Von der Weser ins Weltall
Luft- und RaumfahrtBremer Standort der ArianeGroup liefert Oberstufe für Europas neue Trägerrakete
Europa will sich mit der neuen Trägerrakete Ariane 6 den freien Zugang zum Weltall sichern. Ein zentraler Baustein – die Oberstufe mit dem „Gehirn der Rakete“ - kommt aus Bremen. Parallel zu deren Entwicklung entwarfen die Ingenieurinnen und Ingenieure der ArianeGroup sogar eine industrialisierte Fertigung, die weltweit Maßstäbe für die Raumfahrtindustrie setzt.
Ein halbes Dutzend Ingenieure und Ingenieurinnen standen an einem Konferenztisch und schoben kleine Spielfiguren hin und her. „Tatsächlich haben uns die Figuren sehr gut geholfen, uns in eine komplexe und komplizierte Aufgabe hineinzuversetzen“, sagt Jens Lassmann, Chef des Standortes Bremen des europäischen Raketenbauers ArianeGroup. Vor gut sechs Jahren stand das Team vor der Herausforderung, eine neue Fertigungsanlage für die künftige Oberstufe der neuen europäischen Trägerrakete Ariane 6 in eine bestehende Halle zu integrieren. Die Figuren sowie Modelle der Oberstufe halfen den Planern, sich in die Abläufe hineinzuversetzen. Längst ist die Fertigung in Betrieb, in der 6000 Quadratmeter großen und 21 Meter hohen Halle sind mehrere der neuen Oberstufe im Bau. Kurz nach dem Jahreswechsel ist ein besonderes Exemplar fertig geworden: „Sie wird voraussichtlich in diesem Jahr mit der ersten Ariane 6 von Französisch-Guayana ins All fliegen“, sagt Jens Lassmann - die Vorfreude steht ihm ins Gesicht geschrieben.
Mehr als 50 Jahre Raumfahrt-Know-how führen zur Ariane 6
Bremen und die Oberstufen der Ariane-Raketen - das ist eine enge Verbindung mit einer langen Geschichte. Seit 50 Jahren leisten Ingenieure und Techniker an der Weser einen entscheidenden Beitrag, um Europas freien Zugang ins All zu gewährleisten. 1974 wurde beim „Entwicklungsring Nord“ (ERNO) in Bremen - einer der Vorläufer der heutigen ArianeGroup - die Oberstufe für Europas erste große Trägerrakete entwickelt und ab 1979 gebaut. Seitdem liefert Bremen als (nach Kalifornien) zweitgrößter Raumfahrtstandort der Welt die Oberstufen für alle Ariane-Typen. In dieser Stufe befinden sich je ein Treibstofftank für flüssigen Sauerstoff und flüssigen Wasserstoff sowie das „Gehirn“ der Ariane, in dem die Daten verarbeitet werden, mit deren Hilfe die Rakete zu ihrem Ziel im All fliegt.
Entwicklungskompetenz in der Raumfahrt
In der Airport-Stadt Bremen wird die Oberstufe aber nicht aus den Einzelteilen gebaut, die aus ganz Europa kommen. Der größte deutsche Standort der ArianeGroup ist auch das Entwicklungszentrum für die Oberstufe. Jede Mission ist anders, den wechselnden Anforderungen muss die Oberstufe gerecht werden. Zudem arbeiten die Entwicklungsteam schon heute daran, wie die kommenden Versionen noch leistungsfähiger werden können. „Das neue Ariane 6-Zentrum zeigt, dass Bremen ein Kompetenzzentrum für die europäische Raumfahrtindustrie ist“, betonte Pierre Godart, Chef der deutschen Unternehmungen der ArianeGroup, bei der Eröffnung. Mit Hilfe der neuen Ariane 6 „können wir alle Missionen in alle Umlaufbahnen ausführen – im Dienst der europäische Raumfahrtambitionen und von Europas unabhängigem Zugang zum Weltraum“, unterstrich Godart Sogar bemannte Missionen wären denkbar - ArianeGroup arbeitet in Bremen an einem entsprechenden Konzept.
