Auf der Suche nach dem Gin des Lebens
TourismusViele Worte um ein Getränk, das derzeit so gut wie in aller Munde ist: Wikipedia bezeichnet Gin relativ unspektakulär als „meist farblose Spirituose“ oder schlicht „Wacholderschnaps“. Für das Managermagazin gilt Gin als „Trendgetränk“ und es behauptet: „Der Barklassiker erlebt derzeit ein Revival.“ Die Frauenzeitschrift Instyle geht noch weiter. Für sie ist Gin eine „Wunderwaffe“, denn „Gin ist reich an Anti-Oxidantien und neutralisiert freie Radikale, die für eine schnelle Hautalterung verantwortlich gemacht werden.“
Fakt ist: Gin ist in! Ich selbst mag ihn auch äußerst gern und habe endlich die Chance genutzt, mehr über dieses In-Getränk zu erfahren: während eines Gin-Tastings bei „Piekfeine Brände“ in der Überseestadt Bremen.
Seit dem 11.11.2011, 11.11 Uhr, betreibt Birgitta Schulze van Loon ihre kleine (aber piekfeine!) Brennerei mit Blick auf den Europahafen. Aus ihrem privaten Interesse an der Vielfalt der unterschiedlichen Aromen feiner Obstbrände entwickelte sich mit der Zeit der Wunsch, das Handwerk des Obstbrennens professionell zu erlernen. „Diesen habe ich in die Tat umgesetzt und eine zweijährige Ausbildung zum Brenner an der Bayrischen Landesanstalt für Wein- und Gartenbau absolviert. Seitdem bin ich stolze Besitzerin des Gesellenbriefes“, berichtet sie. „Darüber hinaus habe ich mein Wissen durch intensive Praktika bei Spitzen-Brennereien im Schwarzwald, in Südtirol und in Österreich ständig erweitert. In diesem überwiegend von Männern dominierten Beruf bin ich eine der ganz wenigen Frauen, die dieses Handwerk beherrschen und ausüben.“ Und das mit Erfolg!
Aus dem tiefen Süden brachte Birgitta Schulze van Loon dieses Handwerk also zurück in den Norden, nach Bremen, die Handelsstadt, die bislang vor allem durch Getränke wie Bier, Wein und Kaffee bekannt war. Und siehe da, es passt wunderbar, denn Schulze van Loon versteht es perfekt, die beiden Mentalitäten miteinander zu verbinden. Das zeigt sich nicht nur darin, dass sie beispielsweise eine eigene Produktlinie „nordische Wildfrüchte“, bestehend aus Schlehe, Hagebutte, Sanddorn oder Holunder entwickelt hat. Auch das Interieur ihrer Brauerei und des Verkostungsraumes spiegelt dieses Zweierlei wider. Hier kombiniert sie geschickt mit maritimem Segeltuch bespannte Sitzbänke mit dem alten Holz eines bayrischen Holzschobers.
Neben regelmäßigen Obstbrand-Seminaren und Cocktail-Workshops bietet Birgitta Schulze van Loon seit einiger Zeit nun auch Gin-Tastings (Verkostungen) an. Gemeinsam mit Tim Kalbhenn führt sie durch das dreistündige Seminar. Kalbhenn ist der Enkel von Julius Kalbhenn, der bereits 1921 sein Wein- und Spirituosenfachgeschäft in Bremen eröffnete. Er kennt die Szene ganz genau und bestätigt den Trend: „Vor zehn Jahren hatten wir drei Sorten Gin im Regal, wobei nur Bombay Sapphire nicht verstaubte. Nun ist unser Sortiment auf über sechzig Sorten gewachsen.“
Über die Popularität des durchsichtigen Genusses werden wir noch einiges zu hören und zu probieren bekommen. Das Seminar beginnt mit einer ersten Probe, einem frühlingshaften Erdbeer-Cocktail auf Gin-Basis. Das Rezept gibt es praktischerweise gleich dazu:
Strawberry Peak
- 4 CL Gin
- 2 CL Erdbeer-Rhabarber-Likör
- 1 CL Limettensaft
- 10 CL Erdbeersaft (alternativ 5 cl Erdbeersaft und 5 cl Rhabarbersaft)
- mit Tonic aufgießen.
