Als Unternehmer:in angestellt – die bessere Alternative zur Selbstständigkeit?
KreativwirtschaftGenossenschaften bieten Vorteile des Angestelltenverhältnisses in solidarischer Gemeinschaft
Angestellt sein und ein Unternehmen selbstständig führen? Geht das? Ja - in einer Genossenschaft. Das ist ein Gemeinschaftsunternehmen – jedes Mitglied ist gleichberechtigt. Sie gibt es nicht nur für die Landwirtschaft oder für Immobilien. Auch Selbstständige können in Genossenschaften arbeiten und so Risiken abfedern und gleichzeitig eigenbestimmt arbeiten. Wie bei Smart.
Wer sich selbstständig macht, tauscht oft Sicherheit gegen Freiheit: Die Annehmlichkeiten des Angestelltendaseins wie Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit oder ein sicheres Arbeitsverhältnis gegen die Freiheit, seine eigenen Kundinnen und Kunden, Aufgaben und Tätigkeitsfelder zu suchen und die eigene Vision zu verwirklichen.
Eine Herausforderung, vor der auch Nina Siedler stand. Die Berliner Texterin, spezialisiert auf Medizin und Recht, ist seit 2019 Mitglied bei Smart: „Mir war immer klar, dass ich nach Elternzeit wieder selbstständig im Homeoffice arbeiten möchte, aber das Risiko der Selbstständigkeit war mir dann zu hoch“, erzählt sie. „Man muss ja jeden Monat kämpfen und schauen, ob die Einnahmen reichen, ich konnte oft nichts für die Rente oder die Steuer beiseitelegen.“
Ein ganz typisches Beispiel. Für viele Selbstständige – gerade in der Kreativwirtschaft – kommen Aufträge nicht regelmäßig herein. So entstehen immer wieder prekäre Situationen.
Eine Genossenschaft für Selbstständige: Angestellt als Unternehmer
„Hinzu kommt, dass vielen Selbstständigen Wissen fehlt. Sie arbeiten komplexen Auftragsverhältnissen – ausländische Auftraggeber, kreative und nicht-kreative Tätigkeiten zugleich. Oft haben sie zudem keine Altersvorsorge und sind auch nicht immer krankenversichert“, schildert die Bremerin Gabriele Koch.
Koch ist eines der Gründungsmitglieder von Smart – einer Genossenschaft für Selbstständige. Ein solidarisches Arbeitsmodell, das eine Lösung für viele der Probleme von Selbstständigen bieten soll. „Wir wollen Unternehmerinnen und Unternehmern Tools an die Hand geben, um ihren Alltag zu vereinfachen“, so die 49-jährige, die seit mehr als 20 Jahren in der Bremer Kulturszene arbeitet und viele Herausforderungen aus erster Hand kennt.
Solidarisches Arbeiten – gemeinsam stärker
Als Gemeinschaftsunternehmen bildet Smart eine Art Mantel für die Selbstständigkeit. Mitglieder der Genossenschaft können ihrer ganz normalen selbstständigen Tätigkeit nachgehen, sind dabei aber von der Genossenschaft angestellt und führen somit kein eigenständiges Unternehmen mit eigener Rechtsform.
Das birgt gleich eine ganze Reihe an Vorteilen:
- Sie sind kranken-, arbeitslosen-, pflege- und rentenversichert und haben Zugang zu Überbrückungsleistungen wie Kurzarbeitergeld
- Sie können administrative Dienstleistungen wie Rechnungsstellung, Mahnwesen oder Budgetverwaltung der Genossenschaft nutzen
- Sie profitieren von der unternehmerischen Beratung der Genossenschaft
- Sie erhalten Zugang zu einem Netzwerk von Gleichgesinnten
- Sie erhalten ein regelmäßiges Gehalt
- Sie müssen formal kein eigenes Unternehmen gründen, d. h. keine Rechtsform mit den damit verbundenen Berichtspflichten (zum Beispiel eine Bilanz oder Gewinn/Verlust-Rechnung)
Beinahe 600 Mitglieder zählt Smart derzeit, davon sind rund ein Drittel aktiv – sie nutzen die oben aufgeführten Vorteile.
