ELiSE – mit Kieselalgen der Bionik auf der Spur
Digitalisierung / Industrie 4.0Leichte, effiziente und umweltfreundliche Komponenten mit ELiSE
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Sie sind maximal zwei Millimeter groß, es gibt sie in 100.000 Arten und sie machen ein Viertel der Biomasseproduktion unseres Planeten aus: Kieselalgen sind weltweit verbreitet und ein Blick durch das Mikroskop überrascht auch gestandene Forscher immer wieder. Denn sie sehen unter der Vergrößerung unzählige, ästhetisch ansprechende Formen, geometrisch hoch komplex und doch in der Gesamtform regelmäßig.
Bremerhaven ist ein Mekka für Kieselalgenfans: Im Alfred-Wegener-Institut (AWI) für Polar- und Meeresforschung gibt es eine der größten Sammlungen weltweit, mit über 100.000 Proben. Kein Wunder, dass Dr. Christian Hamm sie als Vorbild für seine bionischen Forschungen und Entwicklungen nimmt. Der Meeresbiologe, Geo- und Paläontologe ist Leiter des Bereichs Bionischer Leichtbau und Funktionelle Morphologie, einer Gruppe aus Expertinnen und Experten am AWI, die Formen und Funktionsprinzipien aus der Natur in technische Lösungen umsetzt – also Bionik betreibt. Sie nennen sich ELiSE - ein Akronym für Evolutionary Light Structure Engineering.
„Der Zusammenhang von Form und Funktion hat mich immer schon interessiert. Besonders die mechanischen Prinzipien in den kleinen Kieselalgen. Deshalb habe ich mich näher mit der Biophysik beschäftigt und bin letztlich in der Bionik gelandet“, erklärt er seine Faszination. Kieselalgen kommen im Meeresplankton vor – sie schützen sich mit stabilen Schalen vor Feinden, müssen aber gleichzeitig möglichst leicht gebaut sein, damit sie an der Wasseroberfläche treiben. Diesen Leichtbau macht sich die Bionik zunutze.
ELiSE vereint Forschung und Anwendung
17 Frauen und Männer arbeiten derzeit in Hamms Bereich. Ihre Aufgabe sehen sie in zwei Richtungen: Einerseits übertragen sie Funktionsprinzipien aus der Natur auf industrielle Produkte, andererseits nutzen sie ihre Erfahrungen aus der Industrie, um sowohl die Kieselalgenforschung als auch die Bionik voranzutreiben.
Der Schwerpunkt ihrer Arbeit ist der Leichtbau. Aber auch Vibrations- und Schwingungsoptimierung, Struktur und Festigkeit oder Permeabilität (Durchlässigkeit) von Materialien gehören zu den Anwendungsfeldern der Bionikerinnen und Bioniker. Kunden kommen aus dem Automobilbau, der Luft- und Raumfahrt, Meerestechnik, Prothetik und Konsumgüterindustrie.
Ein Beispiel für ihre Arbeit ist ein bionisches Faltrad, das sie im Rahmen eines Forschungsprojektes entwickelt haben. Der Alu-Rahmen ist komplex konstruiert, als Vorbild standen unter anderem Kieselalgen Modell. „Wir haben darin Gitterstrukturen verbaut, die für Leichtigkeit sorgen und unterschiedliche Rohrquerschnitte, die Lasten optimal aufnehmen. Damit haben wir das leichteste Rad dieser Art konstruiert“, erläutert Hamm stolz. Hergestellt wurde es von der citim GmbH, mit der das Team im Bereich Additive Manufacturing (3D-Druck) kooperiert.
Komplexer als gedacht
Das Team um Hamm setzt bei seinen Projekten auf eine Kombination aus Ingenieurskunst und Wissenschaft. Auf Grundlage einer VDI-Richtlinie zur Bionik hat es einen ganz eigenen Prozess geschaffen, der ELiSE zu einem einzigartigen Werkzeug für die Produktentwicklung macht. Das Team kombiniert komplexe Simulationen und Verfahren wie genetische Algorithmen, evolutionstechnische Methoden und eigene Datenbanken, um die optimale Lösung für eine Herausforderung zu finden.
