Wir bauen uns eine Rakete - von der Uni ins Weltall
WissenschaftWas es heißt in Bremen zu studieren
Eine Rakete, die mit Kerzenwachs fliegt. Klingt unmöglich. Ist es aber nicht! Studierende des Fachbereichs Produktionstechnik haben zusammen mit demZentrum für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen vier Jahre lang an der perfekten Mischung aus Paraffin und Flüssigsauerstoff getüftelt, die dazugehörige Rakete gebaut, die "ZARM Experimental Hybrid Rocket", wie ZEpHyR in vollem Namen heißt, und sie vom Raketenbahnhof ESRANGE in Nordschweden starten lassen. Die Rakete flog. 1.500 Meter hoch. Wir berichteten.
Neben dem Erfolg des neuartigen Raketenantriebs mit Kerzenwachs sorgte bei den beteiligten Studierenden vor allem für Begeisterung, dass sie außerhalb von Vorlesungen und Seminaren an der Uni auch die Chance bekamen, bei Projekten wie ZEpHyR mitzuarbeiten. Die enge Verknüpfung von Theorie und Praxis am Wissenschaftsstandort Bremen und Bremerhaven ermöglicht Einblicke in die Arbeit wissenschaftlicher Einrichtungen, die andernorts womöglich nicht gegeben sind. Allein bei ZEpHyR waren in den vier Projektjahren 40 Studierende in den unterschiedlichsten Projektbereichen involviert.
Wir sprachen mit Dr.-Ing Peter Rickmers, bisher Leiter der Abteilung Space Propulsion and Energy Systems (SPES), Raumfahrtantrieb und Energiesysteme am ZARM, seit dem 1. Juni 2016 beim DLR in Bremen. Ebenfalls im ZEpHyR-Team und unser zweiter Gesprächspartner: Student Thomas Ganser, B.A. Produktionstechnik mit Schwerpunkt Luft- und Raumfahrt. Er war vor allem für die Konstruktion und die Antriebstests zuständig. Und er war derjenige, der den Startknopf drücken durfte.
Studierende, die mit Spaß und viel Leidenschaft dabei sind
Als Studierender hat man am ZARM viele Möglichkeiten, die erlernte Theorie in der Praxis anzuwenden. Es gibt die Abschlussarbeiten, die Praktikums- und Hiwi-Stellen, Programme wie STERN, Rexus/Bexus oder Drop your Thesis. Projekte wie ZEpHyR müssen doch heiß begehrt sein unter den Studierenden. Was muss man denn tun, um daran teilnehmen zu können?
Rickmers: Ja, das stimmt. Zur Projektphase des Raketenstarts waren wir neun Studierende und ich. Insgesamt im Projekt waren es aber 40, die zu irgendeinem Zeitpunkt in den letzten vier Jahren mitgearbeitet haben. Mal sind die Studierenden sechs, mal drei Monate oder auch mal ein Jahr im Projekt.
Ganser: Wie bin ich darauf gekommen? Es gab hier damals ein Praktikum. Da habe ich Peter das erste Mal angesprochen, ob eine Mitarbeit bei ZEpHyR möglich sei. Es war dann auch so, dass jemand gebraucht wurde für die Konstruktion. Und dann bin ich ihm so lange auf die Nerven gegangen, bis er mich genommen hat [lacht]. Und jetzt war ich anderthalb Jahre dabei!
Warum haben Sie sich denn für ein Studium an der Uni Bremen entschieden, Herr Ganser?
Ganser: Ich habe eigentlich mit Physik angefangen und habe dann zu Produktionstechnik mit Schwerpunkt Luft- und Raumfahrt gewechselt. Weil es mich interessiert hat. Und ich bin gebürtiger Bremer. Die gehen ja selten weg [lacht]. Ich habe kein Problem damit irgendwann mal anderswo zu leben, aber es bot sich hier so an. Und ich habe es nie bereut. Beim Fachwechsel ging es mir um die Luft- und Raumfahrt. Ich weiß von Kommilitonen, dass man das nicht überall in Deutschland studieren kann. Es gibt nur ein paar ausgewählte Universitäten, die diesen Schwerpunkt anbieten.
