Briefe aus dem Silicon Valley: Sommer 2021
InternationalesTechnologien und Trends aus dem Tal der Techies
Im Labor gezüchtetes Fleisch und pflanzliche Proteinalternativen machen sich daran, unsere Ernährungsgewohnheiten zu verändern. In diesem Länderbrief schauen wir einmal tiefer in die Industrie und zeigen zehn vielversprechende Start-ups aus aller Welt.
Direkt aus den USA meldet sich Tim Ole Jöhnk, Direktor des Northern Germany Innovation Office (NGIO), mit Themen, die das Silicon Valley in den vergangenen Tagen und Wochen heiß beschäftigen. Sie wollen unsere Länderbriefe regelmäßig als Newsletter erhalten? Melden Sie sich hier an.
Ein Blick auf Trends in der Lebensmittelindustrie von Tim Ohle Jöhnk aus dem Silicon Valley:
Fleisch und Fisch aus Pflanzen – brandneue Innovation oder längst Alltag?
Fleisch- und Fischersatzprodukte sind schon längst keine radikal neue Idee mehr – der aufsehenerregende Börsengang von Beyond Meat aus Los Angeles liegt nun bereits zwei Jahre zurück. Der direkte Konkurrent aus Redwood, Kalifornien, Impossible Foods, verkauft seine Burger weltweit über Fastfoodketten wie Burger King oder bei Retailern wie LIDL. Vom Hype sind die Fleischalternativen zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz geworden.
Beide Unternehmen setzen auf Fleischalternativen, gewonnen aus Pflanzenproteinen. Laut dem Good Food Institute GFI machen diese einen jährlichen Umsatz von 1,4 Milliarden Euro in den USA, mit starkem Wachstum (2020: 45 Prozent) – haben aber bisher nur einen geringen Marktanteil von 1,4 Prozent, gemessen an den gesamten Fleischverkäufen.
Dieses Verhältnis könnte sich schon in wenigen Jahren deutlich verändern. Laut GFI liegen die deutlich verbreiteteren Milchalternativen schon bei rund 15 Prozent Marktanteil. Vor kurzem ging die wohl bekannteste Marke für Pflanzenmilch – OATLY aus Schweden – ebenfalls an die Börse.
Dabei zeigt sich, dass 98 Prozent aller Konsumierenden von Fleischalternativen auch selbst Fleisch essen – und mit hoher Wahrscheinlichkeit nach dem ersten Kauf wiederholt auf pflanzliche Alternativen setzen. Das Marktpotenzial der Ersatzprodukte ist damit riesig – so groß, dass manche Analysten davon sprechen, 2020 in den USA bereits „Peak Meat“ erreicht zu haben, also für die Zukunft stetig sinkende Marktanteile und Konsumentenausgaben für echtes Fleisch erwarten.
Neben Fleisch- und Fischersatz aus Pflanzen forschen das Silicon Valley und der Rest der Welt an echtem Fleisch aus dem Labor – lab-grown meat. Eine deutlich größere Herausforderung, denn hier kommen Stammzellen von echten Tieren zum Einsatz, die angeregt werden, sich in der Petrischale zu echten Muskelsträngen weiterzuentwickeln. Weltweit fließen hunderte Millionen Dollar in die Forschung (siehe Liste) – so erhielt etwa Memphis Meats aus dem Valley 2019 eine Investition von 160 Millionen Dollar. In Singapur wurde Ende 2020 bereits das erste Hühnchen-Laborfleisch als Lebensmittel zugelassen und in einem Restaurant zum konkurrenzfähigen Preis von knapp 20 Dollar pro Gericht in den Verkehr gebracht – ein Produkt des Start-ups Eat Just aus San Francisco, das bereits mehr als 400 Millionen Dollar an Funding erhielt. Auch in Israel wird bereits erstes Hühnchenfleisch aus dem Bioreaktor zu Testzwecken serviert.
Bisher gibt es noch kein im großen Stil kommerziell verfügbares Laborfleisch und -fisch, aber gleich mehrere Start-ups sind kurz davor, Marktreife zu erreichen. Wie bei allen Technologien werden auch hier die Produkte aufgrund ihrer hohen Kosten Anfangs nicht konkurrenzfähig sein, aber die Economy-of-Scale gilt auch hier – so die Rechnung des Silicon Valleys und anderer Marktteilnehmender. Das World Economic Forum geht von einem breiten Marktstart 2023 aus.
