Dem Geheimnis der Schokolade auf der Spur
WissenschaftBremer Forscher enträtseln Kakaobohnen – und entdecken dabei die Möglichkeit für einen neuen Schokoladentyp
Es gibt Schokolade in Zartbitter, Vollmilch oder weiß. Dank Forschern der Bremer Jacobs University könnte bald rote Schokolade auf den Markt kommen – als reines Kakaoprodukt ohne Farbstoffe. Für einen Schweizer Schokoladenproduzenten untersuchen die Wissenschaftler bereits seit vier Jahren unterschiedlichste Kakaobohnen. Dabei entdeckten sie die Möglichkeit für den neuen Schokoladentyp.
Bohnen mit besonders rötlicher Färbung
Es war, wie so oft im Leben, ein Zufall. Ein Team aus Wissenschaftlern an der Bremer Jacobs University um den Mikrobiologen Matthias Ullrich erforscht seit 2014 für den weltgrößten Kakao- und Schokoladenhersteller Barry Callebaut in Zürich die Inhaltsstoffe von Kakaofrüchten aus Anbaugebieten wie Brasilien oder Ecuador. Die Schweizer möchten einen umfangreichen Datenatlas und neue Schnelltests haben, um Kakao zu klassifizieren. Bei ihren Forschungen stellten die Bremer Wissenschaftler quasi als Nebenprodukt ein rotes Kakaopulver her. „Jede Bohne hat im frisch geernteten Zustand eine rötlich-violette Färbung“, erklärt Professor Ullrich. Bei der Ruby-Kakaobohne aber, so stellten er und seine Kollegen fest, fällt sie besonders intensiv aus. Die Bohne bleibt rot, auch nach der Weiterverarbeitung. Nach Fermentierung und Röstung werden die Samen eigentlich hell- bis dunkelbraun.
Rotes Produkt gibt es noch nicht zu kaufen
Auftraggeber Barry Callebaut war offenbar höchst erfreut über die Entdeckung der Bremer, denn er entwickelte einen neuen, roten Schokoladentyp namens Ruby – ohne Zusatz von Farb- oder Aromastoffen. Im September 2017 stellte der Konzern das Produkt in Shanghai vor, zu kaufen ist es allerdings bisher noch nicht in den Geschäften. Barry Callebaut ist nicht irgendwer: Das Unternehmen gehört zur Jacobs Holding und ist Zulieferer für die Lebensmittelindustrie und die Gastronomie. Nach eigenen Angaben ist der Konzern an einem Viertel der gesamten Kakao- und Schokoproduktion weltweit beteiligt. Vor einigen Wochen bekamen die drei Leiter des Forschungsprojekts „Cometa“ Matthias Ullrich, Nikolai Kuhnert und Marc-Thorsten Hütt sowie ihr zehnköpfiges Team Proben der neu entwickelten Ruby-Schokolade zugeschickt. „Der Geschmack ist sehr angenehm beerig-fruchtig, frisch, mit einem zarten Schmelz“, ist Ullrich begeistert. Ein schöner Erfolg für die Grundlagenforschung der Bremer Wissenschaftler.
Kakaofrucht stellt Forscher vor ein Rätsel
Doch eigentlich geht es in dem sechsjährigen Forschungsprojekt, für das Barry Callebaut bis 2020 der Jacobs University 3,7 Millionen Euro zur Verfügung stellt, um kleinteilige Detektivarbeit. „Unser Ziel ist die Entschlüsselung der Inhaltsstoffe des Kakaos“, sagt Ullrich. Denn die Frucht stellt Wissenschaftler aus der Pflanzenbiochemie und der Mikrobiologie sowie die Produzenten vor viele Rätsel. „Als wir mit unserer Forschung angefangen haben, war ich erstaunt darüber, dass man über Kakao von allen Genussmitteln wie Kaffee, Tee, Bier oder Wein am wenigsten weiß“, sagt Ullrich.
