriellen Fertigung computergesteuert.

Zur Geschichte der Digitalisierung: das Moor'sche Gesetz


Um wirklich zu verstehen, warum sich derzeit die Welt in dieser umwälzenden Phase der Digitalisierung befindet, muss man die Geschichte von Gordon Moore erzählen. Moore, später Gründer und CEO des Chipherstellers Intel, war Forschungsleiter bei Fairchild Semiconductors, als er 1965 in einer Fachzeitschrift seine berühmte Aussage traf, die später als „Moor’sches Gesetz“ Weltruhm erlangte. Demnach verdoppelt sich die Zahl der auf einem Mikroprozessor verbauten Transistoren - und damit je nach Design auch ungefähr die Leistung eines Chips - alle anderthalb bis zwei Jahre. Und das bei gleichzeitig sinkenden Preisen. Als Faustregel hat der Grundsatz bis heute Bestand und treibt die Entwicklung immer kleinerer und leistungsfähigerer Geräte voran. Firmen wie Apple, HP und Samsung können sich bei ihren Designs darauf verlassen, dass Chips - wie einem Naturgesetz folgend - ständig kleiner und leistungsfähiger werden.

Die Auswirkungen auf den Prozess der Digitalisierung in der Wirtschaft sind dadurch enorm. Erst durch die gewaltigen Rechnerleistungen und die riesige Speicherkapazität von heute wird es möglich, unglaublich viele Daten in unglaublich kurzer Zeit zu verarbeiten - und durch sogenannte Algorithmen (klar definierte Handlungsvorschriften für eine Problemlösung) können dann neuronale Netzwerke gebildet werden, die wiederum unfassbare viele Daten verknüpfen. Erst daraus lässt sich der Gewinn an Effizienz und Mustererkennung in riesigen Datenmengen schöpfen.

Exponentielle Gewinne


Um eine Vorstellung für das Ausmaß dieser linearen Entwicklung in der IT zu bekommen, muss man sich die Geschichte vom Schachbrett und den Reiskörnern vor Augen führen. Diese Geschichte geht zurück auf Sessa, den Erfinder des Schachspiels. Der indische Kaiser Sheram fand so viel Gefallen daran, dass er Sessa unbedingt belohnen wollte. Also drängte er ihn, einen Wunsch zu äußern. Sessa sagte, der Kaiser solle ihm auf das erste Feld des Schachbretts ein Reiskorn legen - und auf jedes weitere immer die genau doppelte Anzahl des vorherigen. Der Kaiser stimmte zu, wusste aber nicht, worauf er sich eingelassen hat. Denn allein auf dem 64. Feld liegen am Ende 9.223.372.036.864.775.808 Reiskörner (9,2 Trillionen!). Auf allen Feldern zusammengerechnet sind es mehr als 18 Trillionen Reiskörner. Eine Menge, die die Weltproduktion um ein Vielfaches übersteigt (100 Reiskörner wiegen etwa 3 Gramm; 9 Trillionen wögen 277 Milliarden Tonnen; Weltjahresproduktion 2016: 480 Millionen Tonnen).

Noch ein anderes Beispiel: Ein Transportunternehmer vereinbart mit seinem Kunden, die Dienstleistung in der 1. Woche des Jahres für einen Euro zu leisten. In der zweiten Woche für 2 Euro, in der dritten für 4 und so weiter. Ab der 21. Woche ist er Millionär, ab der 31. Milliardär – und ab Woche 39 besitzt er ungefähr das BIP der Bundesrepublik Deutschland (rund 3 Billionen Euro).


Digitalisierung: Die Lawine erfasst alle


An diesen Beispielen lässt sich die dramatische Entwicklung dessen veranschaulichen, was wir im Allgemeinen als Digitalisierung umschreiben. Es ist die simple Gewissheit, dass sich durch die verlässliche Verdoppelung der Rechenleistung vorhersehbar unfassbare Datenmengen und damit auch bislang niemals für möglich gehaltene Komplexitäten in kurzer Zeit berechnen lassen. Prognosen von Preisen oder Marktentwicklungen werden so immer genauer – und lassen neue Geschäftsmodelle zu beziehungsweise erleichtern es Unternehmen, ihre bisherigen Geschäftsmodelle auf das digitale Zeitalter zu übertragen.