Sehr lecker! Den Gin und die passenden Liköre gibt es bei „Piekfeine Brände“ gleich im Doppelpack zu kaufen. Bestimmt lässt sich der Cocktail aber auch mit Zutaten anderer Hersteller nachbauen. ;-)
Damit es uns nicht gleich innerhalb der ersten halben Stunde von den Bänken haut, serviert Birgitta Schulze van Loon einige Leckereien, von Brot mit Olivenöl bis Salami und Käsehäppchen. Während wir knuspern, erfahren wir in einem kurzen Vortrag so einiges über die Herkunft des Gins.
Der Name leitet sich indirekt vom botanischen Namen des Wacholders Juniperus ab, wobei manchmal die auf Englisch so genannten juniper berries als Namensgeber genannt werden, meist aber das niederländische Vorläufergetränk Genever.
Letztlich ist Gin ein klarer Branntwein mit mindestens 37,5 % Vol., normalerweise aber über 40 % Vol. Er erhält seinen charakteristischen Geschmack aus der Aromatisierung mit Gewürzen, darunter vor allem Koriander und die Seele des Gins: Wacholderbeeren. Weitere Bestandteile, sogenannte Botanicals wechseln von Hersteller zu Hersteller, beispielsweise Beeren, Rinden, Samen, Früchte, Wurzeln, Schalen oder Kräuter. Insgesamt kommen bei der Gin-Herstellung etwa 120 verschiedene Zutaten als Aromen und Wirkstoffe zum Einsatz. Je mehr Alkohol er enthält, desto mehr Geschmack wird aus den Botanicals herausgekitzelt.
Wir lauschen der Geschichte des Getränks, erfahren vom britischen „Gin Craze“ (zu deutsch Wachholderschnaps-Wahnsinn) im 19. Jahrhundert und davon, dass die Spirituose auch gern als „Aufgesetzter“ aus der Badewanne in Massenfertigung zu Hause produziert wurde.
Wem der pure Gin zu heftig ist, probiert die diversen Gin-Cocktails wie Gimlet, Singapore Sling, Aviation oder Martini Cocktail. Aber Achtung: James Bond verlangte immer nur den geschüttelten Wodka Martini! Die Beliebtheit des britischen Spions führte tatsächlich zu einem Gin-Rückgang! Unglaublich. Der legendäre Münchner Bar-Mann Charles Schumann allerdings konstatierte: „Wodka ist für Wirkungstrinker, Gin ist für Bildungstrinker“.
Aber dann! Dann dürfen wir endlich zugreifen bei den schon vor uns stehenden fünf verschiedenen Gin-Sorten und verkosten, was das Zeug hält. Zusätzlich gibt es einen Stichwortzettel, auf dem wir unsere Notizen zu den einzelnen Produkten notieren. Mit dabei sind zum Beispiel ein „Generous“, der nach Holunderblüte, Rosmarin und Jasmin duftet. Ein süßer Both’s Old Tom der nicht nur nach Süßholz und Himbeere roch, sondern zusätzlich mit Zucker gesüßt wird. Eine Erfahrung ;-) Der London No 1 Blue Gin macht durch seine leicht bläuliche Farbe auf sich aufmerksam, die er durch ein Gardenien Extrakt erhält. Außerdem hat er eine feine Note von Zimt und Koriander. Etwas skeptisch beäuge ich zunächst den Rutte Celery Gin, denn er wird, wie der Name schon verrät, mit Sellerie produziert. Kaum zu glauben, aber auch der ist echt lecker. Und natürlich gibt es Birgitta Schulze van Loons eigenes Produkt, den Triple Peak.
Nach dem Motto „Aller guten Dinge sind Drei“ brachte die Brennerin nach Ablauf ihres dritten Geschäftsjahres einen eigenen Gin auf den Markt. Zu den aromatisierenden Zutaten, wie den traditionellen Bestandteilen Wacholder, Koriander, Fenchel und Zitrusfrüchten, kommen hier die drei nordischen Wildfrüchte Hagebutte, Holunder und Sanddorn hinzu. Gleiches gilt für feinsten Earl-Grey-Tea. Und das schmeckt man. Perfekt für mich, denn ich liebe das Aroma von Bergamotte.
