Briefe aus der Türkei: Ausgabe Sommer 2025
InternationalesDie Türkei setzt auf High-Tech-Innovationen, um langfristig zu wachsen

Die Türkei setzt auf High-Tech-Innovationen, um langfristig zu wachsen. Gelingt ihr das? Das zeigt unser Türkei-Experte Erol Tüfekҫi in unserem Länderbrief.
Direkt aus der Seehafenstadt Izmir berichtet Erol Tüfekҫi, Direktor des dortigen Bremeninvest-Büros der Wirtschaftsförderung Bremen, und gibt uns einen Überblick über Trends, Chancen und neue Entwicklungen im Land. Wenn Sie diesen Länderbrief regelmäßig als Newsletter erhalten wollen, melden Sie sich gern hier an.
Türkei will ausländische Investitionen um 50 Prozent steigern

Mit einem soliden Wirtschaftswachstum von rund 3 Prozent – knapp unter dem weltweiten Durchschnitt von 3,2 Prozent für das Jahr 2025, aber deutlich über dem Niveau der EU-Staaten – bleibt die Türkei wirtschaftlich auf Expansionskurs. Vor diesem Hintergrund hat das türkische Handelsministerium ein ehrgeiziges Ziel formuliert: So soll der Anteil der Türkei an den weltweiten ausländischen Direktinvestitionen von derzeit einem Prozent auf 1,5 Prozent bis 2028 steigern.
Damit die Türkei als Investitionsstandort attraktiver wird und mehr Kapital anzieht, muss sie aber kurz- und langfristig Reformen einführen. Während das Land bei der Bekämpfung der Inflation gute Fortschritte erzielt und die strenge Finanzpolitik Erfolge vermelden kann, sieht die OECD in ihrem aktuellen Bericht in vielen Bereichen noch Nachholbedarf. Dazu zählen unter anderem Einschränkungen für ausländische Investitionen in einzelnen Sektoren, geringe Arbeitsmobilität, eine unzureichende Beteiligung von Frauen am Erwerbsleben, ein Nachholbedarf bei der Klimaanpassung sowie Defizite im Bereich Innovationskraft.
High-Tech-Standort auf dem Vormarsch
Bei letzterer sieht die OECD eine Diskrepanz, die auch für ausländische Investorinnen und Investoren eine Chance sein könnte. So gibt es eine große Zahl gut ausgebildeter Fachkräfte, die von den Universitäten strömen, aber relativ wenige adäquate Jobs für sie. Die türkische Wirtschaft sei bislang noch zu wenig auf Forschung und Entwicklung ausgerichtet, so die OECD.
Diese Herausforderung hat auch die Regierung erkannt. Sie verfolgt das Ziel, strategische Zukunftsbranchen gezielt zu stärken – etwa die Produktion von Elektrofahrzeugen und Batterien, regenerative Energien, Biotechnologie, Robotik und Halbleitertechnologien. Für internationale Investor:innen eröffnet sich hier die Möglichkeit, die notwendige Innovationsdynamik vor Ort mitzugestalten.
Dass die Türkei viele Chancen bietet, zeigt etwa die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD): Sie sieht in der Türkei einen ihrer wichtigsten Investitionsstandorte. Sie engagiert sich besonders in den Bereichen grüne Transformation und Förderung der Frauenerwerbsquote – zwei Felder, die auch von der OECD als zentrale Entwicklungsziele benannt werden.
Auch der private Sektor zeigt Investitionsbereitschaft, vor allem in Produktions- und Logistikkapazitäten. So kündigten im vergangenen Jahr Unternehmen wie das Automobilunternehmen BYD, der Windkraftanlagenhersteller Nordex, der Getriebefertiger W.E.G. und der Kompressorfabrikant Kaishan Group neue Werke in der Türkei.
Raumfahrtindustrie: Ambitionierter Aufbruch ins All
Zu einem High-Tech-Sektor mit Zukunft entwickelt sich derzeit auch die türkische Raumfahrtindustrie. 2024 markierte dabei ein Meilenstein: Mit Türksat 6A startete der erste vollständig in der Türkei entwickelte Kommunikationssatellit ins All. Im selben Jahr flog Alper Gezeravcı als erster türkischer Astronaut zur Internationalen Raumstation (ISS). Parallel dazu verhandelte die türkische Regierung mit Somalia über den Aufbau einer eigenen Startplattform in Äquatornähe – ein Standortvorteil für Raketenstarts.
Das nationale Raumfahrtprogramm hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: Neben dem Aufbau einer Raketenproduktion sind auch Mondmissionen und der Ausbau der industriellen Infrastruktur geplant. Erste internationale Kooperationen entwickeln sich hier bereits, wie etwa mit dem US-Unternehmen Axiom Space. Kooperationen wie diese sind dabei eine wichtige Voraussetzung für die Entwicklung des Sektors, so Experten. Für Investor:innen bietet der Raumfahrtsektor langfristiges Potenzial, verlangt jedoch Pioniergeist. Noch ist die Branche klein, die Markteintrittsbarrieren hoch und die Finanzierung stark durch staatliche Mittel geprägt. Dennoch kann ein frühzeitiges Engagement dazu beitragen, sich strategisch zu positionieren.

