Wo lohnt sich Wasserstoff? Anwendungsgebiete in der Energiewende
WasserstoffAnwendungsgebiete für klimaneutralen Wasserstoff
Lohnt sich klimaneutraler Wasserstoff? Diese Frage lässt sich pauschal nicht mit ja oder nein beantworten. Denn es gibt viele verschiedene Anwendungsgebiete für Wasserstoff: ob nun in Fahrzeugen, in Flugzeugen, Schiffen oder in der Industrie. Wer eine Antwort auf die Frage nach den Einsatzzwecken von Wasserstoff sucht, muss genau hinschauen.
Das hochentzündliche Gas gilt heute als ein wichtiger Baustein in der Energiewende. Gemeint ist dabei immer die Nutzung von klimaneutralem oder „grünem“ Wasserstoff. Dieser wird per Elektrolyse aus Wasser gewonnen. Der für die Elektrolyse benötigte Strom muss dabei aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Fotovolatik kommen, damit der grüne Wasserstoff wirklich klimaneutral ist.
Anders sieht es zum Beispiel bei grauem Wasserstoff aus. Er wird hauptsächlich aus Erdgas gewonnen und macht heute mehr als 95 Prozent des in Deutschland genutzten Wasserstoffs aus. Bei diesem Produktionsverfahren („Dampfreformierung“ genannt) entsteht jedoch CO2, der Prozess ist somit klimaschädlich. (Es gibt noch zahlreiche weitere Wasserstofffarben, die sollen hier aber nicht weiter behandelt werden.)
Inhaltsverzeichnis
- Mögliche Einsatzgebiete von Wasserstoff in Industrie und Transportwesen
- Grüner Wasserstoff und Stromproduktion in Deutschland
- 1. Lohnt sich Wasserstoff für Flugzeuge?
- 2. Lohnt sich Wasserstoff für Schiffe?
- 3. Lohnt sich Wasserstoff für Züge?
- 4. Lohnt sich Wasserstoff für das Auto?
- 5. Lohnt sich Wasserstoff für Nutzfahrzeuge und Kommunalfahrzeuge?
- 6. Lohnt sich Wasserstoff für Industrieanwendungen?
- 7. Lohnt sich Wasserstoff für Wärmeerzeugung in Privathaushalten?
- 8. Lohnt sich Wasserstoff als Stromspeicher?
- Fazit: Wo lohnt sich Wasserstoff?
Mögliche Einsatzgebiete von Wasserstoff in Industrie und Transportwesen
Wasserstoff kann heute auf verschiedene Weisen eingesetzt werden:
- Wasserstoff wird hauptsächlich in chemischen Umwandlungsprozessen benötigt. Etwa zur Erzeugung von Ammoniak im Haber-Bosch-Verfahren, einem der weltweit wichtigsten industriellen Verfahren zur Erzeugung von Düngerbestandteilen. Aber auch zur Ölraffination und als Bleichmittel (Wasserstoffperoxid).
- In industriellen Prozessen dient es als Schutzgas, wird in der Metall- und Glasherstellung benötigt oder auch in der Lebensmittelindustrie (Fetthärtung)
- Brennstoffzellen erzeugen aus Wasserstoff und Luftsauerstoff Elektrizität in einem chemischen Prozess. Sie werden meist in Fahrzeugen eingesetzt.
- Motoren, Turbinen und Brenner können Wasserstoff aber auch direkt verbrennen – ähnlich wie zum Beispiel Erdgas. Ziel ist es, entweder Wärme zu erzeugen oder mechanische Prozesse anzutreiben – wie etwa eine Flugzeugturbine.
- Wasserstoff kann in Kohlenwasserstoffe wie Methan, Methanol, Benzin und Kerosin – sogenannte Derivate oder Syn-Fuels - umgewandelt und in dieser Form beispielsweise als Treibstoff verwendet werden. Für diesen Umwandlungsprozess wird Kohlenstoff benötigt, beispielsweise in Form von CO2.
- Zuletzt kann Wasserstoff als Energiespeicher dienen, indem er überschüssigen Strom aus Wind und Solar in Wasserstoff umwandelt und speichert.
