Im berühmten Banana Boat Song von Harry Belafonte rufen die Hafenarbeiter nach ihm: „Come, Mister tally man, tally me banana.“ Der Tallymann soll kommen, um die auf das Schiff verladenen Bananen zu zählen, damit sie ihre Schicht beenden können und ihren Lohn bekommen. Die Berufsbezeichnung hat sich inzwischen zwar mehrfach geändert – zeitweilig hieß sie Seegüterkontrolleur, inzwischen Fachkraft für Hafenlogistik. Nach wie vor möchten sie aber am liebsten Tallys genannt werden. „Den Namen versteht man in jedem Hafen der Welt“, betont Björn Deis, Obertally vom 1644 gegründeten Bremerhavener Tally Service Hermann Runge, der zu den ältesten Hafenunternehmen Bremens zählt.
Vor der Verladung wird vermessen
Beim Umschlag von Fahrzeugen für den Transport auf einem RoRo-Schiff beginnt die Arbeit der Kontrolleure bereits vor der Ankunft des Schiffs: „Drei bis vier Tage vorher fangen wir damit an, die High-and-Heavy-Ladung für das Schiff zu vermessen“, berichtet Stauplanzeichner Lukas Neumann vom Tally Service Runge. Eine Vielzahl von Nutzfahrzeugen muss von Neumann und seinen Kollegen in ihrer Breite, Höhe und Länge auf dem Autoterminal vermessen werden. Hier ist Genauigkeit unerlässlich, denn die ermittelten Zahlen sind die Basis der Frachtberechnung durch die Reederei.
Manchmal müssen sich die Tallymänner allerdings erst einmal auf die Suche nach den zu verladenen Fahrzeugen machen. „Wir bekommen zwar eine Platzliste von der BLG“, sagt Neumann, „diese ist aber nicht immer vollständig aktuell, da sich oft noch kurzfristig Änderungen ergeben.“ Wenn das Fahrzeug auf dem Terminalparkplatz lokalisiert ist, geht es ans Vermessen. Allein kann Neumann das jedoch für kaum ein Fahrzeug oder andere Ladung auf Mafi-Trailern durchführen, es sei denn, sie ist kastenförmig beziehungsweise man kann die Abgrenzungen vom Boden aus sehen. Ansonsten sind immer zwei Kontrolleure gemeinsam unterwegs. „Unser wichtigstes Arbeitsmittel ist dabei nach wie vor das Maßband“, berichtet Deis. Meist seien zehn Meter ausreichend, gelegentlich kommt auch eine Messlatte zum Einsatz. Anspruchsvoll wird es dann, wenn beispielsweise die Ladung bei Mafi-Trailern nicht kastenförmig und so voluminös ist, dass man den höchsten Punkt nicht sehen kann. Dann behelfen sich die Tallymänner damit, dass einer von ihnen auf ein anderes Fahrzeug steigt und eine Stelle zum Peilen suchen und finden muss. „Einen Laser haben wir natürlich auch schon ausprobiert, aber das hat nicht gut funktioniert und dauert länger“, berichtet Deis. „Im Schuppen und für Kisten geht das prima, aber hier draußen blendet zum Beispiel die Sonne oft zu stark.“
Auch wenn viele Hersteller Neufahrzeuge mit Maßangaben versehen, heißt dies noch lange nicht, dass diese auch hundertprozentig exakt und korrekt sind. Um das zu beweisen, muss Deis nicht lange suchen: Neuman und er vermessen einen Traktor, dessen Länge mit 660 Zentimeter Länge angegeben ist – tatsächlich sind es allerdings 664 Zentimeter. Bei Gebrauchtfahrzeugen fehlen diese Angaben in aller Regel ohnehin. „Gemessen wird daher immer“, betont Deis. Hilfreich sind dabei natürlich die Erfahrungswerte von ähnlichen Fahrzeugtypen. Routine ist auch aus einem anderen Grund wichtig: Viel Zeit pro auszumessendes Fahrzeug haben die Tallymänner nicht. Am Schreibtisch muss zudem alles genau dokumentiert werden, was vor Ort mit Stift auf einem Zettel notiert wurde. Meist kommen allerdings auch ein paar Fahrzeuge verspätet an oder werden nachgebucht, sodass die Kontrolleure immer mal wieder von ihren Büroräumen im nahe gelegenen Gatehouse zum Terminal fahren.