Rüstungsindustrie: Zwischen Autarkie und internationaler Kooperation
Deutlich weiter entwickelt zeigt sich die türkische Rüstungsindustrie – ein Sektor, der seit den US-Sanktionen im Jahr 2020 massiv ausgebaut wurde und hohe politische Priorität genießt. Inzwischen beschäftigen rund 2.000 Unternehmen etwa 100.000 Fachkräfte. Türkische Rüstungsgüter werden heute in mehr als 170 Länder exportiert. Besonders bekannt ist das Land für seine leistungsfähige Drohnentechnologie.
Ein aktuelles Beispiel für die zunehmende internationale Relevanz der Türkei ist das im April 2024 unterzeichnete Memorandum of Understanding mit Indonesien über die Lieferung von 48 KAAN-Kampfjets, einem modernen Mehrzweckkampfflugzeug, das sich noch in der Entwicklung befindet. Zudem arbeitet die Türkei an eigenen Flugzeugträgern und U-Booten, was ihre Ambitionen zur maritimen Aufrüstung unterstreicht.
Für europäische Unternehmen eröffnen sich vielfältige Kooperations- und Investitionsmöglichkeiten. Airbus ist bereits seit 2013 vor Ort aktiv und plant eine Ausweitung seines Engagements. Im April 2024 vereinbarten der italienische Konzern Leonardo und der türkische Drohnenhersteller Baykar eine strategische Partnerschaft. Die türkische Regierung unterstützt Investitionen in diesen Sektor mit umfangreichen Anreizen, darunter Steuerbefreiungen, Zollvergünstigungen, beschleunigte Abschreibungsregelungen sowie Hilfen bei Fachkräftegewinnung und Flächenakquise.
Trotz der wirtschaftlichen Potenziale ist der Sektor nicht frei von Kritik: Waffenlieferungen in politisch sensible Regionen, der frühere Einsatz von Rüstungsgütern im Inland gegen kurdische Gruppen sowie Verzögerungen bei Großprojekten aufgrund industrieller und planerischer Engpässe werfen ethische und organisatorische Fragen auf. Die Branche steht somit im Spannungsfeld zwischen sicherheitspolitischen Interessen, wirtschaftlicher Dynamik und gesellschaftlicher Verantwortung.
Bedeutung des Energiesektors nimmt zu
Die Energiebranche zählt zu den wachstumsstärksten Sektoren der Türkei – und das im doppelten Sinne. Einerseits wächst der grüne Energiemarkt dynamisch weiter, andererseits bleibt auch der fossile Bereich ein relevanter Investitionsschwerpunkt. Über die Dekarbonisierung des Sektors und die damit verbundenen Chancen für Investor:innen wurde bereits in früheren Ausgaben berichtet. Der Ausbau nachhaltiger Energien schreitet seither weiter voran.
So unterstützte die Weltbank allein im Jahr 2024 grüne Projekte in der Türkei mit 1,9 Milliarden US-Dollar. Auch die Europäische Entwicklungsbank zählt zu den aktiven Förderinstitutionen. Die türkische Regierung selbst plant, in den kommenden elf Jahren rund 80 Milliarden US-Dollar in den grünen Energiesektor zu investieren – ein klares Bekenntnis zur Transformation der nationalen Energieversorgung.
Doch der Ausbau betrifft nicht nur erneuerbare Quellen. Auch im fossilen Energiesektor fließen weiterhin erhebliche Mittel. Anfang 2024 kündigte das aserbaidschanische Staatsunternehmen SOCAR, der größte ausländische Investor in der Türkei, Investitionen in Höhe von sieben Milliarden US-Dollar an. Zudem hat die Türkei mit Somalia ein strategisches Abkommen zur Erschließung somalischer Erdölreserven unterzeichnet.
Trotz ambitionierter Klimaziele – die Türkei strebt Klimaneutralität bis 2053 an – gehen internationale Organisationen wie die OECD derzeit davon aus, dass das Land den Höhepunkt der nationalen CO₂-Emissionen erst im Jahr 2038 erreicht. Für ausländische Investorinnen und Investoren ergibt sich somit ein breites Spektrum an Einstiegsmöglichkeiten, sowohl im wachstumsstarken grünen Energiemarkt als auch in klassischen fossilen Energieprojekten.
Bremen wirbt in der Türkei für Kooperationen in der Windenergie