Diese Veränderungen bergen jedoch nicht nur Chancen, sondern beinhalten auch Risiken. Die Risiken dieser Entwicklung sind unter dem Begriff „Disruption“ bekannt geworden. Disruption wird in der heutigen Wirtschaftssprache eigentlich immer gleichgesetzt mit der Bedrohung eines etablierten Geschäftsmodells. Und diese Bedrohung ist mehr als nur real: Beispiele in der Logistik sind Amazon, die inzwischen eigene Transportkapazitäten aufbauen oder vor allem Uber. Das US-Startup besitzt nicht ein einziges Taxi, ist aber der größte Taxiunternehmer der Welt. Und warum? Weil es die Möglichkeiten erkannt hat, über die aktuellen technologischen Mittel große Datenmengen über eine App zu steuern, die es Uber erlaubt, sich zwischen die etablierten Anbieter einer Dienstleistung (Taxiunternehmen) und ihre Kunden zu schieben (Fahrgäste).

Aktuelles Beispiel für Disruption: Vor kurzem stellte Amazon den ersten Lebensmittelladen ohne Kassen vor. Der Internet- und Logistikriese greift damit eine der letzten Hochburgen der Offline-Welt an: Supermärkte.

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Plattform-Ökonomie: Den Ort schaffen, wo Bieter und Suchende sich finden


Das Geheimnis solcher Plattformen liegt im Dreiklang aus höherer Transparenz, stärkerer Verknüpfung von Prozessen und daraus folgenden besseren Prognosen (von Wahrscheinlichkeiten oder Preisen). Die Erfahrung aus den Branchen Handel und Medien, in denen die Digitalisierung zuerst durchgeschlagen hat, zeigen: Die Digitalisierung dauert in der Regel länger als technologisch erwartet. Denn zwischen der Technologie und dem zu erwartenden Ergebnis steht immer noch der Mensch als Teil einer Belegschaft. Und Menschen neigen dazu, sich zunächst gegen Veränderungen zu wehren. Die Mitarbeiter vom Neuen zu überzeugen, benötigt jedoch Zeit. Allerdings lehrt die Erfahrung aus Handel und Medien auch: Die Digitalisierung kommt auf jeden Fall. Dann aber deutlich massiver als es sich jemals jemand vorstellen konnte. Als Beispiel dafür dient der E-Commerce: Online-Händler und Paketdienstleister sprechen heute schon über Zustellfenster von einer Stunde nach Bestellung – selbstverständlich mobil per App.


(K)ein Ende in Sicht


Die Experten sind sich übrigens darüber einig, dass das Moor’sche Gesetz rein physikalisch in spätestens zehn Jahren an seine Grenzen stoßen wird. Denn dann wären die Transistoren auf Mikrochips auf Atomgröße geschrumpft. Gewiss ist aber auch, dass es bis dahin noch ein riesiges Potenzial für Entwicklung gibt. Das Wachstum der Leistung ist ja exponentiell. Allein die Entwicklung des iPhone ab 2007 bis heute lässt ahnen, welche Schritte noch möglich sind: in diesen neun Jahren hat sich die Rechnerleistung des iPhone versechsfacht und die Speicherkapazität ist um das 36-fache gestiegen.

Jetzt verstehen Sie vielleicht besser, weshalb vor allem die stark von Prozessen und Ketten getriebene Logistikbranche so sehr von den Möglichkeiten der Digitalisierung profitieren kann. Es geht dabei nämlich um die ganzheitliche Erhöhung von Transparenz, Verknüpfung, Mustererkennung und daraus abgeleiteten Prognosen.

Zur Person

Günther Hörbst ist seit 1. Juli 2016 Geschäftsführer der Via Bremen Foundation, der Standortmarketing-Plattform der Logistik- und Hafenwirtschaft in Bremen und Bremerhaven. Seit 1. April 2016 ist der 44-jährige zudem Geschäftsführer der Bremischen Hafenvertretung BHV. Hörbst ist diplomierter Politikwissenschaftler und hat 20 Jahre lang in unterschiedlichen Leitungsfunktionen bei regionalen und überregionalen Medien gearbeitet, zuletzt war er Chefredakteur der Deutschen Verkehrs-Zeitung DVZ.



Lesen Sie hier mehr von Günther Hörbst:

Hafenwirtschaft: Südeuropäische Häfen fordern die "Nordrange" heraus



Mehr zum Thema Maritime Wirtschaft und Logistik erfahren Sie hier oder bei Jörg Kautzner, Referent Industrie und Cluster, Tel.: 0421 361-32172, joerg.kautzner@wah.bremen.de


Wie ein digitalisiertes Lager aussehen kann, dazu mehr in unserem Artikel BLG LOGISTICS hat einiges auf Lager – zum Beispiel eines der modernsten Kommissioniersysteme Europas

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