Grüner Wasserstoff und Stromproduktion in Deutschland
Wasserstoff ist also vielseitig einsetzbar. Damit das Gas in diesen Bereichen seine Rolle als grüner Energieträger ausspielen kann, ist es jedoch auf erneuerbare Energien angewiesen, denn große Mengen grünen Stroms sind notwendig, um Wasserstoff aus Wasser zu gewinnen.
Der Strom aus erneuerbaren Energien muss zukünftig deshalb nicht nur den bisher fossil erzeugten Strom ersetzen, sondern zusätzlichen Strom erzeugen, damit dieser für die Erzeugung von Wasserstoff genutzt werden kann. Denn Deutschland soll ab 2035 nahezu vollständig klimaneutral Strom erzeugen, so die aktuellen Pläne der Bundesregierung.
Sollte Deutschland nicht in der Lage sein, den benötigten Wasserstoff selbst zu produzieren – und das ist sehr wahrscheinlich – ist es künftig wie heute auf Energieimporte angewiesen. In der nationalen Wasserstoffstrategie sieht die Bundesregierung einen Bedarf von 90 – 110 Terawattstunden (TWh) bis 2030, bei einer Eigenproduktion von 14 TWh.
Exkurs: Unterschied Stromverbrauch und Energieverbrauch
Nur ein Teil unseres gesamten Energiebedarfs wird durch Strom abgedeckt. Industrie, Haushalte und das Gewerbe nutzen Öl, Gas und Kohle in einem viel größeren Anteil (PDF) abseits von stromproduzierenden Kraftwerken – meistens zur Erzeugung von Wärme (zum Beispiel Öl- und Gasheizungen), mechanischer Energie (zum Beispiel Motoren) oder in chemischen Verfahren (zum Beispiel Methanol- oder Ammoniakproduktion, Stahlerzeugung). Die Klimawende muss auch in diesen Bereichen auf nachhaltige Technologien setzen, rein grüner Strom reicht also nicht.
Wasserstoff wird also in Zukunft vielfach eingesetzt, um Erdgas oder Öl zu ersetzen – nicht in allen Bereichen, aber in vielen. Denn während zum Beispiel Gaskraftwerke durch Wind und Solar sowie Energiespeicher ausgetauscht werden könnten, ist dies bei industriellen Verfahren wie bei der Ammoniak-Erzeugung nicht möglich – denn hier braucht man einfach die Wasserstoffatome, aus denen Ammoniak synthetisiert (= hergestellt) wird.
In welchen Branchen ergibt der Einsatz von Wasserstoff heute Sinn? Wir gehen hier die verschiedenen Einsatzgebiete durch und versuchen herauszufinden, wie dort Wasserstoff genutzt werden kann.
Wo lohnt sich Wasserstoff? Acht Anwendungsgebiete
1. Lohnt sich Wasserstoff für Flugzeuge?
Die Luftfahrt steht vor großen Herausforderungen, wenn sie klimaneutral werden will. Denn die technischen Lösungen müssen vor allem eins sein: leicht und sicher. Kerosin bietet eine hohe Energiedichte und die Branche verfügt über jahrzehntelange Erfahrungen im Handling des Treibstoffs.
Batterien kommen nur bedingt infrage. Ein Beispiel zeigt, warum: Kerosin hat eine Energiedichte von 43 Megajoule (MJ) pro Kilogramm, während Lithium-Ionen-Akkus heute gerade einmal 0,65 MJ/kg bieten – ein Jumbo Jet mit heutiger Batterietechnologie würde niemals abheben, weil er 12.000 Tonnen wöge, würde man die Energiedichte des an Bord mitgeführten Kerosins in Batteriegewicht umrechnen. Aus diesem Grund sind Batterien höchstens für Kleinflugzeuge auf inländischen Kurzstrecken interessant, die ein besseres Energie-Gewichts-Verhältnis bieten.
