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4.7.2022 - Jann Raveling

Wie eine 29-Jährige Straffälligen in Bremen hilft

Social Entrepreneurship

Der Verein Hoppenbank unterstützt Haftentlassene in Bremen

Portrait einer Frau
Svenja Böning, Geschäftsführerin des Vereins Hoppenbank © Hoppenbank

Einen früheren Gefängnisinsassen als Nachbarn? Als Arbeitskollegen? Bei vielen löst diese Vorstellung wohl noch Unbehagen aus. Straffälligen lastet in unserer Gesellschaft ein Stigma an – das ihnen den Weg zurück umso steiniger macht.

Das weiß auch Svenja Böning. „Es sind oft tolle Menschen, die aber viel durchgemacht haben. Eine erfolgreiche Resozialisierung klappt aber nur, wenn beide Seiten mitmachen – neben den Haftentlassenen also auch die Nachbar:innen, Arbeitgeber:innen und Angehörigen“, so die 29-Jährige. Als Leiterin des Vereins Hoppenbank betreut sie mit ihrem Team mehr als 2.500 Klientinnen und Klienten jedes Jahr.

Lebensaufgabe gefunden

Böning wuchs früh in das Thema hinein. Nach der Schule arbeitete sie in ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr in der Kinder- und Jugendpsychiatrie unter anderem in einer Jugendstrafanstalt, während ihres Masterstudiums in einer Justizvollzugsanstalt in Vechta. Berührungsängste hat sie schon lange abgelegt. „Jeder Tag ist eine neue Herausforderung, man muss sich gut auf Menschen einstellen können. Aber man sieht auch schnell, dass man etwas bewegen kann. Das ist sehr motivierend“, schildert die Sozialpädagogin.

Nach ihrem Studium arbeitete sie zunächst als Sozialarbeiterin für den Verein Hoppenbank. 2020 wechselte sie dann in die Leitung und bildete knapp anderthalb Jahre eine Doppelspitze, bevor der frühere Geschäftsführer in den Ruhestand ging. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die sie selbstbewusst annimmt. „Ich arbeite sehr strukturiert und kann mich gut in Neues eindenken. Natürlich gibt es immer wieder Höhen und Tiefen. Aber wir bewegen etwas und ich kann viele Ideen einbringen“, erklärt sie.

Auf dem Weg zurück ins Lebens begleiten

Bei vielen Ideen und Projekten des Vereins geht es um eine Gestaltung der freien Zeit für Haftentlassene. „Es ist wichtig, Strukturen in den Tag zu bringen, das hilft dabei, wieder zurück in ein geregeltes Leben zu finden“, weiß sie. Zu den Angeboten gehört etwa eine Teestube, die warme Mahlzeiten aber auch Freizeitaktivitäten anbietet. Und in der auch ehemalige Straffällige und Langzeitarbeitslose mitarbeiten. Der Verein organisiert zudem Tagesausflüge oder kooperiert mit Bremer Sportvereinen, um etwa Fußballtrainings anzubieten.

Fisch und Kartoffeln
Gesunde Mahlzeiten und regelmäßiger sozialer Austausch - die Teestube bietet einen Rahmen für die Straffälligen im Alltag © Hoppenbank

„Wir wollen, dass unsere Klientinnen und Klienten in Kontakt mit der Bevölkerung kommen, um gegenseitige Hürden abzubauen. Dazu gehört auch die Zusammenarbeit mit Arbeitgeber:innen. Wir haben viele positive Erfahrungen gemacht. Als Verein begleiten wir diesen Prozess und lassen niemanden allein“, so Böning.

In Wohngemeinschaften lernen, was „Alltag“ heißt

Ein weiteres wichtiges Angebot von Hoppenbank ist das betreute Wohnen. 40 feste und ambulante Plätze stehen hierfür an verschiedenen Orten in Bremen bereit, bis zu zwei Jahre können Einzelne dort leben. Sie erhalten eine feste Ansprechperson, regelmäßige Betreuung, können Angebote zu Themen wie Krisenprävention oder individueller Lebensplanung besuchen. Für viele ist das der letzte Strohhalm:

„Mittlerweile hat fast jeder Langzeitinsasse, jede Langzeitinsassin eine Suchtkarriere hinter sich. Wenn sie ohne Betreuung entlassen werden, rutschen sie wieder ab in ihr altes Milieu. Der Absprung ist für sie aus eigener Anstrengung fast unmöglich“, schildert Böning. Suchtgruppen und ambulante ärztliche Hilfe über eine Kooperation gehören deshalb zum festen Angebot in der Beratung.

Ein wichtiger Schritt zur Rehabilitation ist der Weg zurück in einen „normalen“ Alltag. „Viele haben noch nie in ihrem Leben acht Stunden am Stück gearbeitet. Sie wissen nicht, dass sie sich morgens eine Flasche Wasser und ein Stück Brot einpacken können, um den Tag über fit zu bleiben. Es geht also um ganz grundlegende Dinge, die wir ihnen beibringen“, sagt Böning. Letzten Endes sei es immer das Ziel, dass jede und jeder ein menschenwürdiges Leben führen können soll und nach den eigenen Wünschen leben kann.

