„Wir werden den Markt kräftig aufmischen!“
Podcast Go Global! Bremen Business Talks, Folge 1: Lutz Bertling, OHB SE
In Folge 1 unseres neuen Podcasts „Go Global! Bremen Business Talks“ spricht Lutz Bertling, Vorstand des Raketen- und Satellitenbauers OHB, über Elon Musk, Skateboards, Raketenwissenschaft und über ein ehrliches „Moin!“ beim Bäcker.
Lutz Bertling ist Vorstand und Chief Digital Officer bei OHB SE. Der 58-jährige ist seit 1. April 2018 Vorstandsmitglied und war zuvor bei verschiedenen internationalen Konzernen im Luftfahrt- und Transportgeschäft tätig.
Boris Felgendreher ist Moderator des Go Global!-Podcasts. Der gebürtige Bremerhavener leitete viele Jahre das globale Marketing für Unternehmen in den Bereich Logistik, Supply Chain, Cloud und E-Mobility. Als Absolvent der Universität von Texas in Austin lebte und arbeitete er einige Jahre in den USA. Heute ist er selbständiger Unternehmer im Großraum Bremen. Unter anderem produziert und moderiert er eine Reihe von Podcasts.
1981 in einer Garage in Bremen-Ost von Christa Fuchs gegründet, gehört das Unternehmen heute zu den Global Playern in der Raumfahrtbranche. Seit dem Börsengang 2001 wuchs OHB rasant, setzt rund eine Milliarde Euro im Jahr um und beschäftigt knapp 3.000 Angestellte an zahlreichen internationalen Standorten. OHB fertigt Satelliten wie auch Raketenteile für das Ariane-Programm und bietet digitale Dienstleistungen mit Weltraumbezug. Mit dem Start-up Rocket Factory Augsburg arbeitet es zudem an einem eigenen Startsystem.
Der Podcast in Auszügen:
Lutz, herzlich willkommen zu Go Global!
Lutz Bertling: Ich freue mich, dass ich OHB, eines der innovativsten Unternehmen Bremens heute einmal vorstellen darf! (…)
Ihr habt 3.000 Mitarbeiter, habt euch aber euren Start-up-Geist bewahrt, woher kommt das?
Lutz Bertling: Wir wollen durch kleinere und agilere Einheiten eine hohe Entscheidungsfähigkeit erreichen und so Geschwindigkeit gewinnen. Wir führen mehr über vereinbarte Richtungen und langfristige Ziele, als unseren Angestellten montags zu sagen, was die bis Freitag zu tun haben.
Unsere Manager sollen früh entschieden und eigene Ideen einbringen. Manchmal erleben wir, dass das die Kundenseite komisch findet. Gerade, wenn in Institutionen oft meist ältere Herren sitzen und von uns kommt dann eine hochkompetente 38-Jährige, dann wird manchmal komisch geschaut. Das ist bei uns normal, bei anderen leider nicht. Die Leute kriegen früh Verantwortung und können für ihr Ding einstehen. Anders wäre die Wachstumsstory nicht möglich gewesen.
Wie kam es zu dieser Art von Führung und Unternehmensorganisation?
Lutz Bertling: Wir hatten gar nicht die Zeit, formale Prozesse aufzubauen. Natürlich haben wir heute andere Prozesse als vor 20 Jahren und können natürlich alle Vorgaben und Regularien im Raumfahrtgeschäft einhalten. Aber wir hatten nie die Leute und die Zeit, schwerfällige Strukturen aufzubauen.
Uns fehlt auch die Finanzkraft unserer Konkurrenten wie Airbus. Wir sind an der Börse, aber immer noch ein Familienunternehmen. Diese Nachteile müssen wir ausgleichen, müssen innovativer, schneller sein und einen eigenen Weg gehen.
Welche Veränderungen sieht sich die Raumfahrtbranche gerade gegenüber?
Lutz Bertling: Es gibt einen Trend zur Miniaturisierung und den Trend zu Konstellationen. Viele Aufgaben, die früher von großen geostationären Satelliten übernommen wurden, werden heute von Konstellationen übernommen, das heißt einigen hundert bis wenige tausend Satelliten, die zwischen 400 und 1.200 Kilometern Höhe die Erde umkreisen.
Zudem wächst das Segment Erdbeobachtung stark, weil wir die Produktivität der Landwirtschaft steigern und das Klima überwachen müssen. Da liegen auch unsere Spezialitäten als OHB.
Bei unseren Augsburger Kollegen, die Raketen machen, zeigt sich die Marktveränderung durch die Trends in den USA. Das gute alte Raketengeschäft mischt SpaceX auf. Das hat bei uns zum Umbruch geführt. (…)
Wie ist deine Sicht auf das, was Elon Musk macht?
