Wie eine Raumfahrtexpertin sich für Frauen in MINT-Bereichen und den Raumfahrtstandort Bremen einsetzt
Luft- und RaumfahrtDr. Anna Chrobry über Diversität, Bremen als Space City und ihren Weg zu den Sternen

Dr. Anna Chrobry will die Zukunft der Raumfahrt mitgestalten – und das direkt hier in Bremen. Als Systemingenieurin in der bemannten Raumfahrt und Chapter-Leiterin von Women in Aerospace Bremen setzt sie sich dafür ein, die Raumfahrtbranche sichtbarer und vielfältiger zu machen. Im Interview, geführt unter dem ISS-Modell am Flughafen Bremen, spricht sie über ihre ersten Inspirationen und Bremens Rolle als europäisches Raumfahrtzentrum.
Dr. Chrobry, zum Einstieg eine nicht ganz ernst gemeinte Frage: Kürzlich flog Rabea Rogge als erste deutsche Frau mit der FRAM2-Mission ins All. Fast zeitgleich reiste auch Katy Perry mit einem rein weiblichen Team für eine öffentlichkeitswirksame Aktion kurz ins Weltall. Wenn Sie wählen müssten – lieber bei FRAM2 mitfliegen, aber nie darüber sprechen dürfen, oder bei Katy Perry mitfliegen und allen davon erzählen müssen?
Dr. Chrobry: Lacht – Ganz klar FRAM2! Auch wenn die Mission weniger bekannt ist, hat sie deutlich mehr Bedeutung. Ich komme aus Polen, das nicht gerade für Raumfahrt bekannt ist. Deshalb ist es mir wichtig, Teil von etwas zu sein, das echten wissenschaftlichen Wert und langfristige Wirkung hat – etwas, das Mädchen und Jungen gleichermaßen inspiriert, MINT-Karrieren zu ergreifen. Man muss das große Ganze im Blick haben, nicht nur den persönlichen Ruhm.
Wie hat Ihr Interesse für den Weltraum begonnen?
Als Kind wurde mir ein Buch über die Erde und das Universum geschenkt. Der Großteil drehte sich um den Schutz der Ozeane und Atmosphäre – aber ein kleines Kapitel ging um Raumfahrt. Es gab darin zwei Figuren – einen Jungen und ein Mädchen – beide neugierig und abenteuerlustig. Ich dachte: „Klar, Mädchen und Jungs können ins All.“ Das hat mich geprägt.
Und dann kam Star Trek: Voyager. Ich habe es mit meinem Vater geschaut. Captain Janeway war diese furchtlose weibliche Kommandantin – das hat mir gezeigt: Raumfahrt ist greifbar, auch für Frauen.
Wie sind Sie zur Raumfahrttechnik gekommen?
Ich gab den Traum zwischenzeitlich auf, denn in Polen gibt es kaum Studiengänge mit direktem Raumfahrtbezug. Also wurde ich Physikerin – mit Marie Curie-Skłodowska als großem Vorbild. Physik war mein Werkzeug, um das Universum zu verstehen. Aber ich träumte weiter Traum vom All. Mein Pflichtpraktikum habe ich dann im Planetarium in Chorzów gemacht.

Später wollte ich unbedingt ins Ausland. Netzwerke sind in der Wissenschaft enorm wichtig. So kam ich nach Bremen, weil ich hier auf Englisch studieren konnte. Und dann stellte sich heraus: Bremen ist eine echte City of Space! Genau das, was ich mir immer gewünscht hatte.
Woran arbeiten Sie heute?
Ich arbeite mit Fokus auf bemannter Raumfahrt und Raumstationen. Während meiner Promotion habe ich ein Messinstrument für die Atmosphäre entwickelt – das war ein wichtiger Schritt in meiner Laufbahn. Bremen hat mir viele Möglichkeiten eröffnet.
Wollen Sie eines Tages selbst ins All – oder lieber andere dorthin bringen?