So viele Inhaltsstoffe wie in sonst keiner Nutzpflanze
Das liegt auch daran, dass die Kakaofrucht mehr Moleküle hat als alle anderen Nutzpflanzen: rund 20.000. „Nur 600 chemische Substanzen davon sind gut bekannt“, so Matthias Ullrich. Aber nur wer genügend über alle Inhaltsstoffe weiß, kann etwas über die spezifischen Eigenschaften der Kakaobohnen erfahren und die Erkenntnisse in die Herstellung und Qualitätskontrolle einfließen lassen. Deshalb streben der Ullrich, Kuhnert und Hütt an, das Projekt nach 2020 zu verlängern. „Es liegt noch sehr viel Arbeit vor uns“, so Ullrich.
Aufwändiger Analyse-Prozess von Fetten, Proteinen und Polyphenolen
Zu den wichtigsten Inhaltsstoffen des Kakaos zählen Fette, Proteine und Polyphenole. „Die Proteine sind für die Industrie deshalb interessant, weil sie aus Aminosäuren bestehen, und die gelten wiederum als Vorstufen der Aromastoffe.“ Die Untersuchungen erfolgen mit den modernsten Massenspektrometern, ergänzt durch klassische Handarbeit im Labor. Die Analyse ist auch deshalb so aufwändig, weil viele Inhaltsstoffe erst bei der Weiterbearbeitung entstehen: Nach dem Ernten der Früchte werden die feuchten Samen aus der Schale gelöst und auf Bananenblättern gehäuft, dann beginnt die für den späteren Geschmack wichtige einwöchige Fermentierung. „Das ist ein klassischer Verfaulungsprozess“, sagt Professor Ullrich, „klingt eklig, wird bei Kaffee aber genauso gemacht.“ Anschließend werden die Bohnen getrocknet und etwa nach Europa verschifft, beim Produzenten werden sie geröstet und weiterverarbeitet.
Vom Hersteller bekommen die Bremer Forscher die Bohnen in allen möglichen Zuständen geliefert, gelagert werden sie in einem großen begehbaren Kühlschrank. So kann eine Bohne etwa aus Tansania sowohl roh als auch fermentiert, geröstet oder als Pulver unter die Lupe genommen werden. Jede chemische Reaktion bei den einzelnen Produktionsschritten wird dokumentiert.
Kompletter Herstellungsprozess wird durchleuchtet
Der Projektname Cometa steht für „Cocoa Metabolomics“, also die Analyse aller Stoffwechselprodukte der Kakaobohnen. Forscher an anderen Hochschulen widmeten sich bereits Teilbereichen der Forschung. Die Bremer Wissenschaftler haben aber den kompletten Herstellungsprozess von der Anpflanzung bis zum Kakaopulver im Blick: Welchen Einfluss haben die Anbaubedingungen und die Beschaffenheit der Böden auf die Pflanze? Ähnlich wie beim Wein unterscheiden sich die Kakaofrüchte nach Anbaugebiet. Welche Inhaltsstoffe sind in der Pflanze, welche in der Bohne? Dazu züchten die Bremer selbst kleine Pflanzen. Wie verändern sich die Moleküle im Fermentationsprozess? Dazu fermentiert Doktorand Warren John Samen im Labor. Welche Bohnen können miteinander gemischt werden, um eine Schokolade nussiger oder rauchiger zu kreieren? Wer solche Fragen beantworten kann, kann die Qualität des späteren Produkts besser steuern und optimieren.
Selbstgemachte Schokolade
Einmal haben die Forscher sogar selbst versucht, eine Schokolade herzustellen. „Sie hat nicht geschmeckt“, räumt Ullrich ein. Aber in der Wissenschaft funktioniere schließlich nie etwas gleich beim ersten Mal. „Wir haben aus unseren Fehlern gelernt und werden es nochmal versuchen.“ Die viele Beschäftigung mit Kakao und Schokolade hat den Appetit des Forschungsteams auf Schokolade bisher jedenfalls nicht gebremst. „Die meisten mögen sie weiterhin gern“, sagt Ullrich. Er selbst allerdings sei eigentlich „kein großer Schokoladenfan“. Aber auf die rote freut er sich schon, wenn sie irgendwann in den Regalen der Geschäfte liegen wird.
Pressekontakt:
Prof. Dr. Matthias S. Ullrich, Jacobs University Bremen, Department of Life Sciences and Chemistry, Tel.: +49 421 200 3245, E-Mail: m.ullrich@jacobs-university.de
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