Das große Marktpotenzial der Fleisch- und Fischersatzstoffe haben auch die großen Konzerne längst erkannt – der Pharmariese Merck etwa bietet seine Dienste in der Erforschung und Industrialisierung von Zellkulturen an. Und Tyson Foods, größter US-Fleischverarbeiter, hat nun auch seine eigene Linie an Alternativen im Programm, nachdem er jahrelang in das Start-up Beyond Meat investierte. Nahrungsmittelriesen wie Nestlé, Unilever und Danone sind ebenfalls schon lange im Geschäft. Aber auch für den Mittelstand bieten sich hier Chancen – wie etwa die Rügenwalder Mühle beweist (siehe weiter unten).
10 Start-ups mit Fleisch- und Fischalternativen
Der Ersatz von herkömmlichen Fleisch ist alternativlos: Bis 2050, davon geht das World Resources Institute aus, könnte die Nachfrage nach Fleisch (wenn man den heutigen Konsum in die Zukunft projiziert) durch Bevölkerungswachstum und zunehmenden Wohlstand um 88 Prozent steigen. Das würde zusätzliches Farmland in der Größe von Indien erfordern und die CO2-Emission der Fleischindustrie nochmals deutlich erhöhen.
Dieses Worst-Case-Szenario können nur Fleischalternativen abfangen. Heutige Prognosen gehen deshalb von einem stetig sinkenden Marktanteil von klassischem Fleisch aus. Bis 2040 könnte Fleischersatz das tierische Original im Marktanteil sogar übertreffen, so eine Studie von Kearney. Auf der ganzen Welt arbeiten deshalb Start-ups an Alternativen. Wir haben einige vielversprechende Kandidatinnen und Kandidaten zusammengetragen:
- Gathered Foods (USA)
Gathered Foods produziert Good Catch, eine zu 100 Prozent pflanzliche Alternative zu Fisch und Meeresfrüchten. Die Firma hat Anfang 2020 ihre Series B-Investmentrunde von 32 Millionen US-Dollar abgeschlossen.
Typ: Pflanzenbasiert - Shiok Meats (Singapur)
Shiok Meats ist die weltweit erste Firma, die zellenbasiertes Krebsfleisch herstellt. Das Unternehmen hat im September 2020 ihre Series A-Investmentrunde von über 12,6 Millionen US-Dollar abgeschlossen und plant eine Versuchsproduktion von zellenbasierten Shrimps, welche 2022 in den Regalen zu finden sein soll.
Typ: Zellenbasiert - Aleph Farms (Israel)
Mit zahlreichen Start-ups im Bereich des Laborfleisch macht die Nahrungsmittelindustrie in Israel von sich reden. Aleph Farms kombiniert die Fleischzucht im Labor mit dem 3D-Druck und hat so gegen Ende 2020 das erste künstliche Steak vorgestellt.
Typ: Zellenbasiert - The Plant based Seafood Co (USA)
Plant Based Seafood Co wurde 2020 gegründet und stellt pflanzenbasierte Fischersatzprodukte her. Das erste Produkt erschien im August 2020. Im September gewann die Firma den “Most Innovative” Spirit of Innovation Preis und die PETA Libby Auszeichnung in der Kategorie “vegan best meat”.
Typ: Pflanzenbasiert - Kuleana (Spanien)
Die Firma stellt Thunfisch und Lachs aus pflanzlichen Proteinen her. Das erste Produkt, Thunfisch, basiert auf Eisen, Algen-Öl und einem Mix sonstiger Proteine. Die Firma hat 50.000 Euro Seed-Funding eingenommen und war Teil der Sommerkohorte des “Y Combinator” Start-up-Programms.
Typ: Pflanzenbasiert - Kinoko Labs (Deutschland)
Kinoko Labs entwickelt sowohl Fleisch als auch Fisch aus Myzelium (also Pilzen) und zielt darauf ab, koch- und bratfertige (also bereits gewürzte, marinierte und panierte) Produkte auf den Markt zu bringen.
