Neue Wege zum Jubiläum
LebensqualitätDer Kunstverein in Bremen feiert seinen 200. Geburtstag mit einer ungewöhnlichen Ausstellung
Als 34 Kunstfreunde 1823 in Bremen den Kunstverein gründeten, war das nicht nur ungewöhnlich, sondern auch fortschrittlich: Bis dahin waren es üblicherweise Adelige gewesen, die Kunstsammlungen anlegten. Noch heute ist der Verein der private Träger der Kunsthalle Bremen, was das Museum zu einem Unikum in Deutschland macht. Im kommenden Jahr feiert der Kunstverein seinen 200. Geburtstag. Für das Jubiläumsjahr ist neben einer Rückschau auch ein Blick nach vorne geplant – mit einer von Jugendlichen kuratierten Ausstellung, die das Lebensgefühl junger Menschen in den Fokus stellt.
Der Container, der seit Mai 2022 im Außenbereich der Kunsthalle aufgestellt ist, fällt schnell ins Auge. Und doch dürften nur die wenigsten wissen, was sich darin verbirgt – nämlich ein Ort, an dem derzeit etwas Besonderes entsteht. Immer dienstags treffen sich hier die Mitglieder des Jugendclubs „New Perceptions“, um die Ausstellung „Generation* - Jugend trotz(t) Krise“ vorzubereiten, die nächstes Jahr vom 13. Mai bis zum 10. September in der Kunsthalle Bremen zu sehen sein wird. Dabei geht es nicht nur um Ästhetik von Kunstwerken, sondern auch um die Sorgen und Hoffnungen, die junge Menschen heute beschäftigen. „Wir wollen Themen in die Ausstellung bringen, die uns wichtig sind und die normalerweise eher keinen Raum bekommen“, sagt Jumana Ismail (19), eines von knapp 20 Mitgliedern der „New Perceptions“. Und ihre Mitstreiterin Lynn Dittel (18) macht deutlich: „Die Probleme von Jugendlichen werden häufig nicht so ernst genommen, dabei verdient unsere Perspektive genauso gesehen und gehört zu werden wie die der Älteren.“
Innerer Fluchtraum, äußerer Kampf
Es geht um Körperbilder, Rückzugsräume und politisches Engagement: Auf diese Hauptthemen hat sich die vor einem Jahr auf Initiative der Kunsthalle gegründete Gruppe nach intensiven Diskussionen verständigt. „Diese Themen beschäftigen uns einfach am meisten“, erläutert Lynn Dittel. „Wir sehen es überall, auch in den sozialen Medien, wie Körper angeblich auszusehen haben. Im zweiten Thema geht es uns um private Räume, die wir nutzen, um Problemen und den aktuellen Krisen unserer Zeit irgendwie zu entfliehen. Und mit unseren politischen Auseinandersetzungen meinen wir vor allem unsere aktivistische Arbeit, zum Beispiel im Rahmen von Fridays for Future oder Black Lives Matter.“
Komplexe Themenwelt in Kunst umgesetzt
Bei ihren wöchentlichen Begegnungen diskutieren die Jugendlichen, welche Künstlerinnen und Künstlern diese Anliegen schon am eindrücklichsten in Kunst umgesetzt haben – und welche konkreten Werke im kommenden Jahr Bestandteil der Ausstellung sein sollen. Kunst biete andere Möglichkeiten als Sprache, die eigenen Gedanken der Öffentlichkeit zu präsentieren, meint Lynn Dittel. „Kunstwerke sind oft polarisierender“, sagt die 18-Jährige. „Das regt mehr zum Nachdenken an, damit in den Köpfen der Konsumierenden etwas passiert.“ Ob Klimakatastrophe oder Rassismus, hypermedialisierte Körper oder Inszenierung (falscher) Identitäten, der Verlust physischer Begegnungsräume durch die Pandemie oder das Erstarken digitaler Gemeinschaften: Es ist eine komplexe Themenwelt, mit der Jugendliche heute konfrontiert sind und die sich in der Ausstellung widerspiegeln soll.
