Mit Klimaschutz punkten
KlimaschutzWeight Watchers als Vorbild: Wie ein Bremer per Punktesystem das Klima schützen will
Francesca Jung wägt das Gewicht einer weißer Plastikdose mit einer Hand ab. Im Vergleich zu den anderen Behältern, die vor ihr auf dem Tisch stehen, ist diese mittelgroß und mittelschwer. Sie symbolisiert ihre Wohnverhältnisse: „Altbau vor 1985, voll saniert, 45 m2 pro Person“ steht auf dem roten Deckel. Auf der Rückseite der Dose befindet sich der damit verbundene jährliche Verbrauch an Kohlendioxid (CO2): 3,3 Tonnen. Die Wohnung, in der die Bremerin mit ihrem Mann lebt, ist zwar unsaniert, dafür heizt sie aber sparsam. „Dann kommt der Wert ungefähr hin“, sagt Uli Wischnath, der die Gefäße für sein Projekt „Klimaschutz For All“ beschriftet und mit Sand befüllt hat.
„Überregionales Interesse ist da“
Die Dosen sind klimarelevanten Themen wie Wohnen, Mobilität oder Ernährung gewidmet. Ein Behälter nach dem anderen wandert auf eine Waage. Das Experiment soll Francesca Jung verdeutlichen, wie hoch die Menge an CO2 -Emissionen ist, die durch ihren Konsum pro Jahr entstehen. Exakt ausgerechnet wird ihre Bilanz aber erst, wenn das Programm „Klimaschutz For All“ im Bremer Stadtteil Findorff am 24. Februar 2020 startet. Die 30-Jährige ist eine von 25 Teilnehmenden des Pilotprojekts. Ausgedacht hat sich die Challenge Uli Wischnath. „Wir wollen mithilfe eines Punktesystems zeigen, welche Möglichkeiten es gibt, seinen CO2-Fußabdruck zu verringern“, sagt er und ergänzt: „Ähnlich wie bei den Weight Watchers.“ Wenn der Modelllauf erfolgreich ist, soll das von einer App unterstützte Programm 2021 in ganz Bremen und später auch in anderen Regionen Deutschlands angeboten werden. „Überregionales Interesse ist da“, sagt der 52-Jährige.
„Wir wollen kein Leben voller Verbote, Verzichte und Entsagungen propagieren“
Bei der Diätmethode Weight Watchers wird jedem Lebensmittel ein Punktwert zugeordnet. Verzehrt werden dürfen alle Lebensmittel, manche schlagen sich aber mit mehr Punkten nieder als andere. Auch bei „Klimaschutz For All“ wird ein Punktesystem eingesetzt. Reduziert werden soll aber kein Körpergewicht, sondern der persönliche CO2-Verbrauch. Je mehr Punkte gesammelt werden, desto besser schneiden die Teilnehmenden und ihre Teams bei der Klimaschutz-Challenge ab. Wischnath verdeutlicht das Prinzip so: „Wer für sich zwei vegane Tage pro Woche einführt, bekommt zwei Punkte. Wer das geschafft hat und zudem lecker gegessen hat, erhält vier Punkte. Es soll nämlich nicht darum gehen, ein Leben voller Verbote, Verzichte und Entsagungen zu propagieren.“
Fliegen nur noch einmal innerhalb von fünf Jahren
Keiner der Teilnehmenden solle sich rechtfertigen müssen, dass er bei Starkregen mit dem Auto zum Arbeitsplatz fährt. Auch brauche niemand kalt zu duschen. Und wer weiterhin fliegen wolle, werde sich deshalb keine „doofen Sprüche“ anhören müssen. „Es geht nicht darum, auf einen Schlag auf alles zu verzichten, was Spaß macht“, betont Wischnath. Das Fliegen möchte er, der mit seiner Familie lange in Südafrika gelebt und Freunde in aller Welt hat, selbst nicht gänzlich streichen. Aber er will seine Flugreisen drastisch reduzieren: Auf nur eine in den nächsten fünf Jahren.
Frage der Perspektive: Weniger Autos bedeuten mehr Platz zum Leben
Bei „Klimaschutz For All“ gehe es darum, Alternativen zum gewohnt hohen CO2-Ausstoß aufzuzeigen und einen einfachen Zugang zu Expertenwissen zu bieten. „Wir wollen zeigen: Klimaschutz tut gar nicht so weh. Wer auf Fleisch nicht verzichten mag, hilft dem Klima auch schon damit, seltener Fleisch zu essen.“ Wer auch weiterhin Autofahren wolle, könnte sich bei einem Car-Sharing-Anbieter anmelden. „Wenn weniger Pkw in den Straßen parken, haben die Menschen auch mehr Platz zum Leben.“ Dies sei nur ein Beispiel dafür, dass Klimaschutz an vielen Stellen nicht weniger, sondern mehr Lebensqualität mit sich bringe. Alles sei eine Frage der Perspektive.