Typ: Pilze / Pflanzenbasiert - New Wave Foods (USA)
Die Firma produzierte eine Alternative zu Shrimps, welche aus Seegräsern hergestellt wird. Das Start-up, welches im Januar 2021 eine 18 Millionen US-Dollar Series-A gesammelt hat, verkauft an Restaurants und sonstige Großküchen.
Typ: Pflanzenbasiert - Prime Roots (USA)
Prime Roots ist zurzeit die einzige Firma weltweit, die aus Koji-Pilzen Fleisch- und Fischersatz herstellt. Die Firma hat eine Vorreiterrolle im Bereich der Gärungsprozesse- und Technologie und hat im Juli 2020 eine Series A Runde von 16 Millionen US-Dollar geschafft.
Typ: Gärung/ Pflanzenbasiert - Avant Meats (Hong Kong)
Avant Meat stellt aus kultivierten Fischzellen asiatische Delikatessen wie etwa Fischblasen und Seegurken her. Die Firma debütierte ihre ersten Produkte im November 2019. Im Februar 2021 stellte das Startup ein zellenbasiertes funktionelles Protein vor, welches in der Dermatokosmetik zum Einsatz kommen soll. Im Dezember 2021 schloss die Firma eine Seed-Runde von über 3.1 Millionen US-Dollar ab.
Typ: Zellenbasiert - Mosa Meat (Niederlande)
Die Niederlande gelten als eines der Pionierländer im Bereich der Fleischzüchtung und Mosa Meat ist eines der bekanntesten Start-ups. Mit mehr als 85 Millionen US-Dollar an Investments spielt es ganz vorne mit – und wurde schon 2016 gegründet.
Typ: Zellenbasiert
Chancen für Deutschland und Bremen?
Auch in Deutschland wächst der Markt für „alternative Proteine“, wie Milch- und Fleisch- und Fischersatzprodukte auch genannt werden. Heute machen Milchalternativen mehr als fünf Prozent des Marktes aus (lt. Handelsblatt). Im ersten Quartal 2020 stieg die Nachfrage nach Fleischersatz um 37 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und: Sowohl Fleisch- als auch Milchkonsum sind seit Jahren in Pro-Kopf-Zahlen rückläufig. Ein deutsches Erfolgsbeispiel ist die Rügenwalder Mühle – vor knapp einem Jahr verkündete das Unternehmen, dass es erstmals mehr Umsatz mit Fleischalternativen als mit dem klassischen Wurstgeschäft verdiene.
Als Lebensmittelstadt geht auch an Bremen der Trend zu Fleischersatzstoffen nicht vorbei – im Gegenteil, auch hier machen sich sowohl Start-ups als auch etablierte Konzerne daran, diesen sich rasant entwickelnden Markt zu entdecken. So hat etwa die Fastfoodkette Nordsee aus Bremerhaven einen Back-“Visch“ im Angebot, also eine Backfischalternative aus Reis, Weizen und Hülsenfrüchten. Auch das Deutsche Milchkontor, die größte Molkereigruppe Deutschlands, beschäftigt sich mit dem Trend.
Fleischalternativen bringt hingegen das Start-up CheWOW in die Supermärkte. Mit Lasagne, Fischstäbchen oder Nuggets aus Ackerbohnen oder Gyros aus Kürbiskernen sind Produkte des jungen Unternehmens bereits heute in Rewe- oder Edeka-Märkten an mehreren Standorten in Deutschland zu finden.
Neben der Produktion von Fleischersatz bildet der Markt für Proteinalternativen auch für den Maschinenbau sowie die Biotech-Industrie Wachstumspotenzial. Häufig eingesetzte Pflanzenstoffe wie Bohnen, Erbsen, Öle oder Kerne werden auch im Bereich des Fleischersatzes nicht revolutionär neu verarbeitet – viele Maschinen gibt es dafür bereits auf dem Markt. Zusammen mit der Tatsache, dass Verbrauchende immer mehr auf regionale Produktion und Herkunft achten, ergibt sich so auch für den Mittelstand Potenzial, an diesem Trend teilzuhaben.
Ähnlich sieht es auch beim Laborfleisch aus, das auf viele Prozesse zurückgreift, die in anderen Bereichen der Biotechnologie Standard sind – etwa Bioreaktoren zur Zellvermehrung. Hier bieten sich Chancen für Zulieferer wie auch Unternehmen aus der Medizintechnikbranche.
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