Eine realistische Alternative zu Batterien sind SAF – Sustainable Aviation Fuels. Diese könnten zum Beispiel aus Biokraftstoffen gewonnen werden. Aber Biokraftstoffe kommen immer mehr in Verruf, denn sie verdrängen Anbauflächen für Lebensmittel, sorgen für Monokulturen auf den Feldern und haben somit einen negativen ökologischen Fußabdruck. Derzeit werden SAF zwar auch aus Rest-und Abfallstoffen der Lebensmittelindustrie gewonnen, hier bleibt jedoch die Frage, ob die Menschheit genügend verwertbaren Abfall produziert, um daraus die Luftfahrtbranche zu unterhalten.
Hier entsteht eine Chance für Wasserstoff – derzeit auf zwei möglichen Wegen:
Weg 1: Wasserstoffantrieb
Wasserstoff bietet eine sehr hohe Energiedichte im flüssigen Zustand (bei -252,9 °C), was ihn attraktiv für die Luftfahrt macht. Das Gas könnte entweder herkömmliche Turbinen direkt antreiben oder über Brennstoffzellen Propeller mit Strom versorgen.
Flugzeughersteller wie Airbus arbeiten aus diesem Grund daran, Wasserstoffflugzeuge für Kurz- und Mittelstrecken (bis ca. 3.500 km) zu entwickeln. Für Langstrecken eignen sie sich bisher noch nicht, da den Vorteilen des Wasserstoffs einige designtechnische Hürden entgegenstehen: Wasserstofftanks können nach heutigem Stand nur im Rumpf untergebracht werden, da sie kugelförmig sein müssen, um dem hohen Druck widerstehen zu können. Das verringert wiederum den Platz im Flugzeug selbst – bei Langstrecken würden die Tanks zu groß werden. Sie müssen zudem gekühlt werden, damit der Wasserstoff flüssig bleibt. Außerdem ist Wasserstoff zwar leicht, aber benötigt für dieselbe Energiemenge ein vierfach höheres Volumen als Kerosin, weshalb sich vergleichsweise weniger Reichweite aus ähnlichen Kraftstoff-Volumina herausholen lässt.
ECOMAT Forschungszentrum
Wasserstoff stellt hohe Anforderungen an die Flugzeuge der nächsten Generation. Ein Ort, an dem die Flugzeuge von morgen heute schon entwickelt werden, ist dabei das ECOMAT Forschungszentrum in Bremen. Es verbindet die Kompetenzen aus Luft- und Raumfahrt und der Materialwissenschaft, um neue Lösungen zu finden. Ein Spezialgebiet der Bremer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist dabei das Tankdesign. Auch Airbus forscht hier gemeinsam mit zahlreichen Bremer Instituten an neuen Lösungen.
Weg 2: Syn-Fuels
Statt Wasserstoff direkt zu verbrennen, kann man das Gas auch nutzen, um daraus synthetische Kraftstoffe zu gewinnen, zum Beispiel Methanol (norddeutsches Beispielprojekt: Atmosfair der Lufthansa Group). Diese Power-to-Liquid-genannten Verfahren synthetisieren dabei Wasserstoff mit CO2 aus der Luft, um daraus „künstliche fossile“ Treibstoffe zu gewinnen. Bei der Verbrennung produzieren diese zwar wieder CO2, aber klimaneutral, da kein neues Kohlendioxid freigesetzt wird, weil es bei der Herstellung der Luft entzogen wurde.
Der Nachteil dieser Verfahren: Sie sind energieintensiv, da nicht nur die Elektrolyse Energie verbraucht, sondern auch die anschließende Synthese – die Energieverluste bis hin zum Flugzeug sorgen dafür, dass Syn-Fuels vergleichsweise teurer sind als andere Verfahren. Dafür eignen sie sich aufgrund der hohen Energiedichte besser für Langstreckenflüge. Zudem können herkömmliche Maschinen mit diesen Treibstoffen betankt werden, so dass auch eine bestehende Flotte mit wenigen Umrüstungen klimaneutral fliegen kann. Bei einer Nutzungszeit von ca. 40 Jahren bei Flugzeugen ist dies ein ganz wesentlicher Aspekt.
