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20.11.2023 - Reinhard Wirtz

Mehr Frauen in IT-Jobs – wie geht das?

Fachkräfte

Forschung in Bremen zu Frauen in naturwissenschaftlich-technischen und Informatik-Berufen

Frau und Roboter
Dr. Kristina Kühn wünscht sich mehr Frauen in der IT - und forscht an den Ursachen © WFB/Rathke

Warum gibt es so wenige Frauen in IT-Jobs? Dr. Kristina Kühn (39), ist Wissenschaftlerin am Institut Technik und Bildung (ITB) der Universität Bremen, und forscht seit Längerem zum Thema Frauen in naturwissenschaftlich-technischen und Informatik-Berufen. Sie engagiert sich dafür, Frauen den Zugang zu IT-Berufen zu erleichtern.

Frau Dr. Kühn, wie hoch ist der Anteil von Frauen in der IT aktuell in Bremen?

Dr. Kühn: Unsere Erhebung aus diesem Jahr stellte für Bremen einen Frauenanteil von knapp 19 Prozent in den IT-Kernberufen fest. Die IT-Standortstudie von 2019 kam auf 28 Prozent. Knapp zwei Drittel von ihnen arbeiten in der Werbung, ein Drittel im Dienstleistungsbereich. Rund 17 Prozent sind übrigens Quereinsteigerinnen.

Warum haben es Frauen in der IT so schwer?

Dr. Kühn: Es gibt Frauen, die keine Schwierigkeiten haben. Ein erheblicher Teil hat aber sehr wohl Probleme, schon beim Zugang zu IT-Berufen. Dafür gibt es viele Gründe. Manche erleben eine extrem hohe Arbeitsbelastung, etwa durch agiles Arbeiten mit hohen Anforderungen an Flexibilität im negativen Sinne. Grundsätzlich ist Flexibilität ja gut, wenn sie einseitig von Arbeitnehmerinnen verlangt wird, ist sie allerdings schwierig.

Weitere Beispiele sind Sexismus am Arbeitsplatz oder Klischees und Stereotype gegenüber dem, was Frauen möglicherweise interessiert. Männlich geprägte Unternehmenskulturen stellen ein weiteres Hindernis dar, weil sie das "Einleben" erschweren. Zum Wandel einer Kultur benötigt es mehr als eine Handvoll Andersdenkender. Oft werden Frauen unterschätzt, was sogenannte gläserne Decken, viel Teilzeit und damit verbunden weniger Frauen in den Unternehmen, insbesondere den Führungspositionen, nach sich zieht.

Frau sitzt am Tisch und gestikuliert
In Bremen engagieren sich zahlreiche Unternehmen und Initiativen für mehr Frauen in der IT, wie Dr. Kühn berichtet © WFB/Rathke

Zudem gibt es Recruiting-Prozesse in den IT-Firmen, die nicht auf Frauen abgestimmt sind und die sie daher benachteiligen. In diesem Zusammenhang hat das Projekt "avanja" viele neue und vielversprechende Erkenntnisse erreicht. Darüber hinaus sorgt die eventuelle Möglichkeit einer Schwangerschaft dafür, dass kinderlose Frauen um die 30 eher nicht eingestellt werden – und das, obwohl man Müttern nachsagt, viel effizienter zu arbeiten als Menschen, die nicht alles genauestens durchtakten müssen.

Sie sind maßgeblich beteiligt an dem Bremer Projekt 'Frauen in IT' (F.IT), was steht bei diesem Engagement besonders im Fokus?

Dr. Kühn: In dem Projekt F.IT adressieren wir vor allem Frauen ohne Studienabschluss und/oder die auf verschiedene Weise benachteiligt sind. Beispiele für Faktoren, die Benachteiligung am Arbeitsmarkt bedingen können, sind fehlende Deutschkenntnisse, Fluchterfahrung, Care- und Pflegeaufgaben oder Ähnliches.

Wir haben im Laufe des Projekts festgestellt, dass es sehr schwer ist, diese Frauen zu erreichen. Um Erfahrungen zu sammeln und einen Ansatzpunkt für unsere Arbeit zu finden, haben wir dann den Fokus erweitert und alle Frauen willkommen geheißen. Unter den Anfragenden sind durchaus auch hochqualifizierte Frauen. Um initiative Anfragen von Frauen möglichst einfach zu gestalten, haben wir im Projekt F.IT eine Anlaufstelle über unsere Website inklusive Kontaktformular geschaffen, seitdem erreichen uns regelmäßig Anfragen.

