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23.6.2021 - Janet Binder

WG-Leben mal anders

Pressedienst

Studierende und Menschen mit geistiger Behinderung leben selbstbestimmt zusammen

Einmal pro Woche wird in der WG geputzt. Nicht immer macht es so viel Spaß wie auf dem Foto.
Einmal pro Woche wird in der WG geputzt. Nicht immer macht es so viel Spaß wie auf dem Foto. © Daniela Buchholz

Seit fast zwei Jahren leben acht junge Menschen ohne und mit geistiger Behinderung in einer WG in der Bremer Überseestadt. Sie kochen zusammen, schauen gemeinsam Filme, machen Ausflüge. Bis 2024 sollen in der Hansestadt zwei weitere inklusive WGs entstehen.

Neele Buchholz ist 29. Die Bremerin ist professionelle Tänzerin und Schauspielerin. Mit der Kompanie tanzbar_bremen tourt sie regelmäßig durch Deutschland und Europa. Sie hat im Spielfilm „Simple“ mit David Kross und Frederick Lau mitgespielt. Aktuell steht sie für eine ARD-Fernsehserie vor der Kamera. Und seit zwei Jahren lebt sie in einer Achter-WG in der Bremer Überseestadt. Einmal pro Woche ist sie gemeinsam mit einer Mitbewohnerin mit Einkaufen und Kochen für alle dran - wenn sie nicht gerade beruflich unterwegs ist. Das Besondere daran: Neele hat das Down-Syndrom.

Neele und ihre Freundin gründeten ihre WG einfach selbst

Bis zu ihrem Einzug in die WG lebte sie bei ihren Eltern. „Neele könnte auch alleine wohnen, mit Unterstützung an bestimmten Punkten“, sagt Lars Gerhardt, Patchworkvater von Neele und Geschäftsführer des Vereins „Inklusive WG Bremen“. Neele wollte aber lieber mit anderen jungen Leuten zusammenleben. Doch so einfach ging das nicht. Die junge Frau wollte mit ihrer besten Freundin zusammenziehen, die ebenfalls eine geistige Behinderung hat. Aber vor sieben Jahren, als die Idee aufkam, gab es noch keine inklusive WG in Bremen. Mithilfe ihrer Eltern gründeten die beiden Freundinnen deshalb schließlich selbst eine inklusive WG, in der beide seit Oktober 2019 leben.

Hochwertig ausgestattete Wohnung mit Gästezimmer

Die barrierefreie Wohnung für vier Menschen mit geistiger Behinderung und vier Studierenden ohne Behinderung wurde von der Bremer Wohnungsbaugesellschaft Gewoba nach den Vorstellungen der Gründerinnen eigens gebaut: Mit Holzfußboden, hohen Decken, einer großen Garderobe für alle acht Bewohnerinnen und Bewohner, einem extra Gästezimmer – und mit Blick auf den Strand „Waller Sand“. Die Initiative gründete dafür einen eigenen Trägerverein. „So machen wir uns nicht abhängig“, sagt Lars Gerhardt, der inklusive Wohnprojekte in ganz Norddeutschland berät.

Studierende wohnen mietfrei

Fragt man Neele, was ihr am WG-Leben gefällt, sagt sie: „Dass ich hier Freunde habe.“ Sie liebt die gemeinsamen Ausflüge: in den Freizeitpark, Eis essen gehen oder ein Picknick im Park. Reihum wird jeden Abend gekocht, eine Bewohnerin mit geistiger Behinderung und eine Studierende bilden dafür ein Tandem. Tagsüber sind im Wechsel auch Sozialpädagoginnen, eine Bundesfreiwilligendienstlerin (Bufdi) und weitere Hilfskräfte vor Ort. Die Studierenden übernehmen Unterstützungsdienste für ihre Mitbewohnerinnen mit geistiger Behinderung. Dafür bekommen sie eine Aufwandsentschädigung, mit der sie die Miete zahlen. Sie leisten mal beim Zähneputzen oder bei der Wahl der passenden Garderobe fürs aktuelle Wetter Hilfestellung. „Wenn spät abends jemand Kopfschmerzen hat, dann ist eine Studierende da und hat eine Tablette“, sagt Katrin Lueßmann. Sie ist eine der Sozial-Pädagoginnen und hat die offizielle WG-Leitung inne.

Wohngemeinschaft mit pädagogischer Betreuung

Lueßmann hält Kontakt zu den Arbeitsplätzen der Bewohnerinnen mit Behinderung, schreibt deren Entwicklungsberichte, koordiniert Termine, besorgt Medikamente und ist Ansprechpartnerin für die Eltern. „Für die Eltern ist es nicht immer unkompliziert, sie durchleben einen Ablösungsprozess“, erzählt Lueßmann. Menschen mit geistiger Behinderung bleiben oft lange bis ins Erwachsenenalter entweder bei ihren Eltern wohnen oder leben in Einrichtungen. „Im Wohnheim haben sie oft kein Mitspracherecht und haben feste Essenszeiten“, sagt Lueßmann.