Bewusster Gang in die Zukunft
Geplant ist mit der Ausstellung ein spannungsreicher Austausch aus etablierten Positionen und Newcomern, aus Malerei und Social Media Feeds. „Viele der Künstlerinnen und Künstler sind der breiten Öffentlichkeit noch nicht bekannt, weil sie selbst noch jung sind“, erläutert Eva Fischer-Hausdorf, die als Kuratorin für moderne und zeitgenössische Kunst in der Kunsthalle zusammen mit ihrer Kollegin und wissenschaftlichen Mitarbeiterin für gesellschaftliche Vielfalt Jennifer Smailes die „New Perceptions“ mit ihrer Expertise unterstützt und die inhaltliche Gestaltung begleitet. „Die Ausstellung wird bewusst subjektiv und vielstimmig das fragmentierte Porträt einer facettenreichen Generation zeichnen.“ Sie selbst erlebe den Austausch mit den Jugendlichen als sehr bereichernd und sei beeindruckt, wie achtsam, respektvoll und eloquent sie miteinander diskutierten. „Wir gehen mit dieser Gruppe ganz bewusst in die Zukunft“, betont die 42-Jährige. „Das ist ein wesentlicher Aspekt des Jubiläumsjahrs.“
„Einen neuen Zugang ermöglichen“
Neben dem Jugend-Projekt sind für das kommende Jubiläumsjahr noch zwei weitere zentrale Ausstellungen in der Kunsthalle geplant: „Kunst vereint! Die frühen Jahre der Sammlung“ (22. April bis 20. August 2023) sowie „Geburtstagsgäste. Monet bis Van Gogh“ (7. Oktober 2023 bis 4. Februar 2024). „Mit dieser Kombination bewerkstelligen wir einerseits einen großen Rückblick und beleuchten die Geschichte des Kunstvereins“, erläutert Christoph Grunenberg, Direktor der Kunsthalle. „Und gleichzeitig stellen wir uns gut für die Zukunft auf, indem wir mit jungen Menschen zusammenarbeiten, ihnen einen neuen Zugang ermöglichen und ihnen eine wichtige Rolle geben.“ Die von den Jugendlichen kuratierte Ausstellung sei sichtbarer Ausdruck der Kooperation mit den „New Perceptions“, die auch nach 2023 auf jeden Fall fortgeführt werden solle.
Nachhaltige Eindrücke schaffen
Die Gründung des Kunstvereins vor fast 200 Jahren war laut Grunenberg „eine Art Bürgerinitiative – im Bestreben der bürgerlichen Emanzipation, aber auch mit dem erzieherischen Gedanken, das Schöne zu verbreiten“. Heute ist der Kunstverein mit mehr als 10.000 Mitgliedern der größte Kunstverein Deutschlands. „Das ist für eine Stadt wie Bremen eine starke Aussage und zeigt, wie eng die Bürgerinnen und Bürger mit der Kunsthalle und mit dem Verein verbunden sind“, betont der 60-Jährige. Die Museumsarbeit habe sich durch neue Formen und neue Kommunikationsarten wie Social Media stark verändert. Er sehe die Aufgabe einer Kunstinstitution darin, sich mit den relevanten Fragen der Zeit auseinanderzusetzen, wie sie die Kunst reflektiere. „Es geht aber auch immer noch um ästhetischen Genuss“, macht der Kunsthallendirektor deutlich. „Mir ist es persönlich wichtig, nachhaltige Eindrücke zu schaffen, die Menschen mit nach Hause nehmen und die sie bewegen.“
Beitrag für eine bessere Welt
Es ist davon auszugehen, dass dies auch auf die Werke zutreffen wird, die die „New Perceptions“ gerade für ihre Ausstellung auswählen. Die Liste der Wunsch-Künstlerinnen und -Künstler ist so gut wie komplett: In den kommenden Monaten wird es nun darum gehen, das Organisatorische zu regeln und ein detailliertes Konzept zu erarbeiten. Was sich die Mitglieder des Jugendclubs am meisten wünschen, ist eine Welt ohne Rassismus, ohne Krieg und ohne Diskriminierung. „Eine Welt, in der Individualität komplett akzeptiert und toleriert wird“, bringt es Lynn Dittel auf den Punkt. „Kunst kann da schon ein Denkanstoß sein. Sie kann nicht die ganze Welt verändern, aber irgendwo muss es ja im Kleinen anfangen.“ Und Emily Kunusch (20) ergänzt: „Vielleicht kann die Ausstellung den einen oder anderen zum Umdenken bringen. Zumindest ist es das, was wir hoffen.“
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