Stuhl mit Elefantenbein: Wie Möbelbau Kulturen verbindet
ErfolgsgeschichtenBei Weserholz lernen junge Geflüchtete Tischlern, Gestalten und Deutsch
Weserholz ist eine unkonventionelle Werkstatt in Bremen: Hier bauen junge Erwachsene aus verschiedenen Ländern Möbel, lernen Deutsch und schaffen sich so eine Perspektive. Am Ende sollen sich die Möbeldesigns verkaufen. Nicht, weil sie von Geflüchteten gemacht worden sind, sondern weil sie gut sind. Lob für das Projekt kommt sogar aus Bayern.
Ein merkwürdiger Stuhl als erstes Forschungsprojekt
Dieser Stuhl fällt gleich ins Auge. Während ein Bein dick und stabil ist wie ein Elefantenbein, wirkt ein anderes schlank wie das einer Ameise. Das erste Möbelstück, das bei dem Werkstattprojekt Weserholz in Bremen-Walle entstanden ist, ist zugleich ein Paradebeispiel für praxisnahes Lernen. „Jeder von uns sollte vorher Ideen einbringen und einen Stuhl malen“, erzählt Abdikhadar Muhumed Dahir. „Aber wir können alle nicht gut zeichnen, darum haben wir einfach abwechselnd Striche gemacht. Da waren dann manche dick und manche dünn.“ Designer und Werkstattleiter Anselm Stählin bestand darauf, dass der Stuhl genau so gebaut werden sollte, wie er auf dem Papier zu sehen war – so dient das Möbel inzwischen als lehrreiches Anschauungsmaterial und ist intern als „erstes Forschungsprojekt“ bekannt. „Wir haben nicht nachgedacht, bevor wir angefangen haben“, meint Dahir selbstkritisch. „Jetzt wissen wir, wie wichtig das ist.“
Ziel: Von der Projekt-Werkstatt in die Ausbildung
Der 22-jährige Somalier Dahir ist einer von sechs jungen Männern, die in der unkonventionellen Werkstatt im Bremer Westen erste Einblicke ins Tischlerhandwerk erhalten, Möbel entwerfen sowie bauen und parallel Deutsch lernen. 20 Stunden Arbeit, 15 Stunden Unterricht: So sieht der Wochenplan aus. Seine fünf Mitstreiter, die hier Trainees heißen und allesamt über das Projekt angestellt sind, kommen aus Gambia, Algerien und Afghanistan. Gemeinsam ist ihnen, dass sie keinen sicheren Aufenthaltsstatus in Deutschland haben und derzeit nur geduldet sind. „Wir richten uns ganz bewusst an diesen Personenkreis, weil der es besonders schwer hat“, erläutert Weserholz-Initiatorin Paula Eickmann. Ziel ist es, die Teilnehmer des einjährigen Programms in eine Ausbildung zu vermitteln und ihnen dadurch die Möglichkeit zu verschaffen, einen Aufenthaltstitel zu beantragen. „Die vorübergehende Duldung bringt eine so große Unsicherheit mit sich, dass sich manche der Jungs kaum konzentrieren können“, meint die 32-Jährige. „Man braucht Sicherheit, um lernen zu können und seinen Weg weiterzugehen.“
„Möbelbau eignet sich besonders gut, um etwas gemeinsam zu machen“
Der Möbelbau eignet sich darum besonders gut, um etwas gemeinsam zu machen.“ Die Idee zu Weserholz entwickelte Paula Eickmann auf der Suche nach einem lösungsorientierten Ansatz innerhalb des aktuellen flüchtlingspolitischen Diskurses. „Ich wollte einen Ort schaffen, an dem junge Erwachsene mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen anders lernen können als im klassischen Frontalunterricht“, sagt sie. „Es sollte ein ganzheitlicher Ansatz sein, bei dem die Teilnehmer auch mit ihren Händen einen künstlerisch-gestalterischen Zugang zu ihrem neuen Umfeld finden.“ Möbel seien ein Thema, über das sich Menschen kulturübergreifend wunderbar austauschen könnten: „Jeder kann damit etwas anfangen, jeder kann eigene Ideen einbringen. Der Möbelbau eignet sich darum besonders gut, um etwas gemeinsam zu machen.“ Außerdem sei Holz ein sehr schöner Werkstoff, findet die Projektleiterin. „Holz hat so etwas Lebendiges und Sinnliches.“
