Wie Unternehmen IT-Fachkräfte aus dem Ausland gewinnen können
FachkräfteStudie zum Fachkräftemangel in der IT-Industrie
IT-Fachkräfte aus dem Ausland einstellen – warum dieses Potenzial bisher kaum ausgeschöpft wurde, das hat eine Umfrage unter Fachkräften und Unternehmen im Herbst 2023 herausgefunden.
Die Rekrutierung und Integration ausländischer Fachkräfte wird zunehmend zu einer strategischen Notwendigkeit, um Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Der Statistik-Plattform Statista zufolge ist für den deutschen IT-Dienstleistungs-Markt bis zum Jahr 2028 ein stetiges Umsatzwachstum von insgesamt 22,3 Milliarden Euro zu erwarten, was einem Anstieg von 39 Prozent entspricht. In diesem Zusammenhang geht das Institut der deutschen Wirtschaft bis 2026 von einer Zunahme der Anzahl der Softwareentwickler:innen um nahezu 50 Prozent im Vergleich zu 2021 aus, ungefähr 84.500 Fachkräften. Diese Zunahme wird aber nicht den Bedarf decken.
Um sich künftig also talentiertes Personal zu sichern, müssen Unternehmen nicht nur ihre Rekrutierungsstrategien anpassen, sondern auch ihre Unternehmenskulturen weiterentwickeln.
Das sechsköpfige, internationale Team des QLab Think Tanks hat sich im Rahmen eines fünfwöchigen Innovation Sprints im Herbst 2023 intensiv mit der Fragestellung ‚Wie können wir IT-Unternehmen bei der Rekrutierung und Integration von (weiblichen) ausländischen IT-Fachkräften unterstützen?` beschäftigt und ist auf Grundlage von Recherchen, Interviews und Umfragen zu folgenden Erkenntnissen gekommen:
1. Attraktivität Deutschlands für internationale Fachkräfte steigern
Trotz der anerkannten Stärken Deutschlands gibt es Herausforderungen, die seine Attraktivität – und zwar nicht nur für internationale (weibliche) Fachkräfte aus der IT – beeinflussen. Ausländische Talente begegnen oft langwierigen Visaprozessen, Sprachbarrieren und Digitalisierungsdefiziten, die die Jobsuche erschweren. Als Digitalisierungsdefizit wurden auch der Widerstand von IT-Unternehmer:innen genannt, potenziellen Fachkräften die Arbeit aus dem Heimatland zu ermöglichen.
Unternehmen sind gefragt, gezielte Maßnahmen wie flexible Arbeitszeiten, Sprachkurse und Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten. Weiterhin besteht bei Fachkräften der Wunsch nach sogenannten Relocation Services, wie der organisatorischen Unterstützung bei der Einholung von Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnissen, der Organisation des Umzugs an sich, der Wohnungssuche vor Ort oder der Anmeldung bei Versorgungsunternehmen, Schulen und medizinischen Einrichtungen. Die Beratung und Unterstützung bei rechtlichen Fragen wie in Bezug auf Visabestimmungen oder lokale Arbeitsgesetze wird ebenfalls als hilfreich empfunden.
Kleine und mittelständische Unternehmen können solche Services aufgrund personeller oder finanzieller Engpässe allerdings häufig nicht zur Verfügung stellen.
In Bremen unterstützt und berät hier der Willkommensservice und erleichtert Unternehmen und Fachkräften so den Start in Deutschland.
2. Gestalten einer einladenden Unternehmenskultur
Um international rekrutieren zu können, müssen sich Unternehmen auf eine Kultur der Vielfalt einlassen. Dies umfasst mehrsprachige Arbeitsumgebungen, die Förderung interkultureller Sensibilität und Integrationsprogramme.
Zwei- oder mehrsprachige Arbeitsumgebungen können etwa über die Übersetzung von Unternehmensdokumenten oder Schulungsmaterialien geschaffen werden. MSTeams bietet seit einiger Zeit die Liveübersetzung von gesprochenem Text in unterschiedliche Sprachen an.
Interkulturelle Schulungen oder Workshops sensibilisieren alle Beteiligten für ihr Gegenüber, erleichtern das Verständnis füreinander und helfen bei der Integration in das bislang unbekannte Arbeitsumfeld. Entsprechende Maßnahmen wirken kulturellen Missverständnissen entgegen und können das Teamzugehörigkeitsgefühl stärken.