Welches der Verfahren am Ende das Rennen macht, hängt stark von den künftigen technischen Entwicklungen, Innovationen und regulatorischen Weichenstellungen ab. Und von der Frist, in der klimaneutrales Fliegen wirklich umgesetzt werden soll.
2. Lohnt sich Wasserstoff für Schiffe?
Die Schifffahrt steht interessanterweise vor ähnlichen Herausforderungen wie die Luftfahrt, wenn es um alternative Antriebe geht. Das große Volumen von Wasserstofftanks benötigt weitaus mehr Platz als herkömmliche Schiffstanks, was wiederum die mögliche Zuladung oder Reichweite verringert. Gleichzeitig sind die Sicherheitsanforderungen hoch, um den internationalen Schiffsverkehr nicht zu gefährden.
Trotzdem ist Wasserstoff ein sehr aussichtsreicher Kandidat für die Schifffahrt, denn Schiffe lassen sich relativ leicht mit Brennstoffzellenantrieben nachrüsten, im Vergleich zu Flugzeugen ist auch kein komplett neues Design nötig. Eine Studie aus dem Jahr 2020 über Schiffsverkehre zwischen China und den USA kam zudem zum Schluss, dass ein Großteil aller Fahrten mit keinen oder nur sehr geringen Einbußen möglich (PDF) ist. Erst bei sehr langen Touren von großen Containerriesen nimmt der Platzbedarf von Wasserstoff enorm zu.
Wie beim Flugzeug sind alternative Kraftstoffe, die Syn-Fuels, auch für die Schifffahrt eine Möglichkeit – aber auch hier bestehen dieselben Herausforderungen wie in der Luftfahrt, was Effizienz und Kosten angeht. Erste kommerzielle Schiffe, die mit Dual-Fuel laufen, sind bereits in der Planung bzw. im Bau: Die dänische Reederei Maersk baut ein Containerschiff, das mit Methanol fahren soll.
Erste Schiffe mit Wasserstoff sind ebenfalls unterwegs, wie etwa die MF Hydra, eine 82 Meter lange Fähre, die in Norwegen verkehrt. Diese Projekte befinden sich aber noch im Prototypen- und Erprobungsstadium.
3. Lohnt sich Wasserstoff für Züge?
61 Prozent des deutschen Schienennetzes sind elektrifiziert – auf diesen Strecken fahren hocheffiziente E-Loks, die 90 Prozent der gesamten Beförderungsleistung erbringen. Die verbleibenden 10 Prozent werden jedoch mit Dieselloks durchgeführt, ein potenzielles Anwendungsgebiet für Wasserstoff, denn gerade selten befahrene Strecken werden auch in Zukunft wohl nicht zu hundert Prozent elektrifiziert.
Ein Beispiel dafür ist die Linie Buxtehude – Bremerhaven - Cuxhaven, auf der ein Nahverkehrszug mit einer Brennstoffzelle getestet wurde und zukünftig auch eingesetzt wird. Gegenüber reinen Batteriezügen sind sie im Reichweitenvorteil und kommen hier etwa auf 1.000 Kilometer mit einer Tankfüllung. Die guten Erfahrungen aus den ersten Jahren haben das Land Niedersachsen dazu bewogen, weitere Wasserstoffzüge anzuschaffen.
Ein weiteres Projekt ist die Elektrifizierung von Rangierloks mit Brennstoffzellen wie sie derzeit am Hafen in Bremerhaven anvisiert wird. Ebenso wie im LKW-Bereich (siehe Punkt 5) wird auch bei Loks mit der Umrüstung von Verbrennungsmotoren auf Wasserstoffbetrieb experimentiert, was Kosten gegenüber einer kompletten Umstellung auf Brennstoffzellen sparen soll.
