Vollblutmusiker mit Unternehmergeist
PressedienstDeutsche Kammerphilharmonie Bremen ist „Orchester of the year 2023“
Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ist ein einzigartiges Phänomen in der hiesigen Kulturlandschaft. Sie füllt Konzertsäle weltweit, engagiert sich in einem sozial benachteiligten Stadtteil, finanziert sich überwiegend selbst und wurde in London zum „Orchestra of the year 2023“ ausgezeichnet. Der Weg zum erfolgreichen Kulturbetrieb mit Vorbildfunktion hatte es allerdings in sich.
Als Ulrich König Mitte der 1980er Jahre sein Oboe-Studium absolvierte, hoffte er wie jeder junge Erwachsene auf einen Traumjob. Im klassischen Kulturbetrieb jener Tage bedeutete dies: eine Festanstellung in einem renommierten Orchester. Sein Traum ist in Erfüllung gegangen. Heute ist Ulrich König immer noch Teil eines weltweit anerkannten Klassik-Orchesters: die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen. Das angesehene britische Klassik-Magazin «Gramophone» kürte die Bremer im Oktober 2023 zum «Orchestra of the Year». Die Deutsche Kammerphilharmonie setzte sich gegen neun internationale Orchester wie dem London Philharmonic Orchestra oder den Berliner Philharmonikern durch. Den Titel gab es für die Einspielung der «Londoner Sinfonien» von Joseph Haydn unter Chefdirigent Paavo Järvi.
Einmalig in der deutschen Musiklandschaft
Doch was viele nicht wissen: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen gehört nicht nur zur Weltklasse. Sie wird auch eigenverantwortlich geführt. Ulrich König ist nicht nur Musiker – sondern auch Miteigentümer. Er gehört zu den ersten Bläsern, die als Gesellschafter fest in das Orchester aufgenommen wurden. „Wir sind ein Verbund freischaffender Künstler, die maximalen Einfluss auf unser Schaffen haben wollen“, erklärt König die Grundidee der Struktur seines Unternehmens, die in der Musiklandschaft Deutschlands bislang ihresgleichen sucht.
Wer wissen will, warum das Bremer Orchester diesen ungewöhnlichen Weg eingeschlagen hat, muss sich mit seinen Anfängen beschäftigen. Und mit dem Wind, der vor fast 40 Jahren durch die Szene wehte und die Ansichten insbesondere der jungen Akteure heftig durcheinanderwirbelte.
Aufbruchsstimmung in der Klassischen Musikszene
Laut einer Studie lag damals die Zufriedenheit von Berufsmusikern hinter der von Gefängniswärtern. Gleichzeitig wuchs mit dem Aufkommen von professionellen Jugendorchestern und Wettbewerben wie „Jugend musiziert“ in den 1980er-Jahren das Selbstverständnis und vor allem das Selbstbewusstsein der jungen Musiker. „Wir haben mit Gleichgesinnten Mahler und Brahms gespielt und waren völlig euphorisiert von der Musik und dem gemeinsamen Erleben“, erinnert sich Albert Schmitt, einst Kontrabassist, heute Geschäftsführer der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. „In eines der bestehenden Berufsorchester zu gehen, war für uns damals überhaupt keine Option.“
„Sichere Rente oder Musik machen?“
Auch Ulrich Königs Professor fragte damals seinen jungen Studenten: „Willst du eine sichere Rente oder Musik machen?“ Die Antwort, sagt König, sei ihm damals leichtgefallen. Im Jahr 1988 schloss er sich dem jungen Orchester an und ging mit ihm nach Bremen.
Aushängeschild in Sachen Unternehmergeist
Heute ist die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ein Aushängeschild: für klassische Musik, die Stadt Bremen – aber auch in Sachen Unternehmergeist. Von ihrem Jahresbudget in Höhe von rund 8,5 Millionen Euro erwirtschaften die Musiker mehr als zwei Drittel selbst – durch Konzerte, Einnahmen durch Bild- und Tonrechte, Honorare und Sponsoren. „Normalerweise werden Orchester in Deutschland zu 90 Prozent subventioniert“, erklärt Schmitt. Dass die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen es anders macht, erfüllt alle mit Stolz.
Während der Corona-Pandemie wurden unter anderem Workshops für Dirigier-Talente organisiert. Dabei entdeckten die Bremer mit dem finnischen Pianisten, Dirigenten und Komponisten Tarmo Peltokoski ein Ausnahmetalent. Eigens für ihn schuf das Orchester 2022 die Stelle des ersten festen Gastdirigenten („Principal Guest Conductor“) neben Chefdirigent Paavo Järvi, der das Orchester sei 2004 leitet. Die Kammerphilharmonie Bremen ist Residenzorchester der Elbphilharmonie Hamburg und der Kölner Philharmonie. Mit ihrem Beethoven-Projekt setzte sie Maßstäbe; zehn Jahre hatte sich Paavo Järvi zusammen mit den Musikerinnen und Musiker darauf konzentriert. Weltweit gab es umjubelte Aufführungen.
