Mit FlatFish in großen Tiefen auf Unterwasser-Inspektion
Maritime Wirtschaft und LogistikDas Bremer Unternehmen DFKI Industrials entwickelt Roboter, die auch unter Wasser autonom ihren Weg finden
Künstliche Intelligenz hält verstärkt Einzug bei Analyse, Mustererkennung und Bearbeitung in der Industrie. Das Bremer Unternehmen DFKI Industrials GmbH überführt die Forschungsergebnisse des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) deshalb in Produkte, für die sich auch die Industrie interessiert. Im Gespräch erläutert Dr. Marc Ronthaler, Geschäftsführer von Ground Truth Robotics und stellvertretender Leiter der Administration am DFKI, was autonome Roboter heute leisten.
Herr Dr. Ronthaler, die Firma DFKI Industrials GmbH ist eines der vielen Spin-offs des DFKI – wie hängen die beiden Einrichtungen zusammen?
Das DFKI ist deutschlandweit spezialisiert auf anwendungsorientierte Forschung. Weil die Forschungseinrichtung gemeinnützig ist, hört die Entwicklung dort beim Prototypen auf. Daher entstand 2012 am DFKI-Standort Bremen die Idee, auch für den Bereich autonomer Roboter eine Firma auszugründen – sozusagen als Plattform für die Technologieverwertung, um so auf Nachfrage reagieren zu können.
Woran arbeiten Sie bei DFKI Industrials?
Wir forschen an mobilen, autonomen Systemen, die sich beispielsweise auf dem Mond oder Mars, also in unwirtlichen, unstrukturierten Umgebungen bewegen können – aber auch auf unterschiedlichem Terrain auf der Erde und unter Wasser. Daran hat einerseits die klassische Raumfahrtbranche ein Interesse. Doch auch Unternehmen, die für das Außengelände ihres Industrieareals Geräte benötigen, die autonom fahren können, um zu patrouillieren und zu inspizieren, haben einen Nutzen von autonomen Fahrzeugen.
Was auf dem Mars klappt, funktioniert sicherlich auch überall sonst.
Dr. Marc Ronthaler, Geschäftsführer Ground Truth Robotics
Wer braucht denn Roboter unter Wasser?
Für die Offshore-Industrie ist das eine interessante Entwicklung: Unsere Fahrzeuge können sich unter Wasser autonom bewegen, das heißt, sie finden selbst ihren Weg. Ausgestattet mit Kameras, Laser und Sonar finden und dokumentieren sie Strukturen – zum Beispiel in Ölfeldern, an den Füßen von Offshore-Plattformen oder auch an Pipelines, die regelmäßig inspiziert werden müssen. Bisher geht es darum, Daten zu sammeln, damit Spezialisten an Land anschließend eine Risiko- oder Schadensanalyse vornehmen können. Die Fahrzeuge können so programmiert werden, dass sie bestimmte Auffälligkeiten bereits vor Ort erkennen, um autonom eine sehr viel detailliertere Datenaufnahme der angenommenen Schadstelle zu beginnen. Natürlich wünscht sich die Industrie Fahrzeuge, die dann auch direkt vor Ort eingreifen können. Doch es wird wohl noch etwas dauern, bis der Wunsch nach einem Fahrzeug, das mit einem Manipulator arbeiten kann, umgesetzt ist.
Wer sind die Abnehmer für FlatFish?
Der erste große Auftrag kam 2013 von der brasilianischen Öl- und Gasindustrie.
Die brasilianische Tochtergesellschaft des damaligen Unternehmens British Gas, das heute zu Shell gehört, hat führendes Personal zu uns nach Bremen geschickt.
Wieso entscheidet sich ein brasilianisches Unternehmen ausgerechnet für eine Bremer Firma?
Das Land Bremen hat zusammen mit dem DFKI in die Infrastruktur des Instituts investiert. Der Kunde suchte einen Standort, an dem es einerseits eine Forschungseinrichtung gibt, an dem aber auch eine Firma tätig ist, die ihnen die gewünschten Produkte verkaufen kann. Unser Test-Wasserbecken ist mit 3,4 Millionen Liter Wasser und 65 Tonnen Salz gefüllt – das ergibt in etwa den Salzgehalt der Ostsee. In diesem 8 Meter tiefen Wasserbecken führen wir unsere Versuche durch und können unsere AUVs (Autonomous Underwater Vehicles) vorführen. Wir stellen das Becken aber auch externen Firmen für Tests zur Verfügung. Diese Infrastruktur hat den Ausschlag gegeben.
