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27.9.2019 - Berit Böhme

Der Mann fürs Gleichgewicht

Pressedienst

Einer der letzten seiner Art: Der Bremer Waagenbauer Siegfried Austel

Siegfried Austel ist einer der letzten Waagenbauer in Deutschland. In Bremen Walle hat er seine Werkstatt und repariert analoge Waagen.
Siegfried Austel ist einer der letzten Waagenbauer in Deutschland. In Bremen Walle hat er seine Werkstatt und repariert analoge Waagen. © WFB/Jörg Sarbach

Bei manchen zählt jedes Milligramm, bei anderen muss das Gewicht nur kiloweise stimmen. Ob präzise oder „Pi mal Daumen“ – ohne Waagen wären die Menschen in vielen Lebensbereichen aufgeschmissen. Hakt es bei Zünglein, Hebel oder Zeiger, greift der Bremer Waagenbaumeister Siegfried Austel ein.

„Ich hab‘ mich über die Zeit retten können“

Siegfried Austel lebt inmitten hunderter Waagen. Der Bremer kann sich an den vielfältigen Messgeräten nicht sattsehen. Am liebsten sind dem Waagenbauer die mechanischen Modelle, die er mit Ruhe und Geschick repariert und justiert. Mit seiner Arbeit macht Austel viele Gewerbetreibende und Privatleute in Bremen und umzu glücklich. Siegfried Austel ist einer der wenigen noch tätigen Waagenbaumeister überhaupt. „Ich bin quasi der letzte Dinosaurier“, sagt der 67-Jährige und zieht genussvoll an seiner Pfeife. „Ich hab‘ mich über die Zeit retten können.“

„Austel ist ein Unikum“

„Austel ist ein Unikum“, bestätigt die Leiterin des Bremer Eichamts, Elke Kupka. „Hier in Bremen gibt es sonst niemanden mehr, der noch rein mechanische Waagen für die Verwendung im eichpflichtigen Verkehr herrichtet. Er ist auf einem Gebiet aktiv, das ein aussterbender Zweig ist, da elektronische Technik die alten mechanischen Waagen mit der Zeit bis auf wenige Ausnahmen verdrängt hat.“

Sein Meisterstück hat einen Ehrenplatz

Der Bremer kümmert sich sowohl um mechanische als auch um moderne elektronische Waagen. Sein Herz hängt allerdings an den analogen Modellen. Bei elektronischen Waagen müsse meist nur ein Teil getauscht werden. „Das kann jeder“, meint er. Bei den traditionellen Waagen ist hingegen handwerkliches Geschick gefragt. „Die alten Waagen sind viel robuster als die heutigen elektronischen“, sagt Siegfried Austel. Stolz blickt er auf sein Meisterstück, das einen Ehrenplatz auf dem Tischchen neben seinem Sessel hat. An der Tafelwaage tüftelte er zwei Jahre lang, bis alles ganz genau stimmte. Alle Teile sind handgefertigt, der Wägebereich liegt zwischen 50 Gramm und fünf Kilo. 

Von Waagen, die nur Kilogramm anzeigen …
Von Waagen, die nur Kilogramm anzeigen … © WFB/Jörg Sarbach
… bis hin zu Waagen, die ganz präzise Grammunterschiede angeben können. Siegfried Austel repariert sie alle.
… bis hin zu Waagen, die ganz präzise Grammunterschiede angeben können. Siegfried Austel repariert sie alle. © WFB/Jörg Sarbach

Hoheitliche Eichung ist alle zwei Jahre fällig

Austel ist seit mehr als 30 Jahren selbstständig. Er sorgt dafür, dass gewerblich genutzte Waagen die Prüfung des Eichamts bestehen. Die Eichung ist bei den meisten Waagentypen alle zwei Jahre fällig. „Eichen ist eine hoheitliche Aufgabe“, sagt Kupka. „Es gibt vier Genauigkeitsklassen, die eichfähig sind: Feinwaage, Präzisionswaage, Handelswaage und Grobwaage.“ Zur gängigsten Klasse gehören die Handelswaagen. Sie machen rund 90 Prozent der zu eichenden Geräte aus. Siegfried Austel verfügt in seiner hauseigenen Werkstatt über ein umfangreiches Ersatzteillager. Es speist sich aus ausrangierten, ausgeschlachteten Messgeräten. Fehlt dennoch mal eine Komponente, baut der Mechaniker sie kurzerhand selbst.

Schwere Gewichte statt Sport

In seinem Job muss Austel jedoch nicht nur filigran arbeiten. Zum Justieren der Waagen hantiert er teilweise mit sehr schweren Gewichten. „Das ist mein Sport“, meint er lachend. Oft kommen bei den Eichterminen Austels eigene Gewichte zum Einsatz, manchmal aber auch die des Eichamt-Mitarbeiters. Damit alles mit rechten Dingen zugeht, muss Austel seine Gewichte jährlich beim Eichamt vorstellen, prüfen und stempeln lassen. Das genaue Hinschauen des Eichamts ist keine behördliche Schikane, sondern soll für einen fairen Wettbewerb sorgen. „Es schützt den Verkäufer wie den Verbraucher“, sagt Fachfrau Elke Kupka. 

