Auf den „Hunt“ gekommen: Auf den Spuren der Torfschiffer
LebensqualitätEntschleunigung auf schwarzen Dielen: Bremen aus der Torfkahnperspektive ist nichts für Eilige.
Entschleunigen, wo sich einst Torfsoden stapelten: Bremer Torfkahnskipper wie Peter Röleke bescheren ihren Passagieren einen ganz neuen Blick auf die Naturschönheiten und die Geschichte der Hansestadt. Und helfen obendrein bei der Wiederentdeckung der Langsamkeit.
Sogar Kuh und Kiebitz halten inne
Der Wind bläht das braune Segel. Gemächlich gleitet der kiellose Kahn von Peter Röleke übers Wasser. Kuh und Kiebitz halten inne und blicken dem Torfkahn auf der „Kleinen Wümme“ neugierig hinterher. Wenn der 74-jährige Röleke mit seinem „Halbhunt“ im Blockland – Bremens Naherholungsgebiet Nummer eins – unterwegs ist, hat er nicht nur menschliche Bewunderer. Der Skipper steht für den Tourenveranstalter „Torfkähne Bremen“ an der Ruderpinne. Auf historischen Wasserwegen bringt er seinen Fahrgästen Natur und Geschichte(n) in Bremen und umzu näher.
„Skipper gesucht“: Röleke fühlte sich angesprochen
Röleke ist einer von 28 Bremer Torfkahnschiffern in Bremen, alle sind ehrenamtlich unterwegs. Die Liebe des pensionierten Ingenieurs zu den einmastigen Dielenbooten erwachte vor vier Jahren, als er dem Aufruf „Skipper gesucht“ folgte. Sein Bootsschein und seine über 40-jährige Seglererfahrung allein reichten nicht für den nostalgischen Job. „Man muss sich selber fortbilden über alte Geschichten aus dem Moor, aus Findorff“, sagt Röleke. Im alten Torfhafen im Stadtteil Findorff ist die Flotte beheimatet, dort starten auch die meisten Linien- und Charterfahrten. Auch die Tier- und Pflanzenwelt studierte er eingehend. Ihr Wissen und die Döntjes geben die Schiffer mit Leidenschaft weiter. „Aber nicht wie in einer Unterrichtsstunde“, stellt Betriebsleiter Ullrich Mickan klar. Die Skipper nehmen den Fahrgästen auf Wunsch sogar das „Torfabitur“ ab. Wer gut aufpasst, wenn Röleke erzählt, kann zumindest den theoretischen Teil der Prüfung am Ende leicht bestehen.
Ein halbes Hunt ist eine alte Maßeinheit
Die Bremer Flotte umfasst sieben „Halbhunt-Kähne“. Ein Halbhunt war im Teufelsmoor das gängigste Bootsmodell, benannt nach der alten Maßeinheit „Hunt“. Auf den zehn Meter langen Kahn passten rund sechs Kubikmeter Torf, ein halbes Hunt. Die Eichenboote waren dank ihres flachen Bugs leicht zu steuern. Seitenschwerter, die mit einem Seil zu bedienen waren, hielten den Kahn beim Segeln auf Kurs: „Als Ersatz für den Kiel, sie stabilisieren den Kurs auf der windabgewandten Seite“, erklärt Röleke. Gewartet und startklar gemacht werden die Kähne von Erwerbslosen, die beim Beschäftigungsträger „bras – Menschen für Bremen“ in den Bereichen Dienstleistung und Handwerk für den „ersten Arbeitsmarkt“ fit gemacht werden sollen. Auf der kleinen, hauseigenen Werft liefen schon zwei Kahn-Neubauten vom Stapel.