Welchen Vorteil bieten Ihre Roboter-Systeme?
Die Überprüfung von Strukturen unter Wasser ist heute sehr aufwändig: Unternehmen müssen mit einem Vorlauf von ein bis zwei Jahren ein Schiff mit 50 bis 60 Personen Besatzung und technisch-wissenschaftlichem Personal chartern. Das Chartern hat einen Vorlauf von ein bis zwei Jahren. Die Schiffe fahren routinemäßig, je nach Wetterzustand in wild bewegter oder ruhiger See diese Strukturen ab. Sie haben ein ferngesteuertes Unterwasserfahrzeug – ROV (Remote Operated Vehicle) genannt – an Bord, das über ein mehrere hundert bis tausend Meter langes Kabel mit dem Schiff verbunden ist. Auf einem Bildschirm an Bord ist dann zu verfolgen, was das ROV aufnimmt. Je nach Vorschrift der Anlagen müssen diese Aufnahmen in etwa jährlichen Abständen gemacht werden. Mitunter werden dabei Störungen festgestellt, die eventuell schon länger bestehen. Wenn die Techniker einen Verdacht auf einen Fehler haben oder das Problem sogar schon benennen können, ist unter Umständen schon wertvolle Zeit vergangen – denn erst jetzt können Taucher oder ein speziell ausgerüstetes ROV für einen Einsatz gebucht werden. Solch ein Schiff ist außerdem rar und teuer – es kostet um die 100.000 Euro am Tag, bei größeren Schiffen kann sich der Charterpreis auf bis zu 250.000 Euro belaufen. Es geht also um hohe Summen, die bei der heute üblichen Überwachung entstehen. Gleichzeitig ist es aber auch teuer, wenn unter Wasser etwas über längere Zeit defekt ist.
Unternehmen wünschen sich daher ein Gerät, das autonom unter Wasser fährt. Es fährt schneller als ein ROV, braucht das begleitende Schiff nicht mehr, kann ohne den Chartervorlauf flexibel und kurzfristig eingesetzt werden und erhebt selbstständig die Inspektionsdaten. Optimal ist es aus Sicht der Unternehmen, wenn dieses Fahrzeug dauerhaft in einer Unterwasser-Infrastruktur stationiert ist.
In welchen Tiefen kann das AUV eingesetzt werden?
Das hängt vom Einsatzort und damit von den Vorgaben des Kunden ab. Wir haben mit dem „FlatFish“ ein Gerät gebaut, das auf Wunsch des Kunden in 300 Metern Tiefe agieren kann.
In größeren Tiefen steigt der Druck zunehmend an. Dafür muss das Fahrzeug größer und widerstandsfähiger konzipiert werden. An der Algorithmik ändert das aber nichts, denn die Welt ist in 300 Metern ähnlich wie in 3.000 Metern Tiefe. Das AUV wird schwerer, doch es ist kein prinzipiell anderes Fahrzeug, das wir entwickeln müssten.
Auf welche Schwierigkeiten stößt ein AUV unter Wasser?
Unter Wasser gibt es beispielsweise keine Datenverbindung, kein GPS, kein WLAN oder ähnliches, weil Wasser Funkwellen bereits nach wenigen Zentimetern vollständig absorbiert. Dagegen hilft keine Technik, das ist pure Physik. Sobald das AUV abgetaucht ist, kann es daher ohne Kabelverbindung nicht mehr erreicht werden. Auf ein Kabel möchte man aber verzichten, weil dieses nicht nur hinderlich ist, sondern vor allem das bereits erwähnte teure Begleitschiff voraussetzt. Das heißt: Das AUV ist auf sich selbst gestellt. Wenn es auf ein Hindernis trifft, muss es autonom entscheiden, ob es einen Umweg fährt oder sogar auftaucht, bevor etwas schief geht. Wenn es auf etwas Interessantes trifft, muss es autonom entscheiden, ob es in Abhängigkeit von seiner aktuellen Batteriefüllung sein Verhalten ändert und beispielsweise eine Detailinspektion beginnt. Das Fahrzeug hat nur in einer Docking-Station die Möglichkeit, Daten und Energie zu übertragen, denn nur dort gibt es einen physikalischen Kontakt. Daher entwickeln wir Unterwasser-Docking-Stationen für unsere AUVs. Sie sind beispielsweise in der Nähe von Offshoreplattformen stationiert und an deren Daten- und Energieversorgung angeschlossen.