Rickmers: Die Umgebung hier ist auch optimal. Wenn man im Bereich Luft- und Raumfahrt in Norddeutschland tätig sein möchte, dann gibt’s Bremen. Man kann natürlich noch Luftfahrt in Hamburg studieren, aber das ist entsprechend ausschließlich luftfahrtorientiert und hat mit Raumfahrtforschung nicht viel gemein. Wenn es einem aber um die Raumfahrt geht, dann ist man hier in Bremen genau am richtigen Ort. Und Thomas hat Recht, es gibt nicht so viele Unis, die diesen Studiengang anbieten und dann auch noch so viele Unternehmen und Institute im engsten Umkreis haben, die eine praktische Ausbildung bieten können. Wir haben hier zwar große Firmen und viele Leute, aber es ist nicht weitläufig.
Das stimmt. Die Stadt der kurzen Wege. Zeigen die Studierenden denn häufig Eigeninitiative und fragen bei den wissenschaftlichen Einrichtungen an, ob sie sich engagieren können?
Ganser: Es gibt viele Stellen für Studierende. Nicht nur im STERN-Projekt, sondern generell an der Uni. Einige werden nicht ausgeschrieben. Daher lohnt es sich immer Professoren direkt anzusprechen. Die wissen dann eventuell, wo was frei ist und können einen vermitteln.
Rickmers: Einen Standardweg gibt es eigentlich nicht. Das ist total unterschiedlich. Viele kommen zum Beispiel über Master-Projekte und Bachelor-Arbeiten rein. Häufig kommen einige durch das Labor dazu, über Vorlesungen und über Hörensagen von einem Studierenden zum nächsten – nach dem Prinzip "Ich kenne da noch jemanden". Viel geht über Vernetzung und Kommunikation zwischen den Studierenden.
Einsatzbereitschaft, die sich gelohnt hat, Herr Ganser?
Ganser: Manchmal habe ich mich gewundert, dass ich dafür bezahlt werde [lacht]. Wenn man sich so fühlt bei der Arbeit, dann ist das schon sehr schön. Ich wollte einfach dabei sein! Ich wollte eine Rakete konstruieren und die dann auch fliegen sehen. Und das ist auf jeden Fall – gerade für einen Studenten – sehr attraktiv. Nach den drei Startabbrüchen konnten wir den Aufenthalt in Kiruna ja verlängern und das ganze Team ist da geblieben. Einige mussten eigentlich arbeiten, es haben aber alle ihre Termine abgesagt. Dieser Rückhalt, den wir im Team hatten, der war großartig. Das war ein schönes Gefühl.
Rickmers: Ich hatte gehofft, dass die Hälfte des Teams bleibt – die haben ja auch alle Verpflichtungen. Dass wir erst seitens des DLR verlängern konnten und dass dann alle mitgezogen haben, war wirklich großartig.
So viel zum Thema Freizeitgestaltung und Eigeninitiative.
Rickmers: Genau! Das ist das, was ich meine. Bei allen Beteiligten gab es sehr viel Eigeninitiative. Und viele, auch von den ehemaligen Studis aus der Anfangsphase des Projektes, haben mitgefiebert und wollten ständig wissen, wie es gerade ausschaut.
Einmal dabei, immer dabei. Haben Sie, Herr Ganser, denn bestimmte Qualifikationen mitgebracht, die für das Projekt ganz besonders geeignet waren oder war es eher das Generalisten-Wissen, das gesucht wurde?
Ganser: Das würde mich auch interessieren [lacht]!
Rickmers: Du konntest konstruieren! Das war schon mal ein Plus.
Ganser: Ja, dafür habe ich eine Begabung. Im Studium habe ich das auch sehr gerne gemacht. Das war das Fach, für das ich kaum lernen musste, weil es mir zufiel.
