Wie Unternehmen von der Neuen Seidenstraße profitieren
InternationalesDas New Silk Road Network (NSRN) verbindet Logistikexperten aus Europa und Asien
Die Neue Seidenstraße dürfte das bisher größte Infrastrukturprojekt des 21. Jahrhunderts sein. Mit Investitionen in Hunderten von Ländern wirkt China seit 2013 auf die internationalen Warenströme ein und baut globale Infrastrukturen auf, um sich dadurch Rohstoffe und Einfluss zu sichern.
Eins der wichtigsten Projekte im Rahmen dieser Initiative ist die Wiederbelebung der historischen Seidenstraße, über die in alten Zeiten der Handel zwischen Asien und Europa abgewickelt wurde und entlang der heute unter anderem eine Zugverbindung von China nach Europa läuft. Doch es gehören auch viele seegestützte Projekte dazu, beispielsweise Investitionen in Häfen in Asien und Europa.
Das New Silk Road Network (NSRN) wurde im September 2019 in Bremen mit dem Ziel gegründet, Unternehmen dabei zu helfen, von der Neuen Seidenstraße zu profitieren (offizieller Name: Belt and Road Initiative BRI). Wir sprachen mit zwei der Gründer des Netzwerks, Logistikexpertin Ziwei Liu und Alexander Hellmers, Geschäftsführer der Bremer Project Logistics Alliance.
Herr Hellmers, was ist das Ziel des Netzwerks?
Hellmers: Die BRI ist ein chinesisches Projekt. Das macht es kleinen europäischen Unternehmen, deren Geschäfte überwiegend auf heimischen Kunden basieren, wie zum Beispiel Lagerhaltungsunternehmen, äußerst schwierig, Kunden in China zu finden und so von der BRI zu profitieren. Sie wissen oft nicht, wen sie ansprechen müssen oder wie man chinesische Kunden akquiriert – da fehlen das lokale Know-how und der Marktzugang. Und sie können nicht vor Ort in China präsent sein, weil ihnen die Ressourcen fehlen, ein eigenes Büro zu unterhalten.
Für diese kleinen und mittelständischen Unternehmen sind wir hochinteressant. Wir sind in der Lage, die wichtigen Akteure der Logistikkette zu identifizieren. Nicht nur in China, sondern zum Beispiel auch in Kasachstan, Russland, dem Nahen Osten oder in Polen. Wir bieten die Verbindungen zu den örtlichen Bahngesellschaften, Lagerhäusern, Spediteuren, Frachtagenturen, Transportunternehmen, Verladebahnhöfen, Zollagenturen und so weiter.
Die Unternehmen in unserem Netzwerk können entscheiden, mit wem sie Verbindung aufnehmen, ob sie ihre Geschäftstätigkeit ausweiten möchten, und ob sie die Infrastruktur der BRI für ihre Logistikkette nutzen wollen. Der Schwerpunkt unseres Netzwerks liegt nicht darauf, so viele Mitglieder wie möglich anzuwerben, es geht vielmehr darum, für Transparenz und Unterstützung entlang der BRI zu sorgen.
Was für Unternehmen suchen Sie als zukünftige Mitglieder?
Liu: Derzeit entstehen viele neue Logistikzentren entlang der Neuen Seidenstraße, und wir wollen in jedem dieser Länder einen Spezialisten haben. Wir suchen Nischenspieler und Lokalhelden, denn die haben enorme Kompetenz in ihrem Fachgebiet – aber oftmals fehlt es ihnen an internationaler Präsenz. Unser Ziel ist es, Lieferketten billiger und effizienter zu machen. Denn in der Logistik ist man beim Aufbau von internationalen Lieferketten oft auf eine Vielzahl von Auftragnehmern und Subunternehmern angewiesen. Das treibt die Kosten hoch und macht es unrentabel für die Kunden. Wir beabsichtigen, jedes Unternehmen danach aufzulisten, was es am besten kann. Und wenn man dann zum Beispiel etwas in die ländliche Mongolei schicken möchte, kann man sich seine Lieferkette selbst zusammenstellen und ist nicht auf die Hilfe Dritter angewiesen.
Soll das heißen, dass die Lieferketten momentan enorm ineffizient sind?
