Wie Bremen die Elektronik in der Windkraft zuverlässig macht
WindenergieForscher der Uni Bremen möchten Lebensdauer von Windkraft-Elektronik erhöhen
Offshore-Windkraftanlagen fallen häufiger aus, als sie eigentlich sollten. Die Leistungselektronik in den Anlagen hat daran einen wesentlichen Anteil. Ein Forschungsteam in Bremen untersucht die eingesetzte Hochleistungselektronik, um Gründe für die Ausfälle zu finden. Einen starken Verdacht haben die Forscherinnen und Forscher bereits.
Die stehen ganz schön unter Strom: Wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Verbundprojekts HiPE-WiND an den Ursachen der Ausfallproblematik in der Windenergie forschen, werden ab 2020 in einer großen Halle an der Universität Bremen extrem starke Ströme fließen. Um die Komponenten der Leistungselektronik von bis zu zehn Megawatt auf Herz und Nieren testen zu können, werden große Versuchsstände entstehen. Die Wissenschaftler benötigen diese Leistung, da fortschrittliche Windkraftanlagen heute in dieser Größenordnung Strom produzieren. Zum Vergleich: Zehn Megawatt entsprechen ungefähr der Antriebsleistung eines Inter City Express der Deutschen Bahn (ICE 3).
Beteiligt am Verbundprojekt sind das Fraunhofer-Instituts für Windenergiesysteme (IWES) in Bremerhaven und das Institut für Elektrische Antriebe, Leistungselektronik und Bauelemente (IALB) der Universität Bremen. Das Forschungsprojekt wird mit 11,5 Millionen Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert und ist in dieser Form einzigartig in der Forschungslandschaft. Prof. Jan Wenske vom Fraunhofer-IWES und die beiden Leiter des IALB, Prof. Nando Kaminski und Prof. Bernd Orlik, freuen sich sehr über das Projekt. Sie haben dafür lange gekämpft, „eine große Auszeichnung für das Land Bremen als Wissenschaftsstandort“, so Prof. Kaminski.
Seit zehn Jahren engagieren sich die beiden Forschungsinstitute im Bereich der Hochleistungselektronik für Windenergieanlagen. Bisher wurden mehr als 20 Förderprojekte auch mit Hilfe der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) und der BAB – Die Förderbank für Bremen und Bremerhaven im FEI- bzw. PFAU-Programm umgesetzt. Erfahrung, die letztlich ausschlaggebend für die Mittelvergabe nach Bremen war.
Komplexe Elektronik in rauer Umgebung
In dem Forschungsprojekt wollen die Wissenschaftler die exakten Umgebungsbedingungen nachbilden, wie sie in der Nordsee vorkommen. „Eine Offshore-Windkraftanlage fällt im Durchschnitt einmal alle zwei Jahre aus. Defekte Elektronik ist einer der Hauptgründe dafür“, sagt Prof. Wenske, stellvertretender Leiter des Fraunhofer-IWES. „Die Lebensdauer von elektronischen Komponenten zu erhöhen, ist daher von großer Bedeutung für die gesamte Windbranche.“
Die Suche nach der Unbekannten
Das ist aber gar nicht so einfach. Windstrom ins Netz einzuspeisen ist komplex. Ausgefeilte und kostspielige elektronische Komponenten, wie Leistungselektronik, kontrollieren die fluktuierenden Ströme, die die Rotoren produzieren. Ohne sie kann kein Strom vom Windrad ins öffentliche Netz gelangen. Fallen sie aus, steht die Anlage still.
Problem nur: Keiner weiß genau, warum Komponenten bisher ausfallen. „Die Ursachen sind weitestgehend unbekannt. Deshalb haben wir das Verbundprojekt HiPE-WiND ins Leben gerufen, mit dem wir in den kommenden drei Jahren Ausfallursachen grundlegend erforschen“, so Prof. Orlik.
Hardware im Extremtest: Von heiß bis kalt, von trocken bis feucht
Einen Schwerpunkt der wissenschaftlichen Arbeiten liegt in der Nachbildung der klimatischen Umgebungsbedingungen der Windenergieanlagen in einer großräumigen Klimakammer. Komplette Schaltschränke können in ihr auf Temperaturen von -50 bis +120 Grad Celsius mit beliebiger Luftfeuchtigkeit gebracht werden. Ein konstanter Wechsel der Bedingungen zwischen heiß und kalt, trocken und feucht simuliert eine starke Beanspruchung der Bauteile. Zusammen mit stetig wechselnden elektrischen Belastungen herrschen extreme Bedingungen vor, die Bauteile schnell altern lassen. „Wir können innerhalb von wenigen 1.000 Stunden eine komplette Lebensdauer von 20 Jahren simulieren“, erklärt Prof. Kaminski. „Bisherige Versuche in kleineren Kammern haben ergeben, dass viele Bauteile aber schon nach einigen hundert Stunden versagen.“
Die Klimakammer wird eine von wenigen weltweit sein, die in diesen Dimensionen Bauteile aufnehmen kann und die einzige, in der die Umweltbedingungen mit den elektrischen Belastungen kombiniert werden. Ergänzend zu den Forschungsarbeiten im Rahmen des Verbundprojektes können auch Unternehmen aus dem Anlagenbau und der Windenergie ihre Komponenten den Bremer Forschern übergeben, die in deren Auftrag Stresstests durchführen. Gemeinsame Forschungsprojekte und Auftragsarbeiten sind ein wichtiger Bestandteil für die Kontinuität der Forschung, denn die Kosten für die Tests sind hoch – nicht zuletzt auch aufgrund des hohen Stromverbrauchs.