4. Lohnt sich Wasserstoff für das Auto?
Es ist keine neue Idee, Brennstoffzellen in Autos einzusetzen. 1966 präsentierte General Motors das erste Brennstoffzellenfahrzeug, den „Electrovan“. In Europa war es das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum DLR, das 1978 einen Pkw mit Brennstoffzellenantrieb vorstellte. Beides Prototypen, die nicht weiterverfolgt wurden – ein Schicksal, das in den folgenden Jahrzehnten viele Wasserstoff-Pkws teilten. Erst 2014 gelang Toyota mit dem „Mirai“ die Serienproduktion, der Autobauer schlug damit ein neues Kapitel auf.
Zu einem Massenphänomen ist das Wasserstoffauto aber bisher nicht geworden, während Batterieautos gerade einen Boom erleben. Warum ist das so?
Energieeffizienz des Wasserstoff-Systems
Ein Hauptproblem ist – und das betrifft nicht nur Pkws, sondern alle Wasserstoffanwendungen in denen Gas als Energiespeicher dient – die geringe Gesamteffizienz des Systems. Zunächst muss Wasser per Strom (aus Wind und Solar) aufgespalten werden, danach dieser Wasserstoff gespeichert und zu seinem Einsatzort transportiert werden, bevor er überhaupt ins Auto gelangt. Das Auto selbst wandelt den Wasserstoff wieder in Strom um, der dann schlussendlich den Motor und das Rad antreibt. Bei diesen vielen Umwandlungs- und Transportprozessen geht viel Energie verloren – zwischen 60 und 70 Prozent wird heute angenommen. Ein reines Batteriesystem hat hingegen einen typischen Verlust von 10-20 Prozent.
Dieser enorme Energieverlust ist nicht nur ineffizient, sondern auch teuer, denn der Verluststrom muss erst einmal produziert werden. Gegenüber den immer günstiger werdenden Batterien sind Brennstoffzellensysteme damit im Nachteil.
Kosten und Verbreitung
Durch die Ineffizienz und die bisher noch geringe industrielle Produktionskapazität von grünem Wasserstoff ist der Preis für ein Kilogramm heute noch vergleichsweise hoch, 100 Kilometer mit dem H2-Pkw kosten ca. 8 Euro gegenüber ca. 4,50 Euro im batteriegetriebenen Elektroauto – aber beides immerhin noch günstiger (bei Benzinkosten über 2 Euro) als ein benzingetriebenes Fahrzeug im reinen Kilometervergleich (ohne zum Beispiel Anschaffung, Betriebskosten, Wartung, Abnutzung etc. zu betrachten).
Hinzu kommt, dass es in Deutschland rund 94 Wasserstofftankstellen gibt – gegenüber 14.500 herkömmlichen. Je nach Wohnort kann also allein die Fahrt zum Auftanken eine Weile dauern und das Fahrzeug damit teurer werden. Gleichzeitig ist es für Tankstellenbetreibende unattraktiv in Wasserstoffinfrastruktur zu investieren, solange es kaum Nachfrage gibt – ein typisches Henne-Ei-Problem.
Zwar ist anzunehmen, dass mit dem geplanten Ausbau der Elektrolysekapazitäten in den kommenden Jahren die Kosten für Wasserstoff sinken, aber gleichzeitig wird auch an neuen, immer effizienteren Batterien weitergeforscht.
Gegenüber einem Batterieauto verfügt ein Wasserstofffahrzeug zudem über zusätzliche Komponenten, die Mehrkosten verursachen und Wartung bedürfen – zum Beispiel den Tank oder die Brennstoffzelle. Allerdings kann Wasserstoff ähnlich wie Benzin in wenigen Minuten getankt werden, während Batterieautos über Stunden aufgeladen werden müssen, wenn nicht genügend Schnelllader zur Verfügung stehen. Dies könnte gerade in Großstädten relevant werden.
Ob Wasserstoff im Individualverkehr eine Zukunftsperspektive hat, hängt damit stark von den technischen Entwicklungen, aber auch vom Ausbau der Infrastruktur ab.
5. Wasserstoff für Nutzfahrzeuge und Kommunalfahrzeuge
Ein interessanter Anwendungsfall sind Nutzfahrzeuge – hier könnte sich Wasserstoff lohnen. Gegenüber Autos bieten LKWs mehr Platz, um größere Tanks unterzubringen, was eine höhere Reichweite ermöglicht.