Während Hamm heute selbstbewusst über den Erfolg der ELiSE-Methoden spricht, war das nicht immer so. „Zu unserem Start vor zehn Jahren waren wir noch ganz schön blauäugig. Denn Strukturen aus der Natur müssen sehr aufwändig an die technischen Vorgaben angepasst werden, wie wir damals schnell gemerkt haben“, erzählt Hamm rückblickend. Was in der winzigen Siliziumstruktur der Kieselalge perfekt funktioniert, muss für die technischen Belastungen, die größeren Dimensionen und Werkstoffe wie Stahl oder Aluminium erheblich modifiziert werden. Aufwendige Optimierungsverfahren sind deshalb Teil eines jeden bionischen Prozesses. Außerdem müssen die Forscher und Ingenieure immer die Realisierbarkeit ihrer Ideen im Hinterkopf behalten: Komplexe Strukturen sind selten mit herkömmlichen Herstellungsverfahren herzustellen, die Produktion wird dadurch teurer. „Wir müssen die Wirtschaftlichkeit unserer Verfahren immer im Blick haben“, sagt Hamm.
In gemeinsamen Workshops nach Lösungen suchen
Bei Beginn einer Zusammenarbeit findet das ELiSE-Team in Workshops mit den jeweiligen Kunden genau heraus, welches Bauteil Ziel einer bionischen Optimierung sein könnte. Nachdem für dieses Bauteil ein Lastenheft erstellt wurde, machen sich die Ingenieurinnen und Ingenieure ans Werk, entwickeln verschiedene Ideen, grenzen diese ein und finden so den besten Weg. Der ist meistens ungewöhnlich. Ein Beispiel: Während regelmäßige, sechseckige Wabenstrukturen gerne als Vorzeigebeispiel für Bionik genommen werden, ist die Natur viel detaillierter. „Bei den Kieselalgen sind die Waben nicht völlig gleichförmig. Manche sind größer und kleiner, manchmal sind die Wandstärken dicker und hin und wieder gibt es auch fünfeckige Waben. Unregelmäßigkeiten an den richtigen Stellen erhöhen die Stabilität. Wo genau und wie genau diese einzusetzen sind – das finden wir heraus“, führt Hamm aus.
AWI und Bremerhaven im Einklang
Wer Hamm zuhört, bemerkt sofort die Begeisterung für das Thema. Der 51-jährige ist froh, vor zehn Jahren mit dem AWI in Bremerhaven ein Institut gefunden zu haben, das seine Forschungsgruppe fachlich und strategisch unterstützen kann. „Der Mix aus substanziellem Technologietransfer in die Industrie und Weltklasse-Grundlagenforschung im Bereich der Kieselalgen fasziniert mich hier. Zudem bestehen bei uns in Bremen und Bremerhaven gute Kontakte zu Unternehmen und zur Wissenschaftslandschaft. Es herrscht ein innovationsfreundliches Klima“, so der Meeresbiologe.
Für die Zukunft hat sich das Team noch viel vorgenommen. Ein Ziel ist es, die starke Anwendungsgruppe im EliSE-Team als eigenes Unternehmen auszugründen. Ein weiteres, die Bionik weiter voranzutreiben, denn diese steckt noch in ihren Kinderschuhen. „Die Bionik hat ein gigantisches Potenzial, jedoch haben wir gerade erst angefangen, effektive Methoden aufzubauen und den Zusammenhang aus Form und Funktion zu verstehen. Die Bionik wird ein wichtiges Forschungsthema werden, auch weil dafür wichtige Technologien wie das Additive Manufacturing oder Berechnungsmethoden mit uns wachsen. Sie wird eines Tages einen ähnlichen Stellenwert haben wie andere neue Technologien, zum Beispiel wie die Nanotechnologie“, ist sich Hamm sicher.
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