Rickmers: Manchmal ist das mit der Konstruktion so eine Sache. Das mögen nicht alle und man muss mit der Software umgehen können. Und in dem Moment brauchte ich gerade jemanden dafür. Und dann hat's gepasst.
Was ist denn der größte Mehrwert für Sie persönlich, der sich aus dem ZEpHyR-Projekt ergeben hat?
Ganser: Das sind die Erfahrungswerte, die man so nicht im Studium bekommt. Zu sehen, wie es wirklich läuft. Zum Beispiel bei der Konstruktion selber: Man denkt sich was aus, es wird geliefert und es passt nicht oder man muss etwas umgestalten, weil es sonst zu teuer wäre, oder es kommt zu Verzögerungen.
Theorie trifft auf Praxis. Die Studierenden sind also im gesamten Projekt eingebunden?
Rickmers: Ja. Das ist Sinn und Zweck der Sache und auch die Idee des STERN-Programms. Die Studierenden erfahren so am besten, wie Raumfahrt funktioniert. Es gibt einige, die sich mehr um die Organisation und Dokumentation gekümmert haben und andere eher um die Hardware. Die Aufgabenverteilung fand sich meist von selbst, manchmal habe ich das aber auch übernommen.
Wie funktioniert denn die Zusammenarbeit zwischen Studierenden und den Wissenschaftlern?
Ganser: Man kommt gut miteinander aus und der Umgang ist immer respektvoll. Peter ist ja jetzt auch noch recht jung. Es gibt Fälle, in denen das, so wie wir gehört haben, auch autoritär sein kann. Die Zusammenarbeit hier am ZARM gründet sich dagegen auf den gegenseitigen Respekt und die Arbeit. Man hilft sich gegenseitig. Und das alles geschieht tatsächlich auf Augenhöhe - bis am Ende in Schweden grundsätzliche Entscheidungen getroffen werden mussten! Dann ist Peter derjenige gewesen, der auch gesagt hat, dass wir jetzt die Starts abbrechen. Das zeigt aber auch, dass wir Studierende in kniffeligen Situationen uns auf die Projektleitung verlassen können, gerade wenn es um Budgetfragen oder Absprachen mit dem Projektträger DLR geht. Das hätten wir Studis uns gar nicht alleine getraut.
Rickmers: Ich schließe mich an. Das ist ein total schönes Arbeiten. Denn erst einmal sind es viele Leute mit den unterschiedlichsten Charakteren, mit denen man zusammenarbeitet. Man muss dann schauen und auch lernen, wie man die einordnet und dahin bringt, möglichst viel für das Projekt zu machen ohne dass man sie eben autoritär nervt. Es geht vielmehr darum sie für das Projekt zu begeistern. Natürlich ist da jeder auch anders. Jeder mag irgendwie ein anderes Thema gerne. Grundsätzlich geht’s hier am ZARM sehr familiär zu. Alle sind per Du und – ich glaube das ist in der ganzen Wissenschaftscommunity so – das sind alles Menschen, die es gewohnt sind mit Problemen umzugehen und die es spannend finden anderen Leuten zu helfen, Probleme zu lösen.
Das heißt alle Ihre bisherigen Studierenden hatten dieses Grundinteresse?
Rickmers: Ja! Dieses Interesse und die Neugier gibt es in verschiedenen Ausprägungen und danach richtet sich dann auch die Zeit, die die Studierenden bereit sind zu investieren. Es ist ok, wenn die Studierenden sagen, dass sie nur ihre Abschlussarbeit schreiben möchten und dann wieder aus dem Projekt ausscheiden. Und andere sagen dann, dass das genau das ist, was sie suchen.
Haben Sie sich denn auch mit den anderen Akteuren des STERN-Programms oder anderen Forschungseinrichtungen ausgetauscht?
