Training für die künstliche Intelligenz
Digitalisierung / Industrie 4.0Bremer Informatikerinnen und Informatiker wollen autonomes Fahren sicherer machen
Künstliche Intelligenz (KI) kann uns helfen, das Fahren im Straßenverkehr sicherer zu gestalten. In einem Projekt mit dem Automobilzulieferer Continental hat die Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik an der Universität Bremen unter der Leitung von Professorin Kerstin Schill an der Entwicklung fortschrittlicher Fahrassistenzsysteme gearbeitet – und dabei einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht.
Künstliche Intelligenz (KI) erobert und unterstützt unseren Alltag. Viele Bereiche profitieren von den neuen Technologien, so auch der Straßenverkehr: Autonomes Fahren ist das Stichwort, mehr Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer ist das Ziel – etwa dann, wenn es gelingt, menschliche Fehler durch den Einsatz von KI zu verringern. Hier kommt die Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik der Universität Bremen ins Spiel, die von der Informatik-Professorin Kerstin Schill geleitet wird. In einem Projekt mit dem Automobilzulieferer Continental haben die Bremerinnen und Bremer an der Entwicklung fortschrittlicher Fahrassistenzsysteme gearbeitet – und dabei nun einen wichtigen Schritt nach vorn gemacht.
„Noch einiges an Forschungsbedarf“
Die Expertinnen und Experten in Sachen Informatik waren in den vergangenen acht Jahren an insgesamt acht Forschungsprojekten zum autonomen Fahren beteiligt; zwei der Projekte laufen noch. Die KI-Systeme sollen „lernen“, komplexe Situationen im Verkehr zu analysieren und entsprechend darauf zu reagieren. Wenn eines Tages sehr viele Menschen mit autonomen Fahrzeugen unterwegs sind, werde auch die Zahl der Verkehrsunfälle deutlich sinken, prophezeit Professorin Schill. Aber es gebe eben „noch einiges an Forschungsbedarf“. Der Weg zum autonomen Fahren ist noch weit. Die Entwicklung sei nicht so stark fortgeschritten, wie es zuweilen dargestellt werde. „Es gibt fünf Stufen. Wir stehen bei Seriensystemen immer noch an der zweiten“, sagt Schill.
Gegenwärtig stehen bei Serienfahrzeugen noch Assistenzsysteme im Fokus, ihr vollautonomes Fahren in allen erdenkbaren Bereichen des Straßenverkehrs liege in ferner Zukunft, so die Forschenden aus Bremen. An dem Continental-Projekt mit dem Titel PRORETA 5 waren auch die TU Darmstadt und die TU Iași (Rumänien) beteiligt. Im Kern ging es dabei um die Entwicklung von Algorithmen, sie sind gleichsam das „Gehirn“ der KI. Algorithmen wirken nach dem Muster von Formeln, die Daten analysieren können und auf dieser Grundlage Optionen auswählen, zu handeln.
Kameras und Sensoren versorgen das „Hirn“ der KI
Dank der aufeinander abgestimmten Algorithmen weiß die KI, was im Straßenverkehr zu welchem Zeitpunkt zu tun ist – und wie. Algorithmen samt einer verlässlichen Datenbasis sind also unverzichtbar auf dem Weg zum autonomen Fahren. Gleichwohl: Die Assistenzsysteme werden immer ausgefeilter. Komplett autonomes Fahren auf der Autobahn dürfte in der Zukunft als erstes in Serie gehen, vermutet Joachim Clemens, Leiter des Bereichs autonome Systeme und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Kerstin Schill. Als nächste Stufe dürften KI-gestützte Überlandfahrten möglich sein; irgendwann folgt der komplexe Stadtverkehr.
Um das „Hirn“ der KI mit Daten zu füttern, gilt es, Informationen zu sammeln – mit Kameras und Sensoren. Die Bremer Expertinnen und Experten aus der Arbeitsgruppe von Professorin Schill haben im Rahmen des Continental-Projekts mit einem Testfahrzeug gearbeitet, das mit solchen Sensoren ausgestattet war. Diese Sensoren messen alles, was wichtig ist: vom Tempo des Fahrzeugs über die Entfernungen zu anderen Verkehrsteilnehmenden bis zu den Abständen zu Hindernissen. Und: „Ein wichtiger Punkt für ein autonomes Auto ist, zu wissen, wo es sich gerade befindet. Das nennt man Lokalisation, und das findet aufgrund vieler, vieler unterschiedlicher Sensoren statt.“ Diese Informationen werden dann miteinander
Die KI wird nicht müde und lässt sich nicht ablenken
Dank der Informationen der Sensoren und der Algorithmen „sieht“ die KI im Fahrassistenzsystem mehr als ein – womöglich zwischendurch abgelenkter – Mensch am Steuer. Weitere Vorteile: Die KI wird nicht müde, sie ist nicht abhängig von der Tagesform und lässt sich nicht ablenken. Sie ist, wenn alles richtig läuft, konstant und verlässlich aufmerksam, das ist ihr entscheidender Nutzen. Um sicher im Verkehr zu agieren, muss die KI das Geschehen auf der Straße interpretieren können: Wer bewegt sich in welche Richtung, wer hat Vorrang, wer will die Spur wechseln?
