Alles Wurst? Raum für Kreative in einer ehemaligen Wurstfabrik
KreativwirtschaftExistenzgründer finden im Wurst Case Platz zum Experimentieren
Ungewöhnliche Ideen brauchen Raum, um sich zu entfalten. In einer ehemaligen Wurstfabrik hat die Bremer ZwischenZeitZentrale einen Ort geschaffen, an dem Kreative zu erschwinglichen Preisen Arbeits- und Büroräume zwischennutzen können.
Das Material der Handtasche kommt einem seltsam bekannt vor – Erinnerungen an den Schulsport werden wach, an Weichbodenmatten und harte Purzelbaumlandungen. Auch die Schnalle der Handtasche erinnert an Tornister aus der Grundschule. Die Ähnlichkeit ist nicht zufällig: Uwe Arndt stellt Handtaschen und Accessoires aus ausgemusterten Sportgeräten, Luftmatratzen, Segeln oder Autogurten her. Im Erdgeschoss der ehemaligen Wurstfabrik Könecke in Bremen Sebaldsbrück hat er auf 60 Quadratmetern sein Lager und seine Werkstatt aufgeschlagen, im Wurst Case.
Wo früher Buchhalterinnen Rechnungen prüften, näht, schneidert und nietet Arndt jetzt im ehemaligen Lohnbüro. „Ich bin fast jeden Tag hier. Mir gefällt es hier. Früher habe ich meine Taschen in meiner Wohnung gemacht, jetzt ist es schön rauszukommen“, sagt der gebürtige Schwabe und Wahlbremer. Mit Lumabag hat er seine eigene Taschenmanufaktur aufgebaut. Von hier versendet er seine handgemachten Produkte nach Deutschland und Europa.
Seine Werkstatt ist ein früheres Büro im Erdgeschoss des Verwaltungsgebäudes auf dem ehemaligen Werksgelände von Könecke. Früher produzierte der Bremer Fleischwarenhersteller hier Salami, Bierschinken oder Bratenaufschnitt. Bis 2012, dann hieß es: aus und vorbei mit der Wurstmacherei. Könecke verlagerte die Produktion aus Bremen nach Delmenhorst, zurück blieben ein Verwaltungsgebäude und eine ganze Reihe an Lager- und Produktionshallen, insgesamt 45.000 Quadratmeter. Viereinhalb Fußballfelder inmitten Hemelingen, zwischen Wohngebieten und Gewerbe.
Stadtteil Hemelingen im Wandel
Könecke ist kein Einzelfall im Bremer Osten: Ende 2015 macht die Bremer Coca-Cola Produktion in Hemelingen dicht, das Werksgelände liegt gleich nebenan. Zusammen 100.000 Quadratmeter Fläche, ein riesiges Areal. „Hemelingen wird umstrukturiert. Wir möchten Teil dieses Prozesses sein und ihn aktiv mitgestalten. Der Stadtteil soll attraktiver werden“, sagt Daniel Schnier. Der studierte Architekt ist Mitbetreiber der ZwischenZeitZentrale ZZZ, ein bundes- und europaweit vielbeachtetes Projekt. Zusammen mit seinen drei Kolleginnen und Kollegen und europaweit wechselnden temporären Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nutzt er leer stehende Gebäude und Brachen (siehe Projekte „Ausserhalb“ oder „bay-WATCH“ auf der ZZZ-Homepage). Er gibt darin Kreativen, frischgebackenen Gründern und denen, die es werden wollen, Raum für ihre Ideen. Von hier aus entwickelt er mit vielen Mitstreitern Stadtforschungsprojekte. Immer zwischen Grundstückeigentümern, Kreativen und Stadtbehörden, die das Projekt finanziell unterstützen. Mittlerweile auch im Austausch im europaweiten Urbact Netzwerk im Programm REFILL mit zehn Städten.
Wir sehen uns aber nicht als Vehikel, sondern als Motor einer Bewegung, die Arealen dauerhaft neues Leben einhaucht.