Beides! Ich möchte Raumfahrzeuge bauen, mit denen Menschen andere Planeten erreichen. Aber ich würde auch selbst gern mitfliegen. Bislang reisen vor allem weiße Männer mit militärischem Hintergrund ins All, das muss sich ändern. Raumfahrt soll für alle zugänglich sein.
Ein Traum ging bereits in Erfüllung: Ich durfte am europäischen Servicemodul ESM für die Orion-Kapsel der Artemis-Missionen mitarbeiten. Ich bin auch die einzige Polin, die auf dem ESA-Orion-Blog vorgestellt wurde.
Die Artemis-Missionen wurden aufgrund von NASA-Budgetkürzungen kürzlich teilweise gestrichen. Macht Sie das traurig?
Natürlich. Zwei Missionen werden stattfinden, aber spätere wurden gestrichen. Aber so ist Raumfahrt: Auch Apollo und das Space Shuttle wurden irgendwann eingestellt. Raumfahrtprogramme haben immer kritische Phasen.

Sie sind nicht nur Ingenieurin, sondern engagieren sich auch für Diversität in der Branche. Sie leiten das Bremer Chapter der internationalen Organisation Women in Aerospace (WIA). Wie kam es dazu?
Während meiner Promotion habe ich WIA kennengelernt. Die Organisation hat mir Bremen als Raumfahrtstandort nochmal ganz anders gezeigt. Es gab kaum Frauen in meinem Programm – WIA hat mir ermöglicht, inspirierende Ingenieurinnen und Führungskräfte kennenzulernen. Einige halfen mir auch beim Berufseinstieg.
Jetzt leite ich das Bremer Chapter. Ich möchte der nächsten Generation dieselben Chancen geben: sich zu vernetzen, voneinander zu lernen, sich gegenseitig zu stärken. Und wir haben auch Spaß dabei – unsere letzte Reise ging ins Astronautenzentrum nach Köln. Bald geht’s nach Frankreich, zum elektronischen Musikfestival Cercle in Le Bourget – dort feiern wir unter der Concorde oder dem Ariane-5-Modell Frauen in Raumfahrt und Wissenschaft.
Ich organisiere auch die Yuri’s Night Bremen – unser jährliches Space-Fest. Wir arbeiten dafür auch mit dem Universum Bremen oder dem Planetarium zusammen. Es ist wichtig, Bremens Raumfahrterfolge sichtbar zu machen.
Was sind Ihre Ziele mit WIA Bremen?
Langfristig? Dass es WIA gar nicht mehr braucht – weil Vielfalt in der Branche selbstverständlich ist. Bis dahin möchte ich unser Angebot weiter ausbauen. Wir treffen uns monatlich, veranstalten Reisen, Netzwerktreffen, Speed-Mentorings. Wir verbessern auch unseren digitalen Auftritt. WIA ist außerdem Netzwerkpartner beim Bremer Diversity Haus. Inzwischen haben wir rund 60 Mitglieder aus Forschung, Industrie und Studium – und auch einige Männer sind dabei.

Sie nennen sich selbst „Space Girl“. Warum?
Weil ich es wirklich bin! Früher war ich einfach Wissenschaftlerin. Heute engagiere ich mich auch öffentlich, organisiere Events, vernetze Menschen. Das ist mehr als Forschung. Und ich mag diese Rolle – es ist für einen guten Zweck. Für dieses Engagement wurde ich übrigens von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft als „Inspiring Physicist“ ausgezeichnet – neben Astronauten und Innovationsführerinnen.
Sie scheinen sich in Bremen sehr wohlzufühlen. Was war Ihr erster Eindruck damals?
Bremen ist eine grüne Stadt, das hat mir sofort gefallen. Ich komme vom Land und liebe die Natur. Und ich wurde Physikerin, um den Planeten zu schützen. Die Uni liegt direkt am Bürgerpark – ein Traum. Und ich liebe Fahrradfahren wie Madame Curie! In Bremen komme ich überall mit dem Rad hin. Das ist großartig.