Die türkische Branche für erneuerbare Energien, insbesondere die Windkraft, wächst dynamisch und zeigt großes Interesse an internationalen Partnerschaften und Markterweiterungen. Als Pionierregion im Bereich Windenergie genießt Bremen weltweit einen exzellenten Ruf und empfiehlt sich damit als idealer Standort für türkische Unternehmen, die den Schritt nach Europa wagen möchten.
Im Mai 2025 reiste deshalb eine bremische Delegation in die Türkei, um Kooperationsmöglichkeiten auszuloten und Bremen als Wirtschaftsstandort zu präsentieren. Die Reise umfasste zwei zentrale Programmpunkte: eine ganztägige Investierendenveranstaltung in Izmir sowie anschließende Unternehmensbesuche und einen Messeaufenthalt auf der Wenergy Expo 2025.
An der Delegation beteiligten sich Vertreter:innen der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation, der Handelskammer Bremen – IHK für Bremen und Bremerhaven sowie des Branchennetzwerks WAB e. V. aus Bremerhaven. Gemeinsam mit Bremeninvest stellten sie die Stärken des Wirtschaftsstandorts Bremen vor – mit besonderem Fokus auf Ansiedlungsservices, Fördermöglichkeiten und Unterstützungsangebote für Unternehmensgründungen.
„Mit rund 80 Unternehmen, mehreren Forschungseinrichtungen und bis zu 3.000 Beschäftigten im Bereich der erneuerbaren Energien bietet Bremen ein hochkompetentes, stark vernetztes Cluster. Hinzu kommen erprobte Offshore-Häfen und eine ausgezeichnete Hinterlandanbindung – ideale Voraussetzungen für exportorientierte türkische Unternehmen“, betont Andreas Heyer, Vorsitzender der Geschäftsführung der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH.
Standortmarketing zeigt Wirkung: Infotage in Izmir und Umgebung

In der ersten Jahreshälfte 2025 organisierte das Izmir-Büro von Bremeninvest drei Infotage. Neben Veranstaltungen in Izmir selbst reiste Bremeninvest-Bürodirektor Erol Tufekci auch in die benachbarten Wirtschaftszentren Manisa und Torbalı, um Bremen potenziellen Investoren vorzustellen.
Torbalı, etwa 20 Kilometer südöstlich des Stadtzentrums von Izmir gelegen, zählt rund 215.000 Einwohner:innen. Neben der traditionell starken Landwirtschaft wächst dort der Industriesektor kontinuierlich. Viele internationale Unternehmen sind bereits vor Ort aktiv. Deutschland ist der zweitwichtigste Exportmarkt. Bremen ist somit ein naheliegender Partner für zukünftige Expansionsvorhaben.
Auch die stark industrialisierte Stadt Manisa in unmittelbarer Nähe zum Hafen von Izmir überzeugt mit moderner Infrastruktur und qualifizierten Fachkräften. Internationale Konzerne wie Bosch, Viessmann, Ferrero und BYD haben dort bereits investiert – ein deutliches Signal für das Potenzial der Region.
Die Gespräche im Rahmen der Delegationsreise zeigten ein großes Interesse an Bremen als europäischem Partner und Wirtschaftsstandort. Weitere Kooperationen und Unternehmensansiedlungen sind bereits in Vorbereitung.
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