Welches Interesse haben Firmen an den Geräten, obwohl es noch Prototypen sind?
DFKI Industrials hat einen Prototypen entwickelt, der in Brasilien von SENAI, einem Partner des DFKI weiterentwickelt wird, um für einen Öl- und Gaslieferanten in Brasilien eingesetzt zu werden. Die großen Öl-Firmen inspizieren ihre Anlagen nicht selbst, sondern schließen Verträge mit Dienstleistern, die das für sie übernehmen. Der Ölkonzern wollte ermitteln, welche Serviceleistungen er von seinen Dienstleistern verlangen kann. Dazu muss die Gesellschaft die Technik kennen.
Werden Sie diese AUVs bald in Serie bauen?
Das könnten wir zwar prinzipiell tun. Doch die Öl- und Gasindustrie ist ähnlich reglementiert wie die Raumfahrtbranche: Die Anforderungen an Dokumentation, Zertifizierungen, Sicherheit und die Auslegung von Systemen sind sehr hoch. Das könnten wir bei DFKI Industrials nicht leisten. Viele Vorschriften müssen überdies erst noch entwickelt werden, autonome Unterwasserfahrzeuge sind im Regelwerk bisher nicht vorgesehen. Die Öl- und Gasindustrie ist aktuell in Gesprächen mit den Zertifizierungseinrichtungen, damit der operationelle Einsatz von AUVs in Ölfeldern zukünftig geregelt wird.
Welche weiteren Anwendungsfelder gibt es für AUVs?
Auch Seekabel, die sehr viel kleiner sind als Pipelines, lassen sich gut inspizieren. Sie sind meist eingegraben und können deshalb nicht visuell inspiziert werden. Daher wird die Trasse mit Magnetsensoren abgefahren und auf Abweichungen untersucht.
Einen weiteren Bedarf gibt es im Bereich der Aquakultur. Gerade in Asien haben wir riesige Bereiche, in denen Algen, Seetang für Sushi und ähnliche Produkte erzeugt werden. Algen als Proteinquelle sind hier ein großer Wirtschaftsfaktor. Weil die Flächen sehr groß sind und die Löhne steigen, suchen Unternehmer nach preisgünstigeren Möglichkeiten der Überwachung. Außerdem rückt die Sicherheit der Arbeiter mehr und mehr in den Fokus. Es ist gut vorstellbar, dass AUVs zukünftig die Überwachung von Algenfeldern übernehmen.
Auch Lachszüchter in Norwegen haben wir als DFKI mit unseren autonomen Fahrzeugen schon besucht. In der Lachszucht gibt es sehr hohe Umweltauflagen: Wenn ein Zuchtlachs entkommt, müssen Züchter hohe Strafen zahlen, weil Zuchtlachse sich nicht mit der natürlichen Population vermischen dürfen. Außerdem hat der Züchter viel Arbeit in die Aufzucht des Tieres investiert und möchte es zum Verkauf in der Farm halten. Doch wo ein Fisch entkommen ist, schwimmen gewöhnlich andere hinterher. Daher haben Zuchtbetriebe ein Interesse an AUVs, die von außen inspizieren, ob die Netze noch in Ordnung sind. Da Lachszucht ein signifikanter Wirtschaftszweig der Region ist, ist das Interesse an AUVs dort groß. Wenn sich die Geräte dort einmal durchgesetzt haben, werden wir ihren Einsatz auch in Asien sehen.
Ist die Inspektion von Offshore-Windkraft-Fundamenten auch denkbar?
Bisher gab es vergleichsweise wenige Anlagen, die Branche war in einer Aufbruchphase: Projekte wurden schnell realisiert. Nun fragen Versicherungen, ob noch alles den Anforderungen genügt. Zukünftig wird es nicht mehr damit getan sein, in Abständen Taucher hinzuschicken, sondern um die Frage gehen, in welchem Zyklus die Inspektion stattfinden muss, wie viel Personal dafür benötigt wird und was genau zu tun ist. Diese Fragen werden derzeit geklärt, doch schon jetzt ist klar: Es gibt gar nicht genügend ausgebildete Taucher, um die steigende Zahl der Anlagen zu inspizieren. Und es wird eine teure Angelegenheit, die nur an wenigen Tagen im Jahr, bei gutem Wetter sicher durchgeführt werden kann. Der Einsatz von AUVs könnte die Kosten senken und das Wartungsfenster vergrößern.