Waagen wirken auf Austel beruhigend

Waagenbauer ist für Siegfried Austel mehr als ein Beruf, es ist seine Berufung. „Man freut sich über jede Waage. Die Waagen wieder zum Leben zu erwecken, das vereinnahmt einen. Man kann abschalten.“ Manchmal baut der Gleichgewichtsexperte Geräte auch zu Dekorationsstücken um. Er repariert und bastelt nicht nur. „Ich habe immer schon gesammelt“, sagt er. „Ich habe schon auf dem Flohmarkt schöne Sachen erstanden, für ein Ei und ein Butterbrot.“ Manches Stück rettet er vom Sperrmüll, manches Messinstrument bekommt er geschenkt. Austels Waagensammlung füllt einige Räume seines Reihenhauses in Bremen-Walle. Der Mechaniker lebt und arbeitet bewusst inmitten der unsortierten Kollektion. Die Waagen hängen an den Wänden, füllen die Regale oder zieren den Fußboden. „Die Umgebung inspiriert einen“, sagt Siegfried Austel. „Die Waagen beruhigen mich.“ 

Stolz präsentiert Austel sein Meisterstück. An der Tafelwaage tüftelte er zwei Jahre lang, alle Teile sind handgefertigt. Der Wägebereich liegt zwischen 50 Gramm und fünf Kilo.
Stolz präsentiert Austel sein Meisterstück. An der Tafelwaage tüftelte er zwei Jahre lang, alle Teile sind handgefertigt. Der Wägebereich liegt zwischen 50 Gramm und fünf Kilo. © WFB/Jörg Sarbach

Eine vielfältige Sammlung: Von der Dezimalwaage bis zur Edelsteinwaage

Die ältesten Waagen stammen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, die jüngsten aus der Milleniumszeit. Die Sammlung umfasst diverse Waagentypen, von der Edelsteinwaage über Federwaagen, Tafelwaagen und römischen Schnellwaagen bis hin zu historischen Personenwaagen und Sitzwaagen. Letztere sind bis heute in Kliniken im Gebrauch. Flankiert werden die Waagen von etlichen Gewichten. Siegfried Austel hat ein paar Lieblingsstücke. „Im Keller steht eine richtig schöne kleine Dezimalwaage, wo Kaffee drauf gewogen wurde“, schwärmt er. Im Volksmund werden Dezimalwaagen auch Sackwaagen genannt. Stolz ist er auch auf die weitaus zierlichere Edamer Käsewaage. Austel teilt seine Waagenfreude zuweilen mit der Öffentlichkeit. „Ich hab‘ hin und wieder mal eine Ausstellung“, sagt der Meister. 2007 zeigte er beispielsweise ausgewählte Schätze auf Schloss Schönebeck in Bremen-Vegesack.

Mechanische Waagen dürfen weiterhin gewerblich genutzt werden

Mechanische Waagen verschwinden zusehends. Aber so lange sie das Eichsiegel bekommen und die Fehlergrenzen einhalten, dürfen sie weiterhin gewerblich genutzt werden. Das Wissen rund um die „alte“ Messtechnik wird auch im Bremer Eichamt weitergetragen. Nach ihrer theoretischen Ausbildung an der Deutschen Akademie für Metrologie beim Bayerischen Landesamt für Maß und Gewicht in München begleiten die jungen Eichamtsmitarbeiter erfahrene Kollegen und lernen so auch einiges über mechanische Waagen. „So sorgen wir dafür, dass das Wissen nicht verloren geht“, betont Elke Kupka.


Pressekontakte:

Siegfried Austel, Telefon +49 (0)421 396 70 72.

Christina Selzer, Pressestelle Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, Telefon +49 (0)421 361 20 82, christina.selzer@gesundheit.bremen.de.


Bildmaterial:

Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.

Foto 1: Sigfried Austel ist einer der letzten Waagenbauer in Deutschland. In Bremen Walle hat er seine Werkstatt und repariert analoge Waagen. © WFB/Jörg Sarbach

Foto 2: Von Waagen, die nur Kilogramm anzeigen …  © WFB/Jörg Sarbach

Foto 3: … bis hin zu Waagen, die ganz präzise Grammunterschiede angeben können. Siegfried Austel repariert sie alle. © WFB/Jörg Sarbach

Foto 4: Stolz präsentiert Austel sein Meisterstück. An der Tafelwaage tüftelte er zwei Jahre lang, alle Teile sind handgefertigt. Der Wägebereich liegt zwischen 50 Gramm und fünf Kilo. © WFB/Jörg Sarbach


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