Hellmers: Ja. Die chinesische Regierung fördert gegenwärtig die Expansion der BRI mit Subventionen, doch diese werden sukzessive zurückgeschraubt. Deshalb müssen in Zukunft die Effizienz der Lieferkette gesteigert und die Kosten gesenkt werden. An diesem Punkt setzen wir an, indem wir Lagerhäuser, Spediteure, Fuhrunternehmen und andere Akteure miteinander verbinden. Durch diese Zusammenführung machen wir Ketten von Subunternehmern überflüssig, die momentan noch benötigt werden, weil es an Kompetenz und Kommunikation mangelt.
Unser Netzwerk ist schneller und effizienter, da jedes Mitglied direkten Kontakt zu einem lokalen Experten hat, der seinen Markt genau kennt.
-Alexander Hellmers
Stellen die großen Unternehmen am Markt, die bereits über massive Infrastrukturen und effizientere Lieferketten verfügen – z. B. DHL, Costco, CMA oder Kühne+Nagel – eine Konkurrenz für kleine Unternehmen dar, die im Zuge der BRI expandieren wollen?
Liu: Wenn man den Markt in seiner Gesamtheit betrachtet, wird der überwiegende Teil der Fracht nicht von den Großunternehmen befördert – es sind hauptsächlich kleine und mittelständische Unternehmen mit nicht mehr als ein paar hundert Beschäftigten. Diese haben keine internationale Präsenz, keine globale Marken und kein Netzwerk, um sich die von der BRI geschaffenen Vorteile zu Nutze machen zu können. Das ist wirklich schade, denn das Potenzial ist enorm. Wir möchten es ihnen ermöglichen, ihre Dienstleistungen auf dem gleichen Niveau anzubieten wie die Großunternehmen.
Hellmers: Konzerne haben ihre eigenen Niederlassungen in China und sind in Metropolen wie Schanghai, Peking und Shenzhen aktiv. Aber wenn Dienstleistungen in kleineren Städten benötigt werden, dann arbeiten auch sie mit Subunternehmern vor Ort – sie haben also keine zusätzlichen Vorteile. Unser Netzwerk wird schneller und effizienter sein, da jedes Mitglied direkten Kontakt zu einem lokalen Experten hat, der seinen Markt genau kennt.
Ihr neues Netzwerk konzentriert sich momentan noch auf den Bahnverkehr und die Landroute. Wieso ist das so?
Liu: Die Bahnverbindungen sind noch relativ neu und viele Unternehmen benötigen Hilfe dabei, das Potenzial auszuloten. Wir behalten aber auch die Seerouten im Blick. Generell liegt unser Schwerpunkt auf Eurasien, und zum Teil auch auf Afrika, weil die Chinesen dort sehr intensiv investieren. Wir haben bereits Unternehmen aus Deutschland, dem Nahen Osten, der Türkei, Polen, Bangladesch, China und Russland als Mitglieder gewonnen.
Was ist der Hauptvorteil beim Warentransport per Bahn nach China?
Liu: Die Bahn positioniert sich zwischen Schiff und Flugzeug. Das Schiff ist unglaublich billig, das Flugzeug ist sehr viel teurer. Derzeit kostet es circa 2.000 bis 2.500 Euro, einen 40-Fuß-Container per Zug von Deutschland nach Zentralchina zu transportieren. Was die Zeit angeht, so braucht Fracht im Flugzeug 1 bis 2 Tage, im Zug 13 bis 18 Tage und per Schiff 30 bis 40 Tage. Es kommt also darauf an, was für Fracht man transportiert. Wenn sie verderblich ist, wertvoll oder sie schnell ankommen muss, doch der Luftweg zu teuer ist, dann stellt die Bahn eine gute Alternative dar.
Wird der Bahngüterverkehr in den nächsten Jahren zunehmen?
Hellmers: Eine interessante Frage. Laut Prognosen soll er sich jedes Jahr verdoppeln, was unglaublich wäre. Es ist zu erwarten, dass die Frachtkosten auf dem Seeweg nächstes Jahr ansteigen, aber nicht so sehr, dass die Bahnfracht konkurrenzfähig würde. Die Bahn ist dann konkurrenzfähig, wenn die Zeit ein Faktor ist, oder Waren ins chinesische Binnenland geliefert werden.
Dadurch, dass die Subventionen für die Bahnfracht abgebaut werden, gleichzeitig aber die Nachfrage steigt, könnte es sogar gut sein, dass sich der Markt besser reguliert. Eine Konsequenz wäre möglicherweise ein höherer Bedarf an „Less than Container Load“ oder „LCL-Fracht“, wo man nicht einen ganzen Container füllen muss, anders als beim Blockzug. Das würde den kleinen Unternehmen zu Gute kommen. Ich schätze, dass die Preise für Bahnfracht stabil bleiben und die Seefrachtkosten ansteigen werden. Dadurch wird sich das Bahnfrachtvolumen vergrößern.