Wie unterscheiden sich AUVs von DFKI Industrials von anderen Modellen?
Autonome Unterwasser-Roboter anderer Anbieter sind meist torpedoförmig. Sie bewegen sich schnell und können aus großer Distanz zum Boden einen sehr großen Winkel der Fläche abscannen. Das wird beispielsweise gebraucht, wenn man Flugschreiber von abgestürzten Flugzeugen sucht. Dann geht es darum, in möglichst kurzer Zeit große Flächen zu überfahren und die Daten aufzunehmen. Die Inspektion mit dem FlatFish verläuft dagegen anders: Das Fahrzeug taucht gezielt unter Wasser, um eine vergleichsweise kleine Fläche zu untersuchen. Dabei kann es sich durchaus um eine vierzig Kilometer lange Pipeline handeln, aber der FlatFish fährt sehr dicht an der Pipeline entlang, um hochwertige Detailaufnahmen zu machen. Auch die Wissenschaft setzt AUVs ein, beispielsweise kann es interessant sein zu wissen, wo eine besondere Koralle oder ein schwarzer Raucher anzutreffen ist. Wenn Wissenschaftler den genauen Standort kennen, den sie untersuchen möchten, können sie ein Fahrzeug wie den FlatFish dort hinschicken und sehr genaue Inspektionen vornehmen. Das Fahrzeug kann das Objekt umkreisen und auf Basis der erhobenen Daten entscheiden, aus welcher Sicht es weitere Aufnahmen macht. Das ist mit den torpedoförmigen Fahrzeugen nicht oder nur schwer möglich.
Es gibt verschiedene Lösungsansätze, die der Industrie in den letzten Jahren für die Unterwasser-Inspektion angeboten worden sind. Technisch gesehen liegt die Herausforderung bislang vor allem in der bisher ungelösten Frage, wie man das Gerät am einfachsten und sichersten ins Wasser einbringt und später wieder heraushebt: Nachdem ein Schiff ein Unterwasserfahrzeug an einem Kran eingelassen hat, wartet die Crew oben an Bord darauf, dass das AUV seine Aufgabe erfüllt hat, wieder an die Oberfläche kommt und mit dem Kran aufgenommen werden kann. Das alles ist nur möglich bei niedrigen Wellenhöhen und geringer Windstärke. Die Öl- und Gasindustrie ist sehr sicherheitsbewusst und hat strenge Richtlinien. Für die Sicherheit der Mannschaft stellt es ein großes Risiko dar, diese Fahrzeuge auszubringen und wieder einzuholen. Ein AUV, das langfristig unter Wasser verbleibt, vermeidet all diese Probleme. Deswegen ist aus unserer Sicht das FlatFish-Konzept so geeignet für diese Unterwasser-Anwendungen. Dadurch, dass wir unter Wasser eine Docking-Station anbauen, muss das AUV nicht nach jeder Mission alle zwölf Stunden aus dem Wasser, sondern nur zweimal im Jahr – das ist ein enormer Fortschritt. Und aus seiner Docking Station kann der FlatFish jederzeit und praktisch sofort zu einer Inspektionsfahrt geschickt werden – Techniker an Land definieren die Aufgabe, senden die Daten an die Docking Station, der FlatFish fährt los und kommt nach erfolgreicher Mission zurück in seine Garage, wo er auf neue Aufträge wartet.
Herr Dr. Ronthaler, vielen Dank für das Gespräch!
Mehr zum Thema erfahren Sie bei DFKI Industrials, Dr. Marc Ronthaler, Robert-Hooke-Str. 1, 28359 Bremen, Tel. 0421 17845-6670, info@dfki-industrials.de
Mehr zur maritimen Wirtschaft in Bremen erfahren Sie hier oder bei Jörg Kautzner, Innovationsmanager, Tel. 0421 361-32172, joerg.kautzner@wah.bremen.de.
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