Zehn Jahre nach der Gründung droht das Aus
Die Erfolgsgeschichte des Bremer Orchesters ist umso bemerkenswerter, weil das Unternehmen kaum zehn Jahre nach seiner Gründung fast vor dem Aus stand. Veränderungen auf dem klassischen Musikmarkt führten zu Liquiditätsproblemen. Mangelndes Sponsoring und finanzielle Schieflagen summierten sich im Jahr 1998 zu einem Schuldenberg in Höhe von 1,5 Millionen Mark – über Jahre angestaut und mit mehreren Führungswechseln verbunden.
Finanzielle Misere betraf jeden einzelnen Musiker
Ein Drama nicht nur für das Orchester, sondern auch für die einzelnen Musiker: Als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) bürgte jeder mit seinem Privatvermögen für das Unternehmen. „Wir hatten die GbR gegründet, weil sie uns zur damaligen Zeit als die passende Form erschien: Sie bot uns die meiste Freiheit, um kreativ zu sein“, sagt Schmitt rückblickend. Dass dies in letzter Konsequenz ein Maximum an Unternehmergeist abverlangte, hatte für die Musiker bis dahin nicht im Vordergrund gestanden.
Die Wende gelang mit Hilfe von außen
Mit Hilfe der Stadt, ihren Bürgern und den Vorläufern der Wirtschaftsförderung Bremen gelang aber doch noch die Wende: Innerhalb von zwei Jahren war das Orchester schuldenfrei; eine halbe Million Mark erwirtschaftete es selbst über Spenden und Sponsoren. Mit dem Neuanfang wandelte sich auch die Rechtsform: Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen wurde eine gGmbH, eine gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Finanzierung steht nun auf breiteren Füßen
Der Zusatz „gemeinnützig“ ist aus Sicht von Geschäftsführer Schmitt, der seit der Krise die Geschäfte des Orchesters führt, ein großes Glück: „Wir können in größerem Maß Spenden annehmen und Sponsoren gewinnen, was unsere Finanzierung auf breitere Füße stellt und uns insgesamt unabhängiger macht.“ Gleichzeitig zog damit auch ein höheres Maß an professionalisiertem Unternehmertum bei den Musikern ein: Etwa 20 Vollzeitkräfte kümmern sich heute um internationales Touring, vier eigene Abonnementreihen, Festivals, soziale Projekte und um die Akquise und Pflege der „Partnerschaften“, wie Schmitt das Geschäftsverhältnis zwischen Kunst und Wirtschaft bezeichnet. Gemeinsam mit der Stadt oder mit Unternehmen entwickelt das Team Konzerte, Tourneen und Projekte, von denen beide Seiten profitieren.
Probenräume in Gesamtschule Bremen-Ost
Eines dieser Projekte ist das Zukunftslabor, eine beispielhafte Zusammenarbeit mit einer Schule in Osterholz-Tenever, wo viele sozial benachteiligte Familien leben. Im Jahr 2007 ließen sich die Musiker mit professionellen Probenräumen im Komplex der Gesamtschule Bremen-Ost nieder. Seitdem proben sie dort für ihre Konzerte und entwickeln Formate für und mit den Schülern.
Motto des Zukunftslabors: Du hast immer eine Wahl
Mit ihrem Engagement wollen die Musiker aber nicht nur das musikalische Verständnis und Talent der Schüler fördern. Sie wollen Jugendliche auch an ihren Erfahrungen teilhaben lassen und ihnen das Motto des Zukunftslabors verdeutlichen: Du hast immer eine Wahl. „Es geht um mehr als Noten lesen oder ein Instrument spielen zu können“, betont Schmitt. „Es geht um Verlässlichkeit und Ausdauer, um den Mut, die Initiative zu ergreifen und Verantwortung zu tragen. Das sind die Grundpfeiler des Unternehmertums.“
„Ich bin überzeugt, dass unsere Philosophie langfristig zukunftsfähiger ist.“
Als Eigentümer sind die Mitglieder der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen aber auch von ihrem Erfolg abhängig. Und das nicht nur ideell, sondern vor allem monetär. Denn anders als bei staatlichen Orchestern berechnet sich das Einkommen der 41 Musiker nach der Anzahl an Tagessätzen, deren Höhe sich wiederum am wirtschaftlichen Abschluss des Unternehmens orientiert.
Dem Orchestersterben trotzen
Für Ulrich König bedeutet dies ein weniger geregeltes Einkommen und eine geringere Absicherung. Seine Entscheidung, nicht zu einem Staatsorchester zu gehen, hat er dennoch nie bereut. Und das derzeitige Orchestersterben, das auch vor renommierten staatlichen Einrichtungen nicht Halt macht, gibt ihm offensichtlich recht: „Ich bin überzeugt, dass unsere Philosophie langfristig zukunftsfähiger ist.“ Der Erfolg gibt ihm recht: Als „Orchester of the Year 2023“ ist den Bremer Musikerinnen und Musikern weltweite Aufmerksamkeit sicher – mehr als je zuvor.
Pressekontakt: Andrea Katzmarczyk-Engmann, Pressesprecherin Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, +49 421 95885120. E-Mail: a.katzmarczyk@kammerphilharmonie.com
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Der Artikel wurde erstmals am 8.5.2017 veröffentlicht und nun von der Redaktion um die Auszeichnung und weitere Details aktualisiert und ergänzt.
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