Lutz Bertling: Ich sehe das sehr positiv, er rüttelt die Branche wach. Wettbewerb ist das einzige, was Innovation fördert. Die Amerikaner sind aber nicht überall führend. Was sie bei den Raketen sind, das ist Europa in der Erdbeobachtung, da ist Europa führend.
Du hast das Augsburger Start-up erwähnt, die Rocket Factory Augsburg RFA, die euch gehört – was habt ihr damit vor?
Lutz Bertling: Ein großer Teil des OHB-Konzerns sitzt bereits seit Jahren in Augsburg als ein Zulieferer für die Ariane-Rakete, die tragen ungefähr 15 Prozent zum Raketenbau bei. Jetzt wollen wir auch unser Gesamtverständnis für Raketen erweitern, und das haben wir über die RFA. Die machen Mini-Launcher, kleine Raketen, die leichte Satelliten in den nahen Erdorbit befördern können.
Wir werden damit den Markt kräftig aufmischen, was den Kostenaspekt der Raketen angeht. Wir denken da out of the box. Wir lassen dem Start-up viel Selbstständigkeit. Die gehen ihren Weg und wollen das Ding wuppen und sind genial und mit Emotion dabei.
Ist die Raumfahrt sexier geworden?
Lutz Bertling: Die Raumfahrt war schon immer eine Branche, die Leute aus allen Gebieten anzieht. Aber die Trends in Amerika haben auf jeden Fall mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Das Vordringen ins Weltall, das hat schon etwas. (…)
Der Branche wir eine große Zukunft vorhergesagt. Bis 2029 sollen pro Jahr etwa 1.000 Satelliten ins All geschossen werden.
Lutz Bertling: Wir werden in diesem Jahrzehnt mehr Satelliten starten sehen, als in den letzten 70 Jahren zusammen. Raumfahrt boomt, weil es Trends gibt, die ohne Raumfahrt nicht beherrschbar sind. Die Produktivitätssteigerung in der Landwirtschaft, autonomes Fahren, die Digitalisierung von abgelegenen Gegenden und der hohen See geht nur über Raumfahrt.
Habt ihr einmal drüber nachgedacht, Bremen den Rücken zu kehren?
Lutz Bertling: Gar nicht. In Bremen sitzen zwei der großen Raumfahrtunternehmen, viel Wissenschaft und viel Mittelstand. „City of Space“ ist nicht ohne Grund der Name für Bremen. Da hat schon was Besonderes. (…)
Wie habt ihr die Coronakrise wahrgenommen?
Lutz Bertling: Wir sind vergleichsweise gut davon gekommen. Wir haben stark aufs Homeoffice gesetzt, wir hatten aber auch in der Lieferantenkette Verzögerungen. In den Bereichen, wo Homeoffice nicht geht, mussten wir Vorkehrungen treffen, die natürlich auch die Produktivität beeinflusst haben.
Unser Orderbuch ist nicht abgeschmolzen – Umsätze haben sich verschoben, aber nicht verloren. Wir haben den höchsten Auftragsbestand aller Zeiten.
Was sind große Fallstricke, die ihr in den kommenden Jahren seht?
Lutz Bertling: Junge Talente zu gewinnen und für die Talente, die wir haben, attraktiv zu bleiben. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen Lust haben, bei uns zu arbeiten. (…)
Zudem geht der technologische Fortschritt mit Siebenmeilenstiefeln voran. Da müssen wir uns fokussieren und dafür sorgen, dass wir an der Spitze dabei bleiben. (…)
Was gefällt die persönlich an deinem Job?
Lutz Bertling: Für mich ist eine Grenze eine Aufforderung zu schauen, wie weit man sie rausschieben kann. Und das geht bei OHB sehr gut. Man kann gut neue Dinge anfangen und gestalten. Man kann mit guten Ideen schnell Rückhalt finden und Dinge ausprobieren.
Wie fühlst du dich als Kieler nach mehreren Stationen im Süden in Bremen?
Lutz Bertling: Wenn man morgens beim Bäcker hereinkommt und „Moin“ sagt, dann ist das schon schön. Das „Grüß Gott“ geht mir schwer über die Lippen. (…)
Was unsere Hörerinnen und Hörer gerade nicht sehen können: Du hast in deinem Büro Skateboards aufgehängt – warum?
Lutz Bertling: Das Skateboarden hat mir immer wahnsinnig viel Spaß gemacht. Die eine oder andere Stelle an den Gelenken sagt mir heute, dass ich es vielleicht etwas weniger intensiv hätte machen sollen. (lacht) Ich mag einfach gern Dinge, die mit Geschwindigkeit zu tun haben. Heute bin ich leider nicht mehr auf dem Skateboard unterwegs.
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