Das gemeinsame Essen ist gehört in der inklusiven WG für alle dazu.
Das gemeinsame Essen ist gehört in der inklusiven WG für alle dazu. © Daniela Buchholz

„Inklusive WGs sind immer noch etwas Besonderes“

Inzwischen entstehen aber immer mehr inklusive Wohngemeinschaften, in denen Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammenleben. Lars Gerhardt schätzt, dass bundesweit mittlerweile an rund 50 Standorten inklusive WGs existieren. „Leider sind inklusive WGs aber immer noch etwas sehr Besonderes und Seltenes“, so Lueßmann. Bis 2024 sollen zwei weitere in Bremen entstehen. „Der Grad der Selbstbestimmung ist in dieser Wohnform sehr hoch“, sagt Lars Gerhardt. Die Bewohnerinnen und Bewohner begegneten sich auf Augenhöhe. Entscheidungen würden gemeinsam getroffen. „Sie suchen sogar die Bufdis und Pädagoginnen mit aus“, betont Gerhardt.

„Hier entstehen Freundschaften, die lange halten“

Auch die Studierenden müssen sich in einem Vorstellungsgespräch bewähren – und vor dem Einzug probewohnen. Die Bewohnerinnen mit Behinderung haben wiederum die Möglichkeit, in der WG so lange sie wollen zu leben. „Die Studierenden sollten mindestens zwei Jahre bleiben“, sagt Gerhardt. Für beide Seiten sei das Leben in der inklusive WG ein Gewinn. „Man ist in einer Gemeinschaft, ist geborgen. Hier entstehen Freundschaften, die lange halten“, weiß er aus Erfahrung. Die Studierenden seien meist neu in der Stadt und bekämen so sofort Anschluss. Natürlich laufe nicht immer alles rund. „Aber das ist in jeder WG so“, unterstreicht Gerhardt.

Das abendliche Chillen auf der Couch ist eine der Lieblingsbeschäftigungen der Bewohnerinnen und Bewohner.
Das abendliche Chillen auf der Couch ist eine der Lieblingsbeschäftigungen der Bewohnerinnen und Bewohner. © Daniela Buchholz

Erfahrung mit Menschen mit geistiger Behinderung keine Voraussetzung

Die 22-jährige Alina Dühring aus Mecklenburg-Vorpommern lebt seit der Gründung in der WG. Als sie ihren Studienplatz Public Health an der Universität Bremen bekam, stieß sie bei ihrer Wohnungssuche auf die Anzeige der inklusiven WG. Das Angebot machte sie neugierig. Sie hatte durch ein freiwilliges Jahr schon Erfahrung mit Menschen mit geistiger Behinderung. Das sei aber keine Voraussetzung gewesen, erzählt sie. Nach ihrem Einzug habe sie sich erst einmal an das turbulente WG-Leben gewöhnen müssen. „Aber ich denke, das ist in jeder WG normal. Und den anderen erging es genauso wie mir“, sagt Alina.

Studierende brauchen im WG-Alltag viel Geduld

Katrin Lueßmann weiß, dass sich die Studierenden in ihrem neuen Alltag umstellen müssen. „Manche Dinge brauchen mehr Zeit hier“, sagt sie. „Wenn man mit einem Menschen mit geistiger Behinderung eine Einkaufsliste schreibt, geht das nicht so routiniert.“ Bis man dann zum Einkaufen loskomme, dauere es. „Aber die Studierenden sind unfassbar geduldig“, lobt Lueßmann. „Und wenn es mal schwierig wird, sind wir ja auch noch da“, sagt die Sozialpädagogin. Bisher habe ihr Team aber noch keine größeren Konflikte lösen müssen. „Mit gefällt, dass wir so viel zusammen machen“ Alina genießt inzwischen das WG-Leben. „Ich würde nicht gerne in einer Zweck-WG leben“, sagt sie. „Mit gefällt, dass wir so viel zusammen machen.“ Vor allem in der Coronazeit mit den vielen Kontaktbeschränkungen sei das Leben in einer großen WG von Vorteil gewesen. „Ich hätte es als sehr schlimm empfunden, alleine zu wohnen.“ Auch Neele kann sich ein anderes Wohnen nicht mehr vorstellen. „Ich hatte keinen Bock mehr Zuhause bei meinen Eltern zu wohnen.“ Zurzeit ist sie oft längere Zeit bei den auswärtigen Dreharbeiten für die Fernsehserie. Jedes Mal, wenn sie nach Bremen zurückkommt, freut sie sich schon auf ihre WG. „Und die anderen freuen sich auch“, sagt Neele.

Pressekontakt:

Lars Gerhardt, Geschäftsführer Inklusive WG Bremen e.V., Tel.: 0160 977 32 440, E-Mail: larsgerhardt@inklusive-wg-bremen.de

Bildmaterial:

Das Bildmaterial ist bei themengebundener Berichterstattung und unter Nennung des jeweils angegebenen Bildnachweises frei zum Abdruck.

Foto 1: Einmal pro Woche wird in der WG geputzt. Nicht immer macht es so viel Spaß wie auf dem Foto. © Daniela Buchholz

Foto 2: Das gemeinsame Essen ist gehört in der inklusiven WG für alle dazu. © Daniela Buchholz

Foto 3: Das abendliche Chillen auf der Couch ist eine der Lieblingsbeschäftigungen der Bewohnerinnen und Bewohner. © Daniela Buchholz

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Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet bereits seit Juli 2008 monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Autorenstücke, die von Journalisten für Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Journalistinnen und Journalisten den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen.

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