Außerdem fahren sie öfter: Ein Auto wird im Durchschnitt pro Tag rund 45 Minuten (PDF) benutzt – während LKWs und Busse durchaus 6-8 Stunden und länger bewegt werden können. Diese höhere Nutzungsdauer bedeutet einen höheren Verbrauch und im Falle von Batterien lange Aufladezeiten. Wasserstoff-LKWs könnten hingegen wie herkömmliche dieselgetriebene Fahrzeuge innerhalb von wenigen Minuten aufgeladen werden – ein Vorteil.
Batterien wiegen zudem enorm viel und sind deutlich größer. Je nachdem, wie groß die Reichweite eines LKW sein soll, müssen sehr große Batteriepacks installiert werden, die das Leergewicht des Fahrzeugs erhöhen und so die zulässige Frachtmenge und -Volumina verringern.
Grüne Nutzfahrzeuge von ENGINIUS
Aus diesen Gründen setzt etwa der Kommunalfahrzeughersteller FAUN auf Wasserstoff. Im Bundesland Bremen produziert das Unternehmen über die Marke ENGINIUS heute Müllwagen mit Brennstoffzellenantrieb und zukünftig auch entsprechende Lastkraftwagen in Serie.
FAUN ist zudem Teil des Forschungsprojekts „Hyways for Future“. Mit einem Investitionsvolumen von 90 Millionen Euro entsteht im Projekt eine zusammenhängende Wasserstoffwirtschaft aus Erzeugung, Transport und Lagerung sowie Verbrauch, um das Zusammenspiel verschiedener Akteure in der Wertschöpfungskette zu erforschen.
Neben Brennstoffzellenantrieben arbeiten Unternehmen wie der LKW-Hersteller MAN zudem daran, Wasserstoff in Verbrennungsmotoren einzusetzen, was eine einfachere Serienfertigung in bestehenden Fertigungslinien ermöglichen könnte – ob dies auf Dauer kosteneffizienter als eine Brennstoffzelle ist, steht jedoch noch nicht fest.
Wasserstoff in Nutzfahrzeugen ist aber noch längst keine ausgemachte Sache. Denn auch hier wird schon länger an reinen Batterie-Lösungen gearbeitet. So will Tesla 2022 mit dem „Semi“ starten, einer Sattelzugmaschine, die bis zu 800 Kilometer an Reichweite ermöglicht. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI erwartet, dass batterieelektrische Lkw im Kurz- und Mittelstreckenverkehr günstiger und damit attraktiver werden, während Wasserstoff für Langstrecken und Spezialanwendungen eingesetzt wird. Nachteile wie lange Ladezeiten sollen durch sogenannte Megawattcharger ausgeglichen werden, die auch LKWs in vertretbarer Zeit aufladen können. Ein anderes Projekt sind Stromleitungen über Autobahnen – ähnlich wie bei einem O-Bus. Erste Pilotprojekte laufen dazu bereits seit einigen Jahren.
Auch im Busverkehr gibt es bisher ein Nebeneinander von beiden Lösungen. So fahren in Bremen auf fünf Linien Elektrobusse, während in Bremerhaven der Einsatz von Wasserstoffbussen getestet wird. Aufgrund der relativ geringen täglichen Kilometerleistung von Bussen (ca. 300 Kilometer) sind Batterien hier kein so großes Hindernis wie im Langstreckeneinsatz. In Bremerhaven ist der Wasserstoffbus zudem Teil eines größeren Testballons, der die Herstellung, Lagerung und Verwendung von Wasserstoff in einem System im praktischen Einsatz erprobt. Aufgrund der Nähe zu den erneuerbaren Energien ist die Seehafenstadt dafür ein ideales Gebiet.