Mentorship-Programme erleichtern die Integration ebenfalls. Erfahrene Mitarbeiter:innen können dabei unterstützen, erste Kontakte zu anderen Personen durch soziale Aktionen im und außerhalb des Unternehmens zu knüpfen. Teamevents, wie eine gemeinsame Kochaktion, wo Speisen aus unterschiedlichen Ländern gereicht werden, schaffen eine erste solide und vermutlich köstliche Basis für die zukünftige Zusammenarbeit.
3. Recruiting-Wege jetzt und in der Zukunft neu denken
Digitale Plattformen und soziale Netzwerke sind zentrale Instrumente für die Talentakquise. Unternehmen nutzen LinkedIn, um gezielt nach IT-Fachleuten zu suchen, internationale Talente zu identifizieren und direkt zu kontaktieren.
Unternehmen können ihre Stellenangebote auch auf der internationalen Plattform Glassdoor platzieren und sich dort, ebenso wie auf dem Portal Kununu, von aktuellen und ehemaligen Mitarbeitenden bewerten lassen, um Vertrauen zu schaffen. Join ist neben Stepstone eine weitere Plattform, auf denen Unternehmen für Jobs werben.
Instagram bietet Arbeitgeber:innen die Möglichkeit, potenziellen Kandidat:innen durch Fotos Reels oder Stories Einblicke ins Unternehmen zu gewähren. Über Bilder und Geschichten von internationalen Teammitgliedern werden beispielsweise Erfahrungen beim Recruiting- oder Onboarding-Prozess im jeweiligen Unternehmen explizit gemacht. Mitarbeitende können von ihrem Arbeitsalltag berichten. Das kreiert Vertrauen und stärkt die Arbeitgebermarke. Auch TikTok ist für Unternehmen eine Plattform, um kreativ und unterhaltsam auf sich aufmerksam zu machen und junge und technikbegeisterte Talente anzusprechen.
KI-gestützte Rekrutierungsplattformen wie HireVue, die auch in Europa aktiv sind, nutzen Algorithmen, um Kandidat:innen zu identifizieren und passende Profile zu erstellen. Dies kann den Rekrutierungsprozess effizienter gestalten, aber auch ethisch in Frage gestellt werden, da es bei Testläufen KI-basierter Auswahlen von Bewerber:innen zu Diskriminierungen aufgrund der dem Algorithmus zugrunde liegenden Datenbasis kam.
Weil sich der Einstieg in das Berufsleben aus Sicht der ausländischen Fachkräfte leichter gestaltet, wenn sie an deutschen Universitäten studiert haben, empfiehlt es sich, als Unternehmen Partnerschaften mit nationalen und internationalen Bildungseinrichtungen einzugehen, um Absolventinnen und Absolventen direkt anzusprechen und ihnen Praktika oder Arbeitsmöglichkeiten anzubieten.
4. Überwindung von bürokratischen Hürden: oder Abschluss – Anerkennung – Arbeitsplatz
Diese Reise einer internationalen Fachkraft nach Deutschland beginnt häufig mit der Sichtung von Jobmöglichkeiten, durch die oben genannten Plattformen,durch Kontakte mit Headhunting-Agenturen oder direkte Anfragen von Unternehmen.
Nach dem ersten Kontakt folgt die Phase der Bewerbung und der Vorstellungsgespräche. Sobald eine Fachkraft eine Jobzusage erhält, folgt der Umzugsprozess, der, wie oben bereits erwähnt, durch Relocation Services unterstützt werden kann, welche die Fachkräfte bei bürokratischen Hürden, wie der Anerkennung von Qualifikationen und der Arbeitssuche, begleiten.
Die finale Phase umfasst die Onboarding-Prozesse im Unternehmen, also die optimale Einarbeitung, welche idealerweise die Integration am Arbeitsplatz und in das soziale Umfeld des neuen Landes erleichtern.
Die Novelle des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom November 2023 soll das bislang hochbürokratische Verfahren vereinfachen. Für 2023 hat Deutschland die Gehaltsanforderungen für die Erteilung der Blauen Karte EU gesenkt, einer Aufenthaltserlaubnis für hochqualifizierte Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten.
Berufseinsteiger:innen und Fachkräfte in sogenannten Mangelberufen müssen ein Mindestgehalt von 39.682,80 Euro erzielen. Für andere Berufsfelder liegt die Schwelle bei 43.800 Euro jährlich. Diese Regelung ermöglicht es qualifizierten Arbeitskräften und ihren Familien, in Deutschland zu wohnen und zu arbeiten. IT-Fachkräfte ohne akademischen Abschluss können mit mindestens drei Jahren Berufserfahrung ebenfalls die Blaue Karte EU erhalten, wobei für sie die niedrigere Gehaltsgrenze anwendbar ist.