Liu: Es ist nicht nur eine Frage des Preises, sondern auch der Gewohnheit. Wer immer per Schiff transportiert hat, der bliebt auch dabei. Man hat seine bestehenden Kontakte, warum sollte man das ändern? Alternative Transportrouten bringen viele neue Herausforderungen mit sich. Aber mit der Entwicklung der Bahnrouten und der zunehmenden Diskussion darüber sehen wir immer mehr Bereitschaft in den Unternehmen, Neuland zu erforschen und den Versuch zu wagen. Unser Netzwerk hilft dabei, diesen Schritt zu machen.
Was für Dienstleistungen werden Sie anbieten?
Liu: Wir werden sowohl Online als auch Offline präsent sein. Offline planen wir jährliche Treffen. Heutzutage wird zwar alles online abgewickelt, aber es ist immer noch wichtig, mit Partnern auch persönlich zu sprechen. Unser erstes Treffen findet nächstes Jahr statt, auf dem Programm stehen Präsentationen von Praxisbeispielen sowie intensive Einzelgespräche.
Abgesehen davon werden wir eine Online-Marketing-Plattform anbieten. Unternehmen erhalten ein Profil auf unserer Plattform wo sie sich präsentieren, Neuigkeiten und Informationen posten und mit anderen Kontakt aufnehmen können.
Hellmers: Außerdem wollen wir dort einen Informationsbereich mit Neuigkeiten über die BRI einrichten. Und wir planen einen Zahlungsschutz. Unternehmen, die erstmalig mit ausländischen Firmen zusammenarbeiten haben dann eine Garantie, dass ihre Zahlungen abgesichert sind.
Bremen ist ein wichtiger Logistikstandort, aber die Züge auf der Neuen Seidenstraße halten bisher nicht hier, im Gegensatz zu Hamburg. Für welche in Bremen ansässigen Unternehmen ist das Netzwerk geeignet?
Liu: Historisch gesehen ist Bremen nicht so eng mit Asien verbunden wie Hamburg oder Düsseldorf. In Bremen ging es immer mehr um den Handel mit Amerika. Aber es gibt Bremer Unternehmen die für uns von Interesse sind: zum einen Firmen, die ihren Kundenstamm in China erweitern möchten, das heißt Speditionen. Alle im Güterverkehrszentrum Bremen ansässigen Unternehmen sind für uns potentielle Kunden und könnten enorm von unserem Angebot profitieren. Sie sind bisher auf Speditionen und deutsche Kunden angewiesen, um Aufträge aus China zu akquirieren. Mit uns könnten sie direkt für chinesische Spediteure sichtbar sein.
Lassen Sie uns abschließend noch einen Blick auf geopolitischen Auswirkungen der BRI werfen. Die Bremer Häfen sind ein grundlegender Bestandteil der Bremer Wirtschaft. Doch die BRI verschiebt den Warenstrom seit geraumer Zeit in Richtung Zugverkehr und in Richtung der Mittelmeerhäfen. Wird sich dieser Trend negativ auf die Bremer Hafenwirtschaft auswirken?
Hellmers: Man muss verstehen, worum es China geht: Die chinesische Regierung übt eindeutig einen geopolitischen Einfluss aus. Das wird oft negativ bewertet. Als Unternehmen sehen wir die Entwicklung jedoch aus einer neutralen Geschäfts-Perspektive. Es ist nicht unsere Aufgabe, die Geschehnisse zu beurteilen.
Es stellt sich natürlich dabei die Frage: Ist das die BRI eine Bedrohung für uns als Deutsche? Als Nation gesehen vielleicht – aber als kleines oder mittelständisches Unternehmen? Eher nicht. Die Umverteilung von Lieferketten und Vermögen bringt immer Geschäftschancen mit sich und da setzen wir an. Das ist unsere Chance – die chinesische Regierung geht ganz offen auf Unternehmen zu, sie hat Geld, und sie braucht Partner. Diese Gelegenheit können wir uns nicht entgehen lassen. Was die Auswirkungen auf die Häfen betrifft, ist das schwer zu sagen, das hängt von so vielen Faktoren ab, da möchte ich keine Prognose abgeben.
Frau Liu, Herr Hellmers – vielen Dank für das Gespräch!
Matthias Hempen
Akquisition und Projekte
Projektleiter internationale Ansiedlung, Schwerpunkt China
+49 (0) 421 9600-127
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