6. Lohnt sich Wasserstoff für Industrieanwendungen?
2019 wurden weltweit 115 Megatonnen (= Millionen Tonnen) Wasserstoff durch die Industrie verbraucht, dieser stammt nahezu vollständig aus fossilen Quellen (PDF, S. 26). In der Prozess- und chemischen Industrie gibt es zahlreiche Einsatzzwecke für Wasserstoff – das Gas wird bereits heute im großen Umfang benötigt. Allein die Umstellung von grauen auf grünen Wasserstoff hier wird den weltweiten CO2-Ausstoß beträchtlich senken können.
Ein Großteil des bisherigen grauen Wasserstoffs wird für Ammoniak (31 Megatonnen = Mt) für die Düngemittelproduktion und Methan (12 Mt) für Klebstoffe, Farben, Schmierstoffe und Treibstoffe verwendet. Hier kann Wasserstoff nicht durch einen anderen Stoff oder eine andere Energiespeicherform (z. B. Batterien) ersetzt werden und muss deshalb grün produziert werden. Dafür sind hier aber auch keine neuen Verfahren oder Konstruktionslösungen notwendig, was den Einsatz grünen Wasserstoffs einfach macht, sobald er durch marktwirtschaftliche Prozesse oder regulatorische Vorgaben attraktiv wird.
In weiteren Industriebereichen gibt es wiederum die Möglichkeit, durch grünen Wasserstoff fossile Brennstoffe zu ersetzen. So ist die Stahlerzeugung, die in Deutschland jährlich rund sieben Prozent der CO2-Emissionen ausmacht, ein potenzielles Anwendungsfeld.
Projekt Wasserstoff im Stahlwerk Bremen
Als der größte CO2-Produzent Bremens steht das Stahlwerk von ArcelorMittal vor einer großen Herausforderung in der Energiewende. Im Projekt „Hybit“ wird u.a. ein 12 MW Elektrolyseur aufgebaut, um damit unter anderem den Einstieg in eine grüne Stahlproduktion zu ermöglichen. Perspektivisch soll das Projekt in eine norddeutsche Wasserstoffökonomie eingebunden werden.
Auch die Glasherstellung erzeugt hohe Mengen an CO2-Emissionen, denn um die Ausgangsstoffe einzuschmelzen, werden Gasbrenner eingesetzt. Jede Tonne Glas produziert bisher annähernd eine Tonne CO2. Erste Pilotprojekte mit Wasserstoff laufen bereits.
Auch in vielen weiteren Bereichen wird Wasserstoff in der Industrie benötigt, etwa bei der Herstellung streichfähiger Margarine in der Lebensmittelindustrie oder in der chemischen Verwertung von Abfallstoffen. Industrieprozesse bieten somit ein gigantisches Einsatzpotenzial für grünen Wasserstoff und sie werden in Zukunft auch dessen prioritäres Anwendungsgebiet werden.
7. Lohnt sich Wasserstoff für Wärmeerzeugung in Privathaushalten?
Rund die Hälfte aller deutschen Haushalte heizen mit Erdgas. Gasheizungen lassen sich auch mit Wasserstoff betreiben – eine Beimischung von Wasserstoff im Erdgas kann die CO2-Emissionen reduzieren (PDF S. 88). Eine komplette Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff ist theoretisch möglich, jedoch mit technischem Aufwand verbunden, da herkömmliche Erdgasleitungen nicht für reinen Wasserstoff ausgelegt sind. Hierzu müssen Teile des Netzes angepasst werden.
Wie in anderen Sektoren auch, steht auch im Gebäudebereich die niedrige Effizienz dem Wasserstoff im Weg. Luft-Wärme-Pumpen haben einen deutlich höheren Wirkungsgrad bezogen auf die eingesetzte Kilowattstunde an Energie, da sie direkt mit Strom betrieben werden und keine Konvertierung Strom-Wasserstoff-Strom stattfinden muss. Zudem ist die Technologie etabliert und wird bereits heute weitverbreitet eingesetzt.
Wasserstoff kann hier jedoch eine Brückenfunktion übernehmen, bis die Umstellung auf andere Heiztechnologien erfolgt ist oder dort als klimafreundliches Heizgas genutzt werden, wo es aus anderen Gründen unmöglich ist. Eine Nischenanwendung könnte Wasserstoff dort behalten, wo eine dezentrale Energie- und Wärmeerzeugung nötig ist, oder zum Beispiel eine autarke Kombination aus Stromerzeugung, Energiespeicherung und Verbrauch angestrebt wird.