Wie erleben Sie Bremen als Raumfahrtstandort?
Es kommen immer mehr neue Player hinzu – das ist ein gutes Zeichen. Unterstützt wird das durch Institutionen wie ESA BIC, Starthaus und AVIASPACE. Auch akademisch ist Bremen stark, zum Beispiel mit dem neuen Mars-Cluster. Gerade für Start-ups ist das Umfeld hier ideal.
Wird genug getan, nicht nur hier in Bremen sondern generell in Deutschland, um Frauen in MINT-Bereichen zu fördern?
Es gibt Fortschritte, ja, aber es ist noch viel zu tun. Die Unternehmensstrukturen sind oft noch nicht divers genug. Veränderung muss von oben kommen – politische Maßnahmen wie Quoten könnten viel bewegen. Aber ich sehe auch viel Positives, das „von unten“ organisiert wird: Immer mehr Frauen trauen sich, Führungsverantwortung zu übernehmen, Karrierewege zu hinterfragen, Neues zu wagen.
Wir müssen vor allem die junge Generation inspirieren. Bei vielen Events höre ich Mädchen sagen, dass sie sich nicht vorstellen können Ingenieurin zu werden. Das ist grundlegend falsch. Es gibt genug Platz für alle.
Fehlen weibliche Vorbilder?
Ja, und es ist ein Zusammenspiel aus Erziehung und Schule. Auf beiden Ebenen passiert noch zu wenig. Mädchen wird oft – bewusst oder unbewusst – der Mut genommen. Sätze wie „Ich bin nicht gut genug.“ oder „Sowas macht bei uns in der Familie niemand.“ dürfen kein Hindernis sein.
Natürlich muss nicht jede eine Ingenieurin werden, es ist ein anspruchsvoller Job. Aber jedes Kind sollte die Freiheit haben, davon zu träumen und selbst entscheiden dürfen.
Da es in meiner Kindheit kaum reale weibliche Vorbilder in der Raumfahrt gab, habe ich später das „Women in Aerospace Timeline Game“ entwickelt – ein Lernkartenspiel, das Meilensteine von Frauen in der Luft- und Raumfahrt sichtbar macht. Für dieses Projekt habe ich 2025 den WIA-Europe Inspirational Project Award erhalten. Das macht mich sehr stolz.
Wie steht Europa im internationalen Raumfahrtvergleich da?
Man spürt eine gewisse Sorge. Die USA, Indien und China machen gerade große Schritte. Aber ich bleibe optimistisch. Es gibt viele neue, spannende Akteure mit frischen Ideen. Ich konzentriere mich gern auf das Positive.
Zum Beispiel: The Exploration Company entwickelt eine wiederverwendbare Kapsel für die ISS. Eine der Gründerinnen, Hélène Huby, war früher Managerin des ORION-ESM-Projekts hier in Bremen. Sehr inspirierend!
Letzte Frage: Wenn Sie eine Person zu einem WIA-Event einladen dürften – wer wäre das?
Ich würde gern den Gründer Rafal Modrzewski einladen. Seine Geschichte ist beeindruckend – sie zeigt, dass Innovation nicht nur aus staatlichen Einrichtungen kommen muss. Die Privatwirtschaft kann genauso Großes leisten.
Und ich möchte unbedingt Rabea Rogge treffen und mit ihr über ihren Flug ins All sprechen. Es hat mich wirklich schockiert, dass Deutschland bisher keine Frau ins All geschickt hatte. Ich finde es toll, dass sie nicht dem klassischen Astronautinnen-Klischee entspricht. Keine Militärlaufbahn, sondern einfach eine Frau mit einer großen Leidenschaft für den Weltraum und einer laufenden Promotion. Besser könnte man es sich nicht wünschen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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