Frauen sind ausdrücklich erwünscht
Mit all ihren Sinnen sind die sechs Trainees nun schon seit November 2017 dabei, ihre Fertigkeiten im Tischlern zu verbessern und eine eigene Designsprache mit afrikanischen, arabischen und europäischen Nuancen zu entwickeln. Nach dem ersten „Forschungsstuhl“ sind mittlerweile diverse weitere Stühle, Tische und Regale entstanden, die in der Werkstatt und im Unterrichtsraum zum Einsatz kommen. Paula Eickmann und ihre Projektpartnerin Tanja Engel, mit der sie zusammen Weserholz leitet, haben begonnen, Kontakte zu Bremer Handwerksbetrieben herzustellen: Die Trainees sollen dort die Möglichkeit erhalten, Praktika zu machen und bei Interesse später eine Ausbildung zu beginnen. Beiden ist die Feststellung wichtig, dass sich das Projekt ausdrücklich auch an Frauen richtet. „Wir waren auch schon mit einigen im Gespräch“, berichtet Engel. „Aber das Problem war die Kinderbetreuung: Die können wir hier nicht auch noch stemmen.“
„Hidden Movers Award“: Hoch dotierte Auszeichnung aus Bayern
Wenn alles nach Plan läuft, soll sich Weserholz in Zukunft zu großen Teilen selbst tragen und als Sozialunternehmen vom Verkauf hochwertiger, selbst entwickelter Möbel leben. In der Anfangsphase ist das Projekt noch auf Unterstützung angewiesen, die derzeit unter anderem in einer zweijährigen Förderung durch die „Aktion Mensch“ sowie diversen Spenden und Förderungen besteht. So wird der Sprachunterricht vom Bremer Sozialressort und von der Schütting-Stiftung finanziert. Eine besondere Ehrung bekam das Team im Herbst 2017: 25.000 Euro wurden aus Bayern nach Bremen überwiesen. In München war Weserholz mit dem „Hidden Movers Award“ ausgezeichnet worden; eine Auszeichnung, die innovative Bildungsinitiativen für junge Menschen würdigt. „Wir haben uns riesig gefreut, einen Preis aus Süddeutschland zu bekommen“, sagt Tanja Engel, „weil die Situation für Geflüchtete dort noch schwieriger ist.“ Und Paula Eickmann ergänzt: „Das hat uns noch mal einen Schub und neues Selbstvertrauen gegeben.“
Für den nächsten Durchgang existiert schon eine Warteliste
Damit die Trainees ihre Ideen frei entfalten und umsetzen können, brauche es einen vertrauensvollen Umgang, meint Eickmann. „Wir bieten ihnen hier eine sehr individuelle und persönliche Begleitung, darum haben wir die Gruppengröße auf sechs Teilnehmer begrenzt.“ Der Betreuungsschlüssel sei auch deswegen vergleichsweise hoch, weil für viele Fragen erst noch Antworten gefunden werden müssten. Die 32-Jährige ist überzeugt: „Vieles von dem, was wir hier entwickeln, kann letztlich massentauglich sein. Dafür bedarf es allerdings eines Umdenkens bei Kommunen, Betrieben und klassischen Bildungsträgern.“ Entscheidend sei es, von den teilnehmenden Menschen auszugehen: „Daran scheitern viele klassische Modelle.“ In Bremen kommt das Projekt so gut an, dass es für den nächsten Durchgang schon eine Warteliste gibt. Die beiden Initiatorinnen hoffen nun, dass ihre Idee auch in anderen Städten aufgegriffen wird. „Wir würden uns wünschen, dass es Nachahmer gibt“, betont Tanja Engel. „Es muss ja nicht zwingend etwas mit Holz sein.“
Pressekontakt:
Paula Eickmann, Weserholz, Tel.: +49 421 22291091, E-Mail: paula@weserholz.de
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Foto 3: Auch Deutschunterricht steht bei dem Projekt Weserholz auf dem Stundenplan. © WFB/Focke Strangmann
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