8. Lohnt sich Wasserstoff als Stromspeicher?
Im Verkehrssektor dient Wasserstoff vor allem als Energiespeicher – um Wind- und Solarkraft auf der Straße, in der Luft oder auf See bereitzustellen. Deshalb konkurriert er dort auch mit der Batterietechnologie.
Aber auch in der stationären Stromerzeugung kann Wasserstoff eine wichtige Rolle zukommen. Denn Wind und Sonne sind volatil, bei Flaute und in der Nacht erzeugen sie keinen Strom, während an Sturmtagen oder im Hochsommer schnell viel mehr produziert als benötigt wird. Bereits heute liefern erneuerbare Energien an einigen wenigen Tagen im Jahr mehr Strom, als in Deutschland dann jeweils gebraucht wird.
Dieses Missverhältnis aus Angebot und Nachfrage lässt sich mit Energiespeichern abfedern – sie geben dann Strom ab, wenn Wind und Sonne zu wenig liefern und nehmen dann auf, wenn zu viel für das Netz produziert wird. Heute sind viele verschiedene Energiespeicherlösungen mit sehr unterschiedlichen Speichervolumina im Gespräch, ob nun für direkte Speicherung von Strom in großen Batterieanlagen oder für die indirekte Speicherung von Energie mittels Wasser-Speicherkraftwerken, Flüssigsalz-, Druckluft- oder gar mechanischen Speichern.
Aber auch Wasserstoff kann diese Rolle übernehmen – Elektrolyseure nehmen überschüssigen Strom ab und wandeln ihn in Wasserstoff. Dieser würde für den Verkehrs- oder Industriesektor verwendet oder auch zur Stromerzeugung für das Netz, wenn er in Kraftwerken rückverstromt wird. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass Wasserstoff im großen Ausmaß wie Erdgas in Kavernen gelagert werden kann, unterirdischen Hohlräumen, von denen es in Norddeutschland zahlreiche bereits heute gibt.
Im Gegensatz zu anderen Speichertechnologien bieten sie eine hohe Skalierbarkeit, denn Kavernen und Tanks können im Großmaßstab gebaut werden – viele der anderen Speichermöglichkeiten befinden sich noch im Prototypenstadium oder sind praktisch kaum umsetzbar (zum Beispiel die Schaffung neuer Stauseen in Deutschland für Pumpspeicherkraftwerke).
Fazit: Wo lohnt sich Wasserstoff?
Wasserstoff ist ein unverzichtbarer Rohstoff für unsere Gesellschaft. Zudem bietet er die Chance, als Energiespeicher sowohl im Verkehrssektor als auch in der stationären Energieversorgung Aufgaben fossiler Rohstoffe zu übernehmen. Um die großindustrielle Produktion von grünem Wasserstoff für die Chemieindustrie führt kein Weg vorbei. In welchen Bereichen er sich letztendlich durchsetzt und wo es noch alternative Lösungen gibt, steht heute noch nicht fest, auch wenn sich bereits eine Ordnung (siehe Grafik oben) herauskristallisiert. Wenn die Produktionskapazitäten in Zukunft steigen, werden die Kosten weiter sinken, was wiederum neue Einsatz-Möglichkeiten eröffnet.
Mehr Informationen über Wasserstoff in der Anwendung
Als Anlaufstelle zu Themen rund um die künftige Nutzung des klimaneutralen Gases steht die Geschäftsstelle Wasserstoffwirtschaft Bremen Unternehmen zur Verfügung. Sie koordiniert und implementiert die Aktivitäten im Bereich Wasserstoff in Bremen und vernetzt sich mit Partnerinnen und Partnern von der regionalen bis hin zur internationalen Ebene.
Weitere Informationen zu Wasserstoff in der Anwendung in Bremen finden Sie auch auf unserer Übersichtsseite Wasserstoff.
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