Bremens Unterstützung für Fachkräfte und Unternehmen
Im Rahmen des Projektes standen dem Team des QLabs nicht nur Ansprechpartner:innen aus IT-Unternehmen, wie der HEC GmbH, team neusta und Salt & Pepper mit ihrer Expertise und ihren Erfahrungen im Rahmen der Fragestellung zur Seite, sondern auch der Verband bremen digitalmedia – Bremer Unternehmer:innen können also quasi im Rahmen des eigenen Netzwerks von ihren Erfahrungen bei der Rekrutierung und beim Onboarding von Fachkräften profitieren.
Die Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven war und ist ebenfalls eine wichtige Ansprechpartnerin, unter anderem in Bezug auf Rechtsfragen und Prozesse, die sowohl IT-Fachkräfte als auch IT-Companies betreffen und bei denen die Agentur intensiv unterstützt.
Der Willkommensservice der Wirtschaftsförderung Bremen spielt eine essentielle Rolle bei der Integration von ausländischen IT-Fachkräften. Er dient als zentrale Anlaufstelle und bietet Beratung zu den Themen Aufenthalt, Anerkennung von Qualifikationen und Arbeitsgenehmigungen. Die Organisation vernetzt unterschiedliche Angebote im Land Bremen, erleichtert dadurch internationalen Fachkräften den Einstieg in den lokalen Arbeitsmarkt und unterstützt so Unternehmen bei der Integration dieser neuen Mitarbeitenden.
Die Landesagentur für Weiterbildung bietet Maßnahmen an, die speziell darauf abzielen, die beruflichen Fähigkeiten und Kenntnisse von Arbeitnehmenden zu verbessern, die sich bereits in Bremen befinden. Die Agentur informiert außerdem über Finanzierungsmöglichkeiten, ermittelt Weiterbildungsbedarfe mit Netzwerkpartner:innen und initiiert innovative Pilotprojekte im genannten Kontext.
Flankierend sei hier noch Welcome to Bremen erwähnt – ein Informationsportal, das die Integration in die Gesellschaft unterstützt und für Geflüchtete, Zuwandernde, ehrenamtliche Helfer:innen und Behörden zugänglich ist.
Perspektiven und Ausblick
Aus den Interviews und nicht repräsentativen Umfragen, die das Team des QLab Think Tanks mit IT-Unternehmen durchgeführt hat, geht hervor, dass 75 Prozent der Unternehmen ausländische Fachkräfte beschäftigen und die Mehrheit bereit ist, Englisch als Arbeitssprache zu implementieren.
Die Rekrutierungsprozesse werden jedoch durch Sprachbarrieren, rechtliche Prozesse und einen Mangel an qualifizierten Bewerbungen erschwert. Das Onboarding neuer Mitarbeitenden wird in den Unternehmen häufig durch Mentoring-Programme und kulturelle Integrationsmaßnahmen unterstützt.
IT-Unternehmen fördern idealerweise eine multilinguale und integrative Arbeitskultur. Dies schließt ein offenes und unterstützendes Onboarding ein, das kulturelle Unterschiede würdigt und Weiterbildungs- sowie Mentoringprogramme anbietet. Zudem sollten IT-Unternehmen aktiv an der Verbesserung der Rekrutierungsprozesse arbeiten, um Barrieren abzubauen und eine diversere Belegschaft zu fördern.
Kleinere Unternehmen könnten von staatlichen Institutionen, etwa durch Portale, die Informationen bündeln, noch intensiver unterstützt werden, um entsprechende Maßnahmen umzusetzen. Programme wie die Novelle des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und die Senkung der Gehaltsgrenzen für die Blaue Karte EU kommen dem entgegen. Akteurinnen und Akteure wie der Willkommensservice Bremen spielen dabei eine zentrale Rolle, indem sie als Anlaufstelle für Unternehmen und Fachkräfte fungieren und somit den lokalen Arbeitsmarkt stärken.
Wenn es gut läuft, ist der Ausblick in die Zukunft vielversprechend: IT-Unternehmen, die eine vielfältige, mehrsprachige und integrative Unternehmenskultur schaffen, werden nicht nur kurzfristig Fachkräfte gewinnen, sondern auch langfristig von der Vielfalt und Innovationskraft ihrer internationalen Teams profitieren.
Für Unternehmen und -Fachkräfte gilt also gleichermaßen: Offenheit für Veränderungen, kontinuierliche Weiterbildung und die Bereitschaft, bestehende Strukturen zu hinterfragen, sind unerlässlich.
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