Die Offshorewindkraft zuverlässiger machen
Die Professoren Kaminski, Orlik und Wenske rechnen mit großem Interesse seitens der Industrie. „Die Windkraft befindet sich in einem Konsolidierungsprozess. Das Sinken der Einspeisevergütungen zwingt Hersteller dazu, effizienter und kostengünstiger zu produzieren. Gleichzeitig darf aber die Qualität der Komponenten nicht sinken, denn das macht sie fehleranfälliger. Hier in Bremen werden wir erstmals Langzeit-Belastungstests am ganzen Umrichter mit allen seinen Interaktionen durchführen können“, betont Prof. Orlik. Als relativ junge Branche gibt es noch keine verlässlichen Zahlen zu Ausfallzeiten und -raten, denn kaum eine Windkraftanlage hat bisher das Ende ihrer Lebensdauer von 20 Jahren erreicht. Die Bremer Forscher wollen künftig schneller Aussagen über die Lebensdauer von Komponenten machen können und daraus Empfehlungen für präventive Wartungsmaßnahmen und das künftige Design von Teilen ziehen.
Gemeinsam die Unbekannte finden
„Wartungskosten zu senken ist ein entscheidender Wirtschaftsfaktor für die gesamte Branche, besonders Offshore, wo jede Wartung einen Schiffseinsatz nach sich zieht. Wer über die gesamte Lebensdauer günstig bleibt, hat starke Argumente“, formuliert es Prof. Wenske vom IWES.
HiPE-WiND ist ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem neben den beiden Forschungsinstituten und das Zentrum für Windenergieforschung der Universitäten Oldenburg, Hannover und Bremen, ForWind, auch der Anlagenhersteller Enercon, die Breuer Motoren GmbH und der Bremer Projektierer wpd windmanager GmbH als begleitende Industriepartner mitwirken.
Neue Forschungsgruppe schweißt Wissenschaftswelt zusammen
Und auch an anderer Stelle wird fleißig am Ausbau der Bremer Hochleistungselektronik-Kompetenz gearbeitet: So erhielt die Bremer Universität im November 2017 1,5 Millionen Euro an EFRE-Mitteln für den Aufbau einer transferorientierten Forschergruppe „Hochleistungselektronik für Windenergieanlagen“. Das auf vier Jahre angelegte Projekt arbeitet daran, dass Kompetenzfeld dauerhaft in Bremen zu verankern und den Wissenstransfer zwischen Universität und Industrie zu verbessern. Auch für dieses Vorhaben bildet die strategische Partnerschaft zwischen den Fraunhofer-IWES und dem IALB eine tragende Rolle.
Angesiedelt wird die transferorientierte Gruppe als neuer Arbeitsbereich im Bremer Centrum für Mechatronik (BCM), unterstützt durch das Fraunhofer-IWES und das IALB. „Die Leistungselektronik als wichtige Schlüsseltechnik für die Netzintegration der Windenergie wird hiermit fest im Land Bremen verankert“, sagt BCM-Geschäftsleiter Dr.-Ing. Holger Raffel. „Es werden Arbeitsplätze im Innovationsfeld Hochleistungselektronik geschaffen, attraktive Dienstleistungsangebote für die Industrie entwickelt und das Cluster Windenergie gestärkt.“ Ein Schwerpunkt ist die Entwicklung leistungsfähiger Netz- und Anlagenmodelle für die Stromversorgungssysteme von morgen.
„Gebündeltes Know-how der Bremer Forschungsinstitute und starke Partner aus der Industrie sind es, die Bremen im Bereich der Hochleistungselektronik so stark machen“, fasst es Prof. Orlik zusammen. Er sieht den kommenden Jahren positiv entgegen: „Meine Kollegen und ich freuen uns, mit diesem Forschungsvorhaben einen Beitrag in Richtung Ausfallsicherheit leisten zu können.“
Ein weiteres spannendes Projekt in der Bremer Elektronik-Forschung: "MuTiG" - wie Bremer Forscher das Stromnetz Deutschlands auf den Kopf stellen wollen
Näheres zur Windkraft gibt es bei Dieter Voß, Der Senator für Wirtschaft, Arbeit und Häfen, Abteilung Industrie, Innovation, Digitalisierung, 0421 361-32175, dieter.voss@wah.bremen.de
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