„Der große Vorteil der KI: Sie ist nach einer Trainingsphase in der Lage, aufgrund des Erlernten auch in unbekannten Situationen die richtigen Schlüsse zu ziehen“, sagt die Informatik-Professorin aus Bremen. „Ein Teilbereich des Projekts war es, die menschlichen Fahrerinnen und Fahrer dabei zu beobachten, wie sie selbst die Komplexität der Umgebung reduzieren und bewerten. Die lernfähigen Algorithmen werden nun nach ähnlichen Prinzipien trainiert.“
Die KI lernt also auch vom Menschen. „Der Mensch ist besser, er ist unser Vorbild“, sagt Schill. „Bedenkt man nur einmal, was wir im Innenstadtverkehr leisten. Da gibt es Fußgängerinnen und Fußgänger, Fahrräder, Motorräder, andere Autos, Lastwagen, Autos, die parken, die fahren, die überholen – eine hochkomplexe Situation. Da sind wir Menschen ziemlich gut.“ Jetzt gehe es darum, Assistenzsystemen die Fähigkeiten des Menschen beizubringen.
„Dichtes Netzwerk“: Bremen idealer Standort für KI-Forschung
Am Schluss des PRORETA-Projekts haben die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler autonome Fahrfunktionen bei einem Termin in Griesheim bei Darmstadt vorgestellt. „Dabei war das Continental-Forschungsfahrzeug in der Lage, autonom dem Straßenverlauf mit einem vordefinierten Ziel zu folgen und dabei auf andere Verkehrsteilnehmende – Fußgänger, Fahrradfahrer und weitere Fahrzeuge – zu reagieren“, sagt Schill. „Bei einem simulierten Sensorausfall, der die fehlende Erkennung eines Objekts zur Folge hatte, führte das Fahrzeug zusätzlich eine Notbremsung durch – wie die Kolleginnen und Kollegen von der TU Darmstadt es geplant hatten.“ Die KI im Auto muss auch auf überraschende Ereignisse und Fehler anderer Verkehrsteilnehmer reagieren können. „Für uns als Institut ist es spannend, bei der Grundlagenforschung anzufangen und das am Ende auch in die Industrie zu bringen, die gesamte Spannbreite abzudecken“, sagt Professorin Schill.
In einem parallellaufenden, vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz geförderten Projekt, waren die Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe mit ihrem autonomen Fahrzeug im Bremer Straßenverkehr unterwegs. Zum Testrevier erkoren sie den ländlich geprägten Ortsteil Borgfeld, der nicht weit von der Universität entfernt liegt und trotz belebter Straßen mehr Ruhe bietet als beispielsweise ein verkehrsumtoster Bahnhofsbereich. Der Testwagen mit den Sensoren bewegte sich über Straßen mit Einfamilienhäusern und Geschäften. Auch Supermarktparkplätze wurden zu Übungszwecken angesteuert.
Als Standort der KI-Forschung sei Bremen ideal, sagt Schill. „Wir haben eine unheimliche Dichte an weltweit bekannten KI-Professorinnen und -Professoren. Dieses Netzwerk trägt dazu bei, dass wir im Verbund genau das Mehr bieten, das andere Standorte nicht hat.“ An der Bremer Universität gebe es etliche Projekte mit „großer internationaler Sichtbarkeit“. Und: „Bremen ist der wichtigste Raumfahrtstandort in Europa, was Firmen und Forschung angeht.“ Die Bremerinnen und Bremer forschen auch an autonomen Systemen in der Raumfahrt, die Erkenntnisse daraus fließen in das autonome Fahren ein. Hinzu komme das interdisziplinäre Zusammenwirken an der Weser: „Wir arbeiten zum Beispiel auch in Weltraumrobotik-Projekten mit. Daraus lässt sich dann auch wieder ein Gewinn ziehen für die Entwicklung autonomer Fahrsysteme“, so Kerstin Schill.
Pressekontakt: Prof. Dr. Kerstin Schill, Fachbereich Mathematik/Informatik, Arbeitsgruppe Kognitive Neuroinformatik, Tel. 0421 218 64240, E-Mail: kschill@uni-bremen.de
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