Bienenhotel und Setzkasten
Holzarbeiten stärken die Fähigkeiten der Straffälligen © Hoppenbank

Neben Wohn- und Beschäftigungsprojekten sowie Freizeitaktivitäten organisiert der Verein auch Hilfe bei Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche oder Behördengängen sowie psychosoziale Beratung, vermittelt bei der Kontaktherstellung mit Angehörigen und arbeitet eng mit den Vollzugsanstalten zusammen, damit der Übergang aus der Haft in das Leben ohne Stolpersteine verläuft. Rund 50 Angestellte plus Ehrenamtliche engagieren sich dabei, einige davon selbst Ex-Sträflinge, andere Langzeitarbeitslose.

Gefängnisaufenthalte vermeiden

Ebenso wichtig wie der Weg zurück ins Alltagsleben sei es jedoch, so Böning, verurteilten Straftäter:innen den Weg ins Gefängnis zu ersparen. „Jeder Gefängnisaufenthalt ist ein krasser Einschnitt in das Leben: Die Wohnung und der eigene Arbeitsplatz gehen verloren, der Kontakt zu Familie und Freunden reißt ab. Das entwurzelt Menschen und kann zu Drogensucht oder einer kriminellen Karriere führen.“

Aus diesem Grund arbeitet Hoppenbank zusammen mit den Bremer Vollzugsbehörden an der Haftvermeidung. Dabei geht es darum, Gefängnisstrafen durch gemeinnützige Arbeit zu ersetzen. „In vielen Fällen ist das die sinnvollere Alternative. Ein Beispiel: Manche Menschen werden zu einer Geldstrafe verurteilt, können diese aber aufgrund von Schulden nicht zahlen und landen so im Gefängnis. Mit gemeinnütziger Arbeit vermeiden wir den Gefängnisaufenthalt mit all den damit verbundenen Nachteilen. Natürlich immer in enger Abstimmung mit den Justizvollzugsanstalten“, erläutert Böning.

Insgesamt 15.000 Hafttage vermeidet der Verein pro Jahr auf diese Weise – und entlastet damit gleichzeitig das Bremer Justizsystem. Einige der Hafttage können dabei in den vereinseigenen Werkstätten über Arbeit getilgt werden.

Der Verein finanziert sich daher auch aus Mitteln des Bremer Justiz- und Sozialressorts. Zu den weiteren Geldgebenden gehört die EU mit dem ESF-Fonds. Hinzu kommen Spenden.

Teil der Bremer Sozialunternehmen-Landschaft

Böning ist gut vernetzt in Bremen, hält Kontakt zum Justizsystem, zu Sozialpartner:innen, zur Arbeitsagentur und zu vielen Vereinen und Initiativen. Eine wichtige Voraussetzung, um Straffällige zielgerichtet betreuen zu können. „Hier in Bremen gibt es keine Konkurrenzgedanken unter den einzelnen Projekten, alle stützen sich gegenseitig. Ich genieße diese konstruktive Atmosphäre, man spürt hier, dass es wirklich um den Menschen geht. Aber natürlich möchte ich noch mehr erreichen und suche daher aktiven Kontakt nach außen“, so die Geschäftsführerin.

Dazu gehörte unter anderem auch die Teilnahme am „Bremer Sozialunternehmen Preis 2021“, den die WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH im November 2021 erstmalig verlieh. „Unser Thema - Straffällige - kann man schwer vermarkten. Deshalb begrüßen wir jede Möglichkeit, Werbung für uns zu machen“, begründet Böning ihre Teilnahme. Ziel des Preises ist es, die Arbeit von Sozialunternehmen in Bremen bekannter zu machen und sie so in ihrem gesellschaftlichen Wirken zu unterstützen.

Mit Erfolg: Aus der Teilnahme am Preis entstand bereits ein erstes Kooperationsprojekt zwischen dem Bremer Designbüro weserholz und Hoppenbank. Gemeinsam planen sie eine „Starterbox“ zu gestalten, in der Straffällige bei ihrer Haftentlassung wichtige Utensilien und Infomaterial finden, um in ein neues Leben starten zu können.

Kontakt halten zu den Straffälligen

Nach einem Jahr alleiniger Geschäftsführung zieht die Leiterin eine positive Bilanz. „Es war auf jeden Fall mutig, sich den ganzen neuen Themen zu stellen, Buchhaltung, Personalführung, Verhandlungen, Budgets, das war alles neu für mich. Aber ich bin da reingewachsen und hatte auch tolle Unterstützung“, resümiert Böning, die im vergangenen Jahr mit dem Verein 50-jähriges Bestehen feierte.

Bei all den neuen Aufgaben achtet die 29-Jährige aber darauf, auch weiterhin den Kontakt zu ihren Klienten und Klientinnen zu halten. „Ich will in unsere Projekte rein, am Arbeitsalltag teilhaben, das ist mir wichtig. Man lernt dort jeden Tag so viel. Das Schöne ist, dass das direkt hier in unserem Büro geht“, sagt sie und schaut dabei nach oben: Die Verwaltung des Vereins liegt im Keller des „Haus Buntentorsteinweg“, einer Gründerzeitvilla im Stadtteil Neustadt. In deren oberen Räumen leben Straffällige – ein weiteres Zeichen dafür, wie wichtig dem Verein das eigene Anliegen ist.

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