Segel hoch und Motor aus
Einst treidelten, stakten, wriggten und segelten die Moorbauern aus dem Umland oft tagelang, um den Brennstoff Torf in der Hansestadt zu verkaufen. Beim Treideln wird der Kahn vom Land aus gezogen. Beim Staken stößt sich der Skipper mit einer vier Meter langen, am Ende mit Eisen beschwerten Eichenstange vom Kanalgrund ab. Zum Wriggen wurde am Heck ein Riemen hin- und her bewegt. Die Bremer Halbhunt-Nachbauten sind zwar motorisiert, aber kaum schneller unterwegs als im 19. Jahrhundert. Sie tuckern mit fünf Stundenkilometern übers Wasser. Wenn Strecke und Wind passen, drückt Röleke auch mal den roten Aus-Knopf. „Das ist das größte Erlebnis: Segel hoch und Motor aus“, schwärmt er. „Auf Wunsch staken oder treideln wir auch schon mal.“ Röleke liebt das Torfkahnfahren: „So ein Kahn wächst einem ans Herz. Und ich hab einen Moorvirus.“ Seine Kollegen und er befördern rund 4.500 Passagiere pro Jahr, Saison ist von April bis Oktober.
„Die Leute sind erstaunt, soviel Natur zu finden“
An diesem Nachmittag stehen die Chancen für den Einsatz des braunen Segels gut. Peter Röleke hat zur Testfahrt auf der neuen Rundroute „Die Waller Feldmark durch den Hintereingang“ geladen. Vom Hafenbecken biegt er zunächst in den schnurgeraden, fast drei Kilometer langen Torfkanal entlang des Bürgerparks und des Stadtwaldes. Hier heißt es zum ersten Mal „Kopf einziehen!“. Dieses Kommando erklingt unterwegs noch bei so manch anderer flachen Brücke. Auf der „Kleinen Wümme“ wird es kurviger, das Wasser klarer und die Natur üppiger. Eisvögel tauchen blitzschnell ins Nass, Smaragdlibellen schimmern im Sonnenlicht. Wasserrosen schaukeln auf den Wellen, der Wanderfalke sucht nach Beute. „So nahe der Großstadt so schöne Natur“, schwärmt ein Passagier. „Die Leute sind erstaunt, soviel Natur zu finden“, sagt Röleke.
30.000 Torfkähne steuerten einst Findorff an
Wo heute nur Röleke und seine Kollegen unterwegs sind, herrschte früher reger Verkehr. Pro Jahr steuerten rund 30.000 Torfkähne Findorff an. Die von den Hansestädtern einfach nur „Jan von Moor“ genannten Schiffer waren auf den ersten Blick harmlos. Viele hatten es aber faustdick hinter den Ohren. Um die unterwegs anfallenden Zoll-, Kanal- und Dammgebühren zu umgehen, schmuggelten sie emsig. „Die Moorbauern haben eigentlich vom Schmuggel gelebt“, sagt Mickan. „Aber wenn sie erwischt wurden, wurde der Kahn konfisziert.“ Dennoch gelangte so manches Paket Salz, Kaffee oder Zucker zollfrei nach Hause. Das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Zoll und Schmugglern können die Fahrgäste heute auf der „Piratentour“ hautnah erleben. Darsteller des ebenfalls zur bras gehörenden Bremer Geschichtenhauses schlüpfen dafür an historischen Kontrollpunkten in die Rolle bewaffneter Zöllner.
Mehr Infos zu den Torfkahnfahrten unter: http://www.torfkaehne-bremen.de
Pressekontakt: Ullrich Mickan, Betriebsleiter bras e.V., Tel.: 01525 3239297, E-Mail: mickan@bras-bremen.de
Bilddownload
Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.
Foto 1: Peter Röleke ist Torfkahnskipper in Bremen © Berit Böhme
Foto 2: Die Bremer Torfkahn-Armada schippert gemächlich durch die Natur © Berit Böhme
Foto 3: Auf einem zehn Meter langen Kahn wurden einst rund sechs Kubikmeter Torf transportiert © Berit Böhme
Foto 4: Torfkanal in Findorff: Einst steuerten 30.000 Torfkähne den Bremer Stadtteil an © Berit Böhme
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