Echte Begeisterung für künstliche Intelligenz
ErfolgsgeschichtenInformatikprofessorin ist Sprecherin des Wissenschaftsschwerpunkts „Minds, Media, Machines“ an der Uni Bremen
Ihre erste große Leidenschaft galt dem Sport, genauer gesagt dem Fußball. Tanja Schultz spielte in der Damen-Fußballmannschaft des FC Spöck (zwischen Karlsruhe und Heidelberg) und sogar in der Länderauswahl von Baden. Nach dem Abitur 1983 studierte sie zunächst an der Universität Heidelberg Mathematik und Sport auf Lehramt. Dann wurde eher zufällig ihre zweite große Leidenschaft geweckt: Über Statistik und Methodenauswertung entdeckte sie die Informatik.
„Während meines Sportstudiums habe ich über einen Privatdozenten einen empirischen Zugang zur motorischen Diagnostik bekommen. Als studentische Hilfskraft habe ich Studien ausgerechnet und statistisch analysiert, so habe ich mein Studium finanziert“, erinnert sich Schultz. „Es war spannend, denn bei den Großrechnern wurden gerade die Lochkarten abgelöst. Die Rechner haben nachts unsere Programme abgearbeitet und morgens haben wir auf den Ausdrucken gesehen, ob wir alles richtig gemacht hatten.“ Sie hat selbst auch Tutorien geschrieben und ihr statistisches Wissen an die Studierenden weiter gegeben. „Mir wurde schnell klar, dass ich mit Studierenden besser arbeiten kann als mit Schulkindern. Mein Staatsexamen wollte ich dennoch abschließen, aber die Frage war: Was mache ich danach?“
Parallel zum Staatsexamen mit dem Informatikstudium begonnen
Schließlich entschied sie sich für ein Informatikstudium an der Universität Karlsruhe und fing schon parallel zum Staatsexamen damit an. „Ich hatte zunächst gehofft, mein Diplom in zwei Jahren machen zu können, weil ich ja schon ein Studium abgeschlossen hatte. Aber ich musste die gesamten zehn Semester Informatik machen. Daraufhin habe ich mir gesagt: Dann mache ich es richtig und werde Professorin!“ Ein ehrgeiziges Ziel, für das sie hart kämpfen musste. Von den rund 800 Studierenden im ersten Semester machten letztendlich nur 250 ihr Diplom. „Das Studium war anspruchsvoll, ich habe viel dafür getan. Mein Vorteil war, dass ich ja schon ein paar Jahre älter war als meine Kommilitoninnen und Kommilitonen und entsprechend Erfahrungen mit Prüfungen, Scheinen und den Abläufen an einer Uni hatte.“
Doktorarbeit über multilinguale Spracherkennung
Ihre Diplomarbeit schrieb Tanja Schultz 1995 zum Thema „Identifizierung von Sprachen“. Das Thema hatte sie gepackt: Ein Professor hatte in den USA eine neue Technologie zur Spracherkennung entwickelt und kam damit an die Uni Karlsruhe. „Er hatte eine Vision, und ich fand sie spannend“, sagt Schultz. „Ich wollte unbedingt bei ihm promovieren.“
So promovierte sie 2000 zum Doktor der Ingenieurwissenschaften an der Uni Karlsruhe zum Thema multilinguale Spracherkennung. Dafür hat sie zunächst viele Daten gesammelt und bekam ein Budget. „Ich habe über zwei Jahre studentische Hilfskräfte aus verschiedenen Ländern ins Team geholt und ihnen einen Besuch in ihrer Heimat finanziert. Dort haben sie jeweils 100 Sprecher gesucht, die Zeitungstexte in ihrer Landessprache vorgelesen haben. Ihre Texte wurden anfangs mit einem Kassettenrecorder aufgezeichnet.“ So entstand „GlobalPhone“, eine der bis heute weltweit größten Sprachensammlungen mit rund 450 Stunden transkribierter Sprache von mehr als 2000 Sprecherinnen und Sprechern. Für ihre Arbeit erhielt sie unter anderem den FZI-Dissertationspreis und den „Speech Communication Best Paper Award“.