Argumente, die auch Nina Siedler überzeugten: „Das soziale Netz und ein regelmäßiges, gleich hohes Einkommen zu haben sind die größten Vorteile für mich. Gerade in Corona-Zeiten, wo ich auch von Kurzarbeitergeld profitieren kann. Ohne Smart wäre ich nun nicht mehr selbstständig. Ich habe mein regelmäßiges Einkommen, auch wenn die Auftragslage mal schwankt, wird mir mein Gehalt pünktlich gezahlt.“
Gehalt: Regelmäßige Einkünfte in der Selbstständigkeit erzielen
Anhand vergangener Aufträge und zu erwartender künftiger Jobs errechnet das Team von Smart einen Durchschnittswert, der jeden Monat an das Mitglied ausgezahlt wird. Monate mit hohen Auftragseinnahmen und Monate mit Auftragsflaute gleichen sich so aus – und der Alltag wird kalkulierbarer.
„Wir zahlen bereits aus, bevor Geld das erste Mal auf unser Konto eingegangen ist. Denn wir verstehen uns als eine Solidargemeinschaft, die füreinander einsteht. Aber natürlich prüfen wir schon genau, ob die Aufträge sich auch tatsächlich so entwickeln, wie wir es erwarten“, führt Koch aus.
Sollten Mitglieder mehr verdienen als geplant, ist das auch kein Problem: Dann wird der Durchschnittslohn erhöht.
Voll flexibel – aber auch verpflichtet
Um die Kosten für die Dienstleistungen zu decken, behält Smart einen kleinen Teil von jedem Auftrag ein. Geld, das letztlich der Gemeinschaft zugutekommt. Daneben gibt es noch weitere Pflichten für jedes aktive Mitglied: „Mitglieder unterzeichnen einen Arbeitsvertrag mit uns und müssen uns gesetzmäßig über Ihre Nebentätigkeiten in Kenntnis setzen. Die Art der Anstellung ist durchaus flexibel – Vollzeit, Teilzeit oder Minijob sind bei uns möglich“, schildert Koch weiter.
Mitglieder müssen dabei nicht sämtliche Aufträge aus ihrer Selbstständigkeit über Smart abrechnen. Sie können sich auch in Teilzeit anstellen lassen und parallel als reguläre Unternehmende weiterarbeiten. Neben Soloselbstständigen steht Smart Kollektiven und Gruppen offen. Auch eigene Angestellte sind möglich. „Aber jede und jeder Angestellte muss wiederum bei uns Mitglied sein“, schränkt Koch ein.
Eigene Gesellschaft für die Bildungsbranche
Und es gibt noch weitere Einschränkungen: Wer Produkte herstellt und verkauft, kann nicht bei Smart Mitglied werden. Smart ist eine Dienstleistungsgenossenschaft.
Für Selbstständige der Bildungsbranche wurde 2020 das Smart Bildungswerk gegründet. „Viele Bildungseinrichtungen sind vom Umsatzsteuerverfahren befreit, Genossenschaften jedoch umsatzsteuerpflichtig. Arbeiten mit Smart wäre daher eher ein Nachteil für die Selbstständige aus dieser Branche. Die gemeinnützige GmbH schließt diese Lücke.“
Das Bildungswerk mit Sitz in Bremen steht allen Selbstständigen in den Bildungsberufen offen und ist eine hundertprozentige Tochter der Smart Genossenschaft.
Krisensicher und für die Zukunft aufgestellt
Gabriele Koch ist stolz auf das, was die Genossenschaftlerinnen und -schaftler in den letzten sechs Jahren aufgebaut haben. Insgesamt 13 Angestellte kümmern sich um die Administration der Solidargemeinschaft. „Gerade in der Corona-Krise hat sich gezeigt, wie wertvoll die Gemeinschaft ist. In den betroffenen Branchen können wir die Menschen zum Beispiel durch Kurzarbeit auffangen und so Lücken in der Erwerbstätigkeit verhindern.“ Auch wenn Kreative den größten Teil aller Mitgliederinnen und Mitglieder stellen, sind auch andere Branchen willkommen – IT-Fachkräfte ebenso wie Unternehmensberaterinnen und -berater.
Wer mitmachen will, erhält im Vorfeld ein intensives Beratungsgespräch durch das Smart-Team. So kann die Genossenschaft sicherstellen, dass das Arbeitsmodell auch wirklich das richtige für die Kandidatin oder den Kandidaten ist.
Für die Zukunft wünscht sich Koch weiteres Wachstum ihrer Gemeinschaft – und eine Verbesserung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Genossenschaften. Andere Länder sind da schon viel weiter – wie Belgien oder Frankreich. Von dort aus brachte Koch die Idee vor 14 Jahren mit nach Deutschland.
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