Nach der ersten Runde Gin ist die Stimmung schon sichtlich gelöst. Jetzt heißt es aber erst einmal: wieder aufstehen und auf zur kurzen Brennereiführung! Und dabei geht es ausnahmsweise nicht nur um den Gin.
„Bei der Destillation habe ich mich für das traditionelle und wesentlich aufwändigere Rau- und Feinbrandverfahren entschieden. Das macht meine Brände ganz besonders mild“, erklärt Birgitta Schulze van Loon. „Mein Obst beziehe ich hauptsächlich von mir persönlich bekannten Obstbauern, die ich während meiner Ausbildungszeit im Süden kennengelernt habe. Darüber hinaus nutze ich selbstverständlich regionale Quellen aus Norddeutschland, wie zum Beispiel dem Alten Land an der Niederelbe.“
Hauptsächlich produziert sie in ihrer verglasten Brennerei traditionelle Obstbrände. „Auf Basis meiner Brände stelle ich außerdem Premium-Liköre her.“ Kurios ist zum Beispiel ihr Bierbrand: „Hanseat 40.0“, den sie in Kooperation mit der Freien Brau Union Bremen brennt, der das untergärige Bier „Hanseat 2.0“ braut. Aber auch ihr erster Jahrgang Single Malt lagerte seit 2012 in Eichenholzfässern. Er ist der erste „Hanseatic Single Malt Whisky“ und seit 2015 auf dem Markt.
Nach dem kurzen Rundgang geht es zurück an die reich gedeckten Tische. Hier sind inzwischen verschiedene Tonics aufgebaut worden, die es nun ebenfalls zu verkosten gilt. Unglaublich, welche Vielzahl da auf den Tisch kommt. Wir probieren nicht nur das klassische Schweppes Dry Tonic, sondern auch Fever Tree, Mediterranean Tonic und sogar ein Gurken-Tonic von Dr. Polidoris sowie das recht gewöhnungsbedürftige Soul Soda Miss Violet – ein Veilchentonic …
Nach dem Prinzip „Ein Tonic ohne Alkohol ist ginlos” geht es anschließend los mit der Kreuzverkostung. Welcher Gin passt am besten zu welchem Tonic? In einer Abstimmung wird anschließend der Favorit ermittelt. Ich verrate hier jetzt aber nicht, welche Kombination gewonnen hat, denn das Ergebnis variiert bei den verschiedenen Tastings. Probiert es am besten einfach selbst aus! Auch macht es viel Spaß, den fertigen Gin Tonic anschließend noch mit einigen Botanicals selbst zu verfeinern. Wir haben Klassiker wie Zitronenschalen und Gurke beigefügt, aber auch Thymian oder Sellerie.
Nach drei Stunden testen und kosten ist die Stimmung deutlich lockerer geworden – einige ganz Verwegene trauen sich jetzt auch noch an die bereitgestellten Obstbrände. Mir reicht es erst einmal. Ich bin im Gin-Fieber und werde nun auch zu Hause fleißig experimentieren.
Draußen vor der Brennerei scheint noch die Sonne und ich genieße die frische Luft und den Blick auf das Wasser – eine tolle Lage! Mit dem Rad geht’s jetzt aber nicht mehr nach Hause. Glücklicherweise werde ich mit dem Auto abgeholt. Auf dem Nachhauseweg darf sich mein Fahrer all die Erlebnisse und neuen Erkenntnisse anhören – und zu Hause gibt’s zum Abschluss noch ein „wönziges Schlöckchen“ Triple Peak. Wohlsein!
Weitere Infos zur Brennerei „Piekfeine Brände“ haben wir für euch zusammengestellt. Wenn ihr insgesamt mehr über die kulinarischen Seiten Bremens erfahren wollt, dann schaut doch mal vorbei.
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