Sieben Jahre in den USA geforscht und gelehrt
Mit „GlobalPhone“ hatte sich Schultz in der Welt der Ingenieure und Sprachwissenschaftler international etabliert. Über ihren Professor Alexander Waibel kam der Kontakt in die USA zustande. Nach ihrer Dissertation wurde sie als Postdoctoral Fellow an die Carnegie Mellon University (CMU) in Pittsburgh/Pennsylvania eingeladen. Es folgte eine siebenjährige Tätigkeit als Research Scientist am Language Technologies Institut der CMU, in der sie ihre Forschungsarbeiten im Bereich Multilinguale Sprachverarbeitung vertiefte. „In den USA kann man sich den Weg zur Professur Schritt für Schritt erarbeiten. Ich habe gelehrt, mich um die Studierenden gekümmert, Doktoranden betreut, Bücher geschrieben und Drittmittel eingeworben. Man lernt zudem, Aufgaben zu delegieren und überzeugend zu sein.“
Schultz wäre gerne als Professorin in den USA geblieben, aber sie hätte zum damaligen Zeitpunkt die US-Staatsbürgerschaft annehmen und auf die deutsche verzichten müssen. „Außerdem ist mir klar geworden, dass Deutschland ein fantastisches Land ist hinsichtlich Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, Gesundheitssystem und anderer Aspekte. Ich bin gerne wieder zurückgegangen.“
Lautlose Sprachkommunikation und Airwriting
Im Alter von 41 Jahren folgte Tanja Schultz dem Ruf zurück an die Universität Karlsruhe, wo sie 2007 die Cognitive Systems Laboratories (CSL) gründete. Ein kognitives System ist ein digitales System mit Schnittstellen zwischen der digitalen Welt und der Umwelt. Kognitive Systeme sind in der Lage, selbstständig Lösungen für menschliche Aufgabenstellungen zu erarbeiten. Schultz verknüpft mit ihrem CSL-Team die Verfahren aus der Spracherkennung mit den Innovationen der Biosignalverarbeitung, wie zum Beispiel bei der Entwicklung des Systems zur „Lautlosen Sprachkommunikation“: Muskelbewegungen werden durch Elektroden aufgezeichnet und dadurch wird Sprache auch dann erkennt, wenn sie völlig lautlos geäußert wird.
Das System wurde auf der CeBIT 2010 vorgestellt. 2012 erhielt Schultz den „Forschungspreis Technische Kommunikation“ 2012 der Alcatel-Lucent Stiftung. Auf der CeBIT 2014 reüssierte ihr Team mit dem System „Airwriting“, das in die Luft geschriebene Handschrift mittels Inertialsensoren am Handgelenk erfasst und anschließend in Text transformiert. Dafür wurde Schultz unter anderem 2013 mit dem Google Research Faculty Award ausgezeichnet.
Die Universität Karlsruhe verlagerte im Zuge der Exzellenz-Initiative ihre Schwerpunkte mehr in Richtung Energie, Mobilität und Technik, während bei Tanja Schultz der Fokus weiterhin auf Mensch und Maschine lag. So entdeckte sie 2013 eine Ausschreibung der Uni Bremen. „Gesucht wurde eine Professorin mit internationaler Erfahrung und dem Schwerpunkt Kognitive Systeme, um diesen Bereich in Bremen aufzubauen – das passte genau. In Bremen werden alle meine Wünsche gelebt“, sagt Schultz.
Reibungsloser Umzug nach Bremen
2015 zog sie mit dem CSL und sechs Teammitgliedern nach Bremen um. „Die Universitäten haben hervorragend kooperiert, ich durfte Teile des Labors mitnehmen und wurde in Bremen mit offenen Armen empfangen. Dank meines Teams war es ein weicher Übergang, wir haben hier gemeinsam viel aufgebaut und zudem ein tolles Umfeld“, sagt Schultz. „Hinsichtlich menschenzentrierter Technologie steckt in Bremen so viel Potenzial: Von der Grundlagenforschung über die Anwendung bis zur gesellschaftlichen Implikation wird hier alles abgedeckt.“
Zusammen mit Professor Michael Beetz ist Tanja Schultz Sprecherin des Wissenschaftsschwerpunkts „Minds, Media, Machines“ der Universität Bremen. 2016 wurde sie zum ISCA Fellow (International Speech Communication Association) ernannt, seit 2017 ist sie Fellow der European Academy of Sciences and Arts und seit 2019 Mitglied im Direktorium des Leibniz Wissenschaftscampus „Digital Public Health“. Im Januar 2020 ist sie zum IEEE Fellow ernannt worden. Die Ehrenmitgliedschaft des Institute of Electrical and Electronics Engineers wird an Personen mit außergewöhnlichen Leistungen vergeben.
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- Teil 2: Sadia Shakil
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- Teil 4: Gyde Wortmann
- Teil 5: Tanja Schultz
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