Über die Beratungen selbst als auch durch Gespräche mit Beratungsanbietern haben wir viel über mögliche Beweggründe, Hindernisse und Herausforderungen von Frauen gelernt, die in die IT einsteigen möchten. Dieses Wissen ermöglicht es uns, gezielter Frauen anzusprechen, die unserer ursprünglich definierten Zielgruppe angehören.

Es wurde aber auch deutlich, dass diese Ansprache vor allem über die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren funktioniert. Aber auch Berater*innen haben sich schon bei uns gemeldet oder an uns verwiesen. Im Rahmen von F.IT haben wir zudem online Infoveranstaltungen angeboten, die wir unter anderem über die Agentur für Arbeit oder über Kanäle verschiedener Bildungsträger beworben haben. Ebenso machen wir aufsuchende Beratungsarbeit und informieren nach Absprache bestehende Frauengruppen vor Ort.

Gibt es in Bremen genügend Unterstützung bei dem Vorhaben, Frauen den Zugang zu IT-Berufen zu erleichtern?

Dr. Kühn: Seit ungefähr einem Jahr gibt es einen relativ festen Kreis von 20 bis 30 Unternehmen in der Region, die sehr engagiert sind, darunter sowohl IT-Unternehmen als auch andere. Teil des Engagements ist die Registrierung im sogenannten F.ITranet, dem ersten Netz für die Region, in dem Bewerberinnen und Unternehmen ihre Profile abgleichen können. Auch Mentorinnen sind hier eingebunden.

Das Projekt avanja thematisiert außerdem, wie Unternehmen weibliche Fachkräfte gewinnen können und zielt dabei auf den Recruiting-Prozess ab. Hierzu gibt es mit der Arbeitsgruppe "female recruiting", die von Kai Stührenberg, Staatsrat für Häfen, ins Leben gerufen wurde, auch politisches Engagement. Nennenswert sind auf jeden Fall die Aktivitäten des Projekts beOK, das sich für eine klischeefreie Berufsorientierung einsetzt oder das Projekt TandemPower von bremen digitalmedia und der Medienagentur vomhörensehen, das sich für einen nahtlosen Übergang von der Schule ins Unternehmen engagiert.

Frauen in IT
Frauen in IT - das Bremer Projekt will Arbeitssuchende und Unternehmen zusammenbringen

Tun die Schulen genügend, um Frauen den Weg in IT-Berufe zu ebnen?

Dr. Kühn: Wir wissen alle, wie es aussieht mit den Ressourcen im bremischen Bildungssystem. Ich bin überzeugt, dass die Schulen das tun, was unter diesen Umständen möglich ist. Es gibt aber immer Luft nach oben. Wichtig wäre es, mit schlüssigen Konzepten und mehr Effizienz dafür zu sorgen, dass die Aktivitäten nicht zu einer zu hohen Belastung für einzelne Engagierte werden. Vielmehr müsste mehr Sicherheit und damit Selbstverständlichkeit im Umgang mit Inhalten und Fertigkeiten im Zuge der digitalen Transformation erreicht werden. Ich wünsche mir, dass Lehrende sich mehr trauen und Schüler*innen zudem als aktive Akteur*innen in ihre Unterrichtskonzepte einbeziehen.

Was empfehlen Sie?

Dr. Kühn: Interessant wäre es zum Beispiel, Kooperationen mit Projekten oder Personen aufzunehmen, die aufzeigen können, was im Bereich IT alles möglich ist, so wie es das Projekt TandemPower tut. Wenn außerdem ehemalige Schülerinnen berichten würden, dass sie sich eine Tätigkeit in der IT nicht haben vorstellen können, dann aber Spaß an dieser Arbeit gefunden haben, könnten junge Frauen sich damit vermutlich mehr identifizieren, als solche Erfahrungen über eine Lehrkraft oder über einen Recruiting- und Bewerbungsprozess vermittelt zu bekommen. Exkursionen zu Events von Unternehmen oder Praktika mit Schwerpunkt IT sind sicherlich hilfreiche Instrumente, genauso wie das Vorleben von Fähigkeiten, die in der IT benötigt werden. Hier können auch Eltern unterstützen.