Daniel Schnier, ZZZ
Von Delikatesswurstwaren zum Karmatransforming
Die ZZZ nutzt seit 1. April 2015 einen Raum im obersten Stockwerk des ehemaligen Verwaltungsgebäudes als Hauptquartier. Alle weiteren Räume und die vier Stockwerke darunter gehören den Kreativen. Daniel Schnier schaut von oben über die unzähligen Quadratmeter Hallen und Lager, die hier größtenteils leerstehend auf ihr Schicksal warten. „Zwischennutzung wird häufig als Übergang verstanden. Bis sich ein neuer Investor findet. Wir sehen uns aber nicht als Vehikel, sondern als Motor einer Bewegung, die Arealen dauerhaft neues Leben einhaucht. Leerstände sind Ressourcen, die wir nutzen müssen“, sagt er. Für ihre Arbeit erhält die ZwischenZeitZentrale regelmäßig Preise und Ehrungen. Jüngste Auszeichnung ist der Deutsche Städtebaupreis, der im September 2016 dem Unternehmen hinter der ZZZ, der AAA GmbH, verliehen wurde. Das Thema dieses Sonderpreises lautete „Soziale Impulse durch Städtebau – Urbane Kooperationen und neue Nachbarschaften“.
Zwischennutzung für Investoren und Eigentümer attraktiv
Für Gebäude-Eigentümer hat die Zwischennutzung Vorteile: Die Gebäude sind im Gebrauch, sie werden geheizt und gelüftet, die Bewohner halten die Infrastruktur instand. Gleichzeitig sinkt das Risiko von Einbrüchen und Diebstählen. Zudem erhalten Gebäudebesitzer Mieteinnahmen, wenn auch nicht auf dem marktüblichen Niveau. Denn gerade die niedrigen Mieten machen die temporäre Nutzung für viele interessant. „Viele Menschen können sich vorstellen, eine selbstständige Existenz aufzubauen. Ihnen fehlen nur die finanziellen Mittel. Gleichzeitig wollen sie keinen Kredit aufnehmen, sie wollen Ideen erst testen. Wir bieten hier günstige Mieten und ein Urbanes Labor, die sich jeder leisten kann“, sagt Schnier. Die Büros und Doppelbüros kosten zwischen 15 und 300 Euro im Monat/warm. Ein guter Ort, um eine neue Idee unverbindlich zu testen. Ohne Maklercourtage, Mindestmietdauer und überzogene Nebenkostenabrechnung wird aus der Wurstfabrik eine Kreativschmiede namens Wurst Case in einer Zwischennutzung. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate und grenzt sich somit klar vom herkömmlichen Markt ab.
Belebt und verbunden: Kreative begegnen sich in den Räumlichkeiten
Kommen kann, wer will. „Wir suchen verrückte Ideen, Jung und Alt, Ungewöhnliches und Neues“, lädt Schnier kreative Tüftler in den „Wurst Case“ ein. 50 Kreative arbeiten im Verwaltungsgebäude, zwei Drittel kommen aus Bremen, ein Drittel aus dem niedersächsischen Umland. Fotografen, Musiker, Schokolatiers, Kaffeemacher, 3D-Drucker, Lastenradbauer, Taschenmacher, Coaches, Maler, Studierende der HfK und Grafiker, Philosophen und Designer. Sie alle wollen hier ihre Ideen testen. Alle vier Wochen treffen sie sich. Vom gegenseitigen Austausch und der Inspiration lebt der Wurst Case, sagt auch Uwe Arndt von Lumabag: „Der Austausch ist mir wichtig. So sind Kooperationen entstanden, Grafiker haben mir bei Designs geholfen, ein anderer bei der Verarbeitung von Alublechen“. Neben den regelmäßigen Treffen schauen viele zum Kaffee vorbei, reden miteinander und geben sich Tipps.
Nicht alle Projekte schaffen den Sprung von der Zwischennutzung in die Wirtschaft. Scheitern sei ausdrücklich erlaubt, sagt Daniel Schnier, try&error, das sei das Prinzip. Denn wer den ersten Schritt wagt, könne seine Ideen im Labor testen und dabei Mitstreiterinnen und Mitstreiter finden – Synergieeffekte nicht ausgeschlossen.
Einige Beispiele im Wurst Case:
Lumabag stellt Taschen aus alten Luftmatratzen, Sportmatten, LKW-Planen, Surfsegeln oder Fahrradschläuchen her.
Tini Emde macht unter dem Namen EMTI Illustration, Kunst, Design.
Die freirad Fahrradselbsthilfewerkstatt hilft Interessierten, ihre Fahrräder selbst zu reparieren.
UTAMTSI testet im Kaffeelabor neue Kreationen und Ideen. Das Unternehmen stellt unter anderem den Bremer Stadtkaffee her.
Umfassende Informationen gibt es auf der Internetseite: www.wurstcase-hemelingen.de
Was Kreative in Bremen sonst noch so machen, erfahren Sie auf der Übersichtsseite Kreativwirtschaft.
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