Rickmers: Ja, das Team der Hochschule Bremen ist ja zum Beispiel mit uns nach Schweden geflogen. Die haben uns geholfen und wir haben denen geholfen. Denn wenn man vor Ort ist, stellt man schnell fest, dass dieses oder jenes fehlt oder es technische Probleme gibt, die behoben werden müssen. Das war bei uns auch der Fall. Dann pult man die Ressourcen. Auf dem Raketenbahnhof ESRANGE gibt’s natürlich einiges, aber teilweise gibt's auch nur leere Tische. Wir haben das Team der Hochschule Bremen auch mal bei Vortests begleitet und sie waren bei unseren Antriebstests dabei. Man hat sich schon ausgetauscht - genauso wie mit anderen Teams, dann eher allgemein oder bei Workshops auch spezifischer.
Und ausgetauscht haben wir uns auch mit der Technischen Universität Delft. Delft fliegt auch mit Wachs, allerdings nur mit zehn Prozent. Der Rest ist Zucker - mehr oder minder. Unsere Wachsmischung basierte auf wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Delft hat uns viel mit anderen Komponenten geholfen, weil sie schon größere Raketen geflogen sind. ZEpHyR war unsere erste, insofern tauscht man sich dann entsprechend aus.
Eine Rakete erobert die Herzen, Flure und Medien
Dass ZEpHyR in aller Munde war, lässt sich nicht leugnen. Das Studierenden-Projekt des ZARM war nicht nur Gesprächsthema an der Uni Bremen, sondern auch in den regionalen wie überregionalen Medien. Was bedeutet solch ein kontinuierlich und durch die drei abgebrochenen Starts noch stärkeres Medieninteresse für die Studierenden und das Projekt? Wie gehen sie damit um und welche Chancen ergeben sich womöglich daraus?
Diesen Fragen gehen wir in Teil 3 unserer Reihe nach: "Wir bauen uns eine Rakete - und alle berichten darüber"
Wenn Sie wissen möchten, wie es mit der Kerzenwachs-Rakete nach dem geglückten Start weiterging, empfehlen wir Ihnen einen Blick in Teil 1 unserer Reihe zu werfen: "Wir bauen uns eine Rakete - der Kerzenwachs-Antrieb"
Weitere Informationen
Informieren Sie sich über weitere Themen der Luft- und Raumfahrt in Bremen hier auf den Seiten der WFB Bremen. Wissenswertes rund um die Wissenschaftslandschaft im Land Bremen erfahren Sie im Stadtportal bremen.de.
Welche Projekte und Aufgaben die WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH für das integrierte Standortmarketing Bremens übernimmt, finden Sie in der Rubrik Marketing für Bremen.
Ihre Ansprechpartnerin bei der WFB zum Thema Wissenschaftsmarketing ist Marlis Torka, marlis.torka@wfb-bremen.de, Tel.: 0421 9600-523
Erfolgsgeschichten
Prof. Dr. Karen Struve ist Professorin für Frankoromanistik an der Universität Bremen. In ihrem Forschungsfeld französische und frankophone Literatur- und Kulturwissenschaften beschäftigt sie sich unter anderem mit postkolonialen Literatur- und Kulturtheorien sowie mit den Narrativen der Angst und der weltweiten Anxiety Culture. Was Karen Struve an ihrer Arbeit besonders begeistert und welche Bedeutung ihre Arbeit für die Gesellschaft hat, verrät sie bei „Wissenschaft persönlich".
Mehr erfahrenGeht nicht? Gibt’s nicht! Die GERADTS GMBH macht wirklich, wo viele andere nicht mehr weiter wissen. Deshalb ist das Ingenieurunternehmen tief in den größten europäischen Luft- und Raumfahrtprojekten, aber auch in zahlreichen anderen Branchen verwurzelt.
Mehr erfahrenVor seiner Pensionierung war er wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Interkulturelle und Internationale Studien sowie Leiter des Arbeitsbereich Wahlen und Parteien am Institut für Politikwissenschaft. Heute engagiert er sich beim Hannah Arendt Institut für politisches Denken und führt außerdem seine Forschung im Bereich "Regieren und Politik in Bremen" fort.
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