Welche Ratschläge geben Sie Mädchen und jungen Frauen, die am Anfang ihrer beruflichen Laufbahn stehen oder die sich für MINT-Fächer interessieren?

Dr. Kühn: Zunächst muss man sich bewusst machen, ob der Berufswunsch einer eigenen Idee entspringt. Bei IT-Berufen kann das bedeuten, dass man sich aktiv auch gegen Ideen aus dem eigenen Umfeld entscheidet. Ob die Wahl passt, lässt sich zum Beispiel herausfinden über Schulpraktika, Tests zu logischem Denken oder kleine Programmieraufgaben, die kostenlos im Netz angeboten werden. Man kann auch Kontakt zu IT-Unternehmen aufnehmen und fragen: Wie ist das so bei euch? Wer sich entschieden hat, sollte sich in der Branche möglichst schnell vernetzen. Die Digital Media Women, die auch in Bremen ein Quartier haben, sind dafür zum Beispiel eine gute erste Anlaufstelle. Es ist wichtig das Gefühl zu haben, nicht alleine zu sein.

Trauen sich Männer bei Bewerbungen mehr zu?

Dr. Kühn: Wir wissen aus verschiedenen Studien, dass Frauen oft sagen: Naja, ich lasse es mal lieber, ich habe bei der Bewerbung nicht 14 von 14 Punkten, sondern vielleicht nur 12. Männer sagen eher, 40 Prozent Übereinstimmung mit dem geforderten Profil reichen mir, um eine Bewerbung abzusetzen. Sie trauen sich, das einfach mal zu machen nach dem Motto: Was kann einem mehr passieren als ein Nein? Die meisten Frauen brauchen im Grunde nur ein wenig Orientierung in der Branche und ein bisschen Zuspruch für das, was sie können, für ihre Leistung.

„Viele Frauen landen deshalb im Consultingbereich, weil sie zuhören, ausreden lassen, strukturieren und zusammenführen können. Viele bringen Ruhe in ihre Arbeitsumgebung oder zeigen ein besonderes Organisationstalent.‟

Dr. Kristina Kühn, Wissenschaftlerin am ITB der Universität Bremen

Welche besonderen Stärken können Frauen in die IT-Welt einbringen?

Dr. Kühn: Diese Frage, ohne den Einsatz von Klischees zu beantworten, wird schwierig. Wir erleben beispielsweise immer wieder, dass Frauen über besondere Kommunikationsfähigkeiten verfügen. Viele Frauen landen deshalb im Consultingbereich, weil sie zuhören, ausreden lassen, strukturieren und zusammenführen können. Sie bieten ihre Sicht auf die Dinge, was sich sicherlich produktiv auf viele Unternehmensbereiche auswirkt, sofern sie stark genug vertreten ist. Viele bringen Ruhe in ihre Arbeitsumgebung oder zeigen ein besonderes Organisationstalent.

Aus meiner persönlichen Erfahrung als Mutter weiß ich, dass Menschen mit Kindern oft sehr effizient und strukturiert unterwegs sind, weil sie es schlicht müssen. Damit dies keine Selbstausbeutung wird, gehört bei vielen Frauen auch der Wunsch nach einem wertschätzenden Arbeitsumfeld dazu. Das ist bestimmt kein Wunsch, den Frauen mit oder ohne Kinder für sich gepachtet haben. Aber er kommt so oft in unseren Beratungsgesprächen vor, dass ich ihn hier erwähnen möchte.

Frauen sind außerdem bereit, für einen angenehmen Arbeitsplatz etwas zu tun und sich dabei auch für andere empathisch zu engagieren. Wir wissen, dass motivierte Fachkräfte effektiver und möglicherweise sogar fehlerfreier arbeiten. Da ist auf jeden Fall Potenzial. Ich habe erlebt, dass besonders Quereinsteigerinnen im Grunde nur ein berufliches Zuhause finden, irgendwo ankommen, sich wohlfühlen, arbeiten und vor allem etwas zurückgeben wollen. Ich fände es einfach sehr schön, wenn das auch wahrgenommen wird.

Vielen Dank für das Gespräch!

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