„Es gibt bisher kein systematisches, übergreifendes Klimaschutz-Programm“
Auf die Idee gekommen zu „Klimaschutz For All“ ist Uli Wischnath, als er 2018 als Geschäftsführer des Vereins Bauwende, der sich mit ressourcenschonendem Bauen befasst, auf der UN-Klimakonferenz in Katowice war. „Mir ist dort klar geworden, dass wir nicht warten dürfen, bis die Politik den Klimawandel endlich stoppt. Es ist genauso wichtig, dass sich bei jedem Einzelnen und in der Gesellschaft etwas tut.“ Ihm erschienen die vorhandenen Projekte aber zu kleinteilig. „Es gibt bisher kein systematisches, übergreifendes Programm für Einzelpersonen.“ Diese Lücke will er mit „Klimaschutz For All“ schließen. Unterstützung bei der Erarbeitung des Konzepts bekam er vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Umweltorganisation Germanwatch.
Erster Schritt: Den eigenen CO2 -Fußabdruck kennen und bewerten
Organisator Uli Wischnath ist vor allem der Austausch unter den Teilnehmenden wichtig, deshalb beginnt das Projekt zunächst in kleinem Rahmen. Im ersten Monat soll es um den persönlichen CO2 -Fußabdruck jedes Einzelnen gehen. Um ihn zu bestimmen, wird mithilfe eines Rechners des Bundesumweltamtes die jährliche Emissionen-Menge berechnet, die durch den persönlichen Verbrauch entsteht. „Bei anderen Rechnern wird einem am Ende teilweise mitgeteilt, dass der Fußabdruck bei 2,5 Tonnen liegen sollte. Dann ist man erst mal schockiert, wenn man bei einem Wert von gut sechs Tonnen liegt“, sagt Uli Wischnath. Sinnvoll sei es deshalb, den Wert ins Verhältnis zu setzen, sonst seien selbst motivierte Menschen schnell überfordert.
Sechs Tonnen CO2-Verbrauch pro Jahr: Versager oder Superheld?
Der Familienvater verdeutlicht mit einem Beispiel, was er damit meint: „Einem Kind, das aufs Gymnasium kommt, legt man in der fünften Klasse auch keine Abiturklausur vor und erwartet, dass es diese besteht.“ Ähnlich sei es mit Klimaschutzzielen: „Uns ist es wichtig, sich auf einen Reduktionspfad zu begeben. Deutschland hat sich zum Beispiel für 2020 einen Pro-Kopf-CO2-Verbrauch von neun Tonnen vorgenommen. Wer dann bei sechs Tonnen liegt, ist kein Versager, sondern ein Superheld“, betont Wischnath.
Superheldin will auch Francesca Jung werden, wenn sie es auch selber nicht so bezeichnen würde. Sie hat im letzten Jahr schon vieles in ihrem Leben geändert, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. „Ich habe beschlossen, nicht mehr zu fliegen“, sagt sie. Im nächsten Urlaub geht es mit der Bahn nach Norwegen. Außerdem isst sie kein Fleisch mehr, einmal im Monat trifft sie sich mit Freunden zu einem veganen Kochabend. Sie kauft Lebensmittel nur noch auf dem Wochenmarkt und im Bioladen. „Das war erstmal eine Umstellung. Ich bin damit aufgewachsen, immer nur das Günstigste zu kaufen“, erzählt sie.
Statt in der Mensa zu essen, kommt Frisches vom Markt auf den Tisch
Die Ernährung umzustellen gefällt ihr gut: Als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Bremen hat sie vorher viel in der Mensa gegessen. Inzwischen kocht sie oft frisch zu Hause. „Das schmeckt viel besser.“ Sie wechselte zu Ökostrom und -gas. Eines musste sie nicht ändern: „Ich bin immer schon viel Fahrrad gefahren.“ Ein Auto besitzt sie nicht. Bei „Klimaschutz For All“ mache sie mit, weil sie sich Austausch mit Gleichgesinnten und Anregungen erhoffe. Unterdessen legt Francesca Jung weitere Dosen auf die Waage. Weil sie kein Auto hat und sich vegetarisch ernährt, sind viele deutlich kleiner als ihre Wohn-Dose. Das Gefäß, auf dem „nicht fliegen“ steht, ist sogar federleicht und mini.
Pressekontakt: Uli F. Wischnath
Klimaschutz For All
Tel.: +49 176 640 599 04
E-Mail: wischnath@klimaschutz4all.com
Bildmaterial:
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Auf die Waage: Francesca Jung ermittelt zusammen mit Uli Wischnath mithilfe von Themen-Dosen ihren ungefähren jährlichen CO2-Verbrauch. © WFB/Jens Lehmkühler
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