Schon die Oberstufen der bisherigen Ariane 5 kamen aus Bremen. Nach 116 Starts vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou hob die letzte Ariane 5 am 5. Juli 2023 mit dem ebenfalls in Bremen gebauten deutschen Kommunikationssatelliten „Heinrich Hertz“ ab. Ursprünglich sollte eine modifizierte Ariane 5 ME solche Missionen übernehmen. Für sie wurde die hohe Halle in der Airport-Stadt gebaut, in der jetzt das Integrationszentrum für die neue Oberstufe Platz gefunden hat. Doch auf der ESA-Ministerratssitzung im November 2014 beschlossen die Mitgliedsländer der europäischen Weltraumagentur ESA den Bau einer ganz neuen Rakete. Sie sollte nur etwa die Hälfte des bisherigen Modells kosten.
Höhere Produktionsrate bei niedrigeren Kosten
Für das Werk in Bremen bedeutete dies: „Wir mussten die Produktionsanlagen parallel zu der Entwicklung der Rakete planen“, erinnert sich Jens Lassmann. Um das Kostenziel zu erreichen, sollte die Fertigung komplett überarbeitet und vereinfacht sowie die jährliche Produktionsmenge auf elf bis zwölf Exemplare verdoppelt werden. Zudem wurden komplett neue Verfahren zum Beispiel für die Reinigung der Treibstofftanks und die Isolierung ihrer Außenseiten entwickelt. Wie genau beides geschieht, ist streng geheim - die internationale Konkurrenz verfügt nicht über derartige kostensenkende und qualitätssteigernde Systeme. „Offensichtlich war unsere Entwicklungsarbeit erfolgreich“, sagt Jens Lassmann mit einem Lächeln und verweist auf den emsigen Betrieb in dem riesigen Reinraum, in dem die beiden Tanks, das Triebwerk und die Steuerungselektronik zu einem zwölf Meter hohen und knapp zehn Tonnen schweren Turm zusammengesetzt werden.
Umweltfreundliche Konstruktion der Ariane 6-Oberstufe
Der Zusammenbau jeder Oberstufe folgt dem gleichen Schema mit festen Stationen. Beginnend mit den Tanks, die die Firma MT Aerospace (eine Tochter des Bremer Raumfahrtkonzerns OHB) nebenan montiert, wachsen die Oberstufen nach und nach. Im ersten Schritt wird die Tankoberfläche mit Hilfe von Lasern in einem automatischen Verfahren geglättet; dann trägt ein Roboter die Isolation aus einer Art PU-Schaum auf; schließlich werden die Tanks innen ebenfalls in einem automatisierten Prozess wie in einer überdimensionalen Waschmaschine gereinigt. „Wir haben es geschafft, die bislang eingesetzten Chemikalien durch umweltfreundliche Reinigungsmittel beziehungsweise den Einsatz von Lasern zu ersetzen“, freut sich Lassmann. Am Ende der Kette stehen die drei Montagetürme, in denen die „Hochzeit“ stattfindet. So nennen es die Techniker, wenn die Tanks mit dem Triebwerk und der Elektronik zusammengefügt werden.
Die Baunummer 3 ist bereits ausgeliefert – es ist das erste Modell, das ins All fliegen wird. Baunummer 4 bis 6 befinden sich in der Endphase der Montage. Die Komponenten für Baunummer 7 stehen bereit. Wie erfolgreich die akribische Planung war, hat sich bereits gezeigt: „Das zweite Modell konnten wir schon 30 Prozent schneller bauen als das erste“, berichtet Lassmann. Aber die Bremer Spezialisten legen ihre eigene Messlatte immer höher. Um im Bemühen um eine weitere Optimierung der Fertigung greifen sie dabei gerne immer wieder zu den Spielfiguren, mit deren Hilfe sie auf dem maßstabsgerechten Hallenplan die Abläufe simulieren können.
Pressekontakt:
Stefan Lakeband, E-Mail: stefan.lakeband@ariane.group
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