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20.12.2023 - Janet Binder

Das Spiel mit den Klangfarben

Kreativwirtschaft

Die Sauer-Orgel im Bremer Dom gehört zu den eindrucksvollsten Orgeln im Norden

Dom-Organist Stephan Leuthold vor der Sauer-Orgel im Bremer St. Petri Dom.
Dom-Organist Stephan Leuthold vor der Sauer-Orgel im Bremer St. Petri Dom. © WFB/Lehmkühler

Die Sauer-Orgel im Bremer Dom gehört zu den größten und eindrucksvollsten Orgeln in Norddeutschland. Dom-Organist Stephan Leuthold kennt das imposante Instrument wie kaum ein anderer. Um es zu spielen, schlupft er in ganz besondere Schuhe.

Fünf Orgeln hat der Bremer St. Petri Dom — und jede von ihnen hat eine besondere Geschichte zu erzählen. Die historische Sauer-Orgel ist die zentrale im Hauptschiff des Doms, mit mehr als 6000 Pfeifen ist sie eine der größten in Norddeutschland. Sie fällt jedem Besucher und jeder Besucherin allein angesichts ihrer schieren Größe sofort ins Auge. Die Silbermann-Orgel befindet sich in der Westkrypta, sie ist 300 Jahre alt und damit die älteste Orgel in der Hansestadt. Für die Interpretation barocker Musik steht im Nordschiff die Bach-Orgel bereit. Für Trauungen wird meist die Wegscheider-Orgel genutzt. Der neueste Zugang ist eine italienische Orgel, gebaut um das Jahr 1810.

„Eigene Domlandschaft im Dom“

Herr über die fünf Instrumente ist Dom-Organist Stephan Leuthold. Fragt man den 50-Jährigen, welches sein liebstes sei, antwortet er diplomatisch: „Das ist so, als wenn man eine Mutter fragen würde, welches ihr Lieblingskind sei. Jedes ist einzigartig und toll.“ Die Vielfalt ist es, die ihn reizt. „Wir haben im Dom unsere eigene Orgellandschaft“, sagt er. Mit jeder Orgel müsse man auf eine völlig andere Art umgehen. Und jede habe ihre eigenen Klangfarben.

Leuthold kam 2014 nach Bremen. Der Job reizte ihn: „Es gibt nur wenige evangelische Stellen als Dom-Organist — und reine Organisten-Stellen sind noch seltener.“ Normalerweise kümmere sich ein Kirchenmusiker oder eine Kirchenmusikerin auch um den Chor und das gesamte Musikspektrum in der Gemeinde. „Die Orgel ist oft nur ein kleiner Teil der Arbeit“, sagt Leuthold. Da aber im Bremer Dom insgesamt drei hauptamtliche Musiker und Musikerinnen beschäftigt sind, kann sich einer von ihnen ganz auf die Orgeln konzentrieren. Solche Stellen wie in Bremen böten sonst nur zum Beispiel die Frauenkirche in Dresden oder der Berliner Dom, sagt Leuthold.

Keine Orgel gleicht der anderen

In der Hansestadt ist die Stelle des Organisten verbunden mit einer Professur an der Hochschule für Künste. Regelmäßig nimmt Stephan Leuthold seine Studierenden mit in den Dom. „Jede Orgel für sich ist fast ein anderes Instrument“, sagt er. Dies sei eine perfekte Ausgangssituation für die Arbeit mit den Studierenden, die in Bremen ihren Kirchenmusik-Master machen. „Keine Orgel gleicht der anderen, mit jeder muss man auf eine völlig andere Art umgehen.“ Anders sei das bei einem Flügel, auf dem das Spielen mehr oder weniger immer gleich sei. „Bei jeder Orgel muss man sich immer wieder auf eine neue Situation einstellen. Unsere kleinste Orgel hat zum Beispiel nur sieben Register.“

Bevor er nach Bremen kam, war Leuthold Kirchenmusiker in der evangelischen Stadtkirche Ludwigsburg, wo er sich über die Stadtgrenzen hinaus einen Namen als Organist gemacht hatte. Gebürtig aus Dresden, studierte er Kirchenmusik, Cembalo und Alte Musik in mehreren Städten, absolvierte Meisterkurse, machte sein Solisten-Examen mit Auszeichnung. „Das ist richtig Arbeit, da überhaupt hinzukommen. Da reicht es nicht, nur ein bisschen begabt zu sein“, sagt Leuthold. 1997 gewann er den 1. Preis beim Gottfried-Silbermann-Orgelwettbewerb. Er ist regelmäßig für Orgel-Konzerte auf Reisen, gerade kommt er aus Verona wieder. In Bremen ist er längst zu Hause, hier will er bleiben. „Die Stadt ist einfach charmant, sie hat etwas Familiäres“, sagt Leuthold.

Seit der Kindheit fasziniert vom Orgelspiel

Orgeln haben Leuthold bereits in seiner Kindheit fasziniert. Die Kraftfülle, die Vielzahl der Knöpfe und Tasten sowie die Größe der Pfeifen hatten es ihm angetan. Mit sieben Jahren fing er an, Klavier zu spielen. Um Orgel spielen zu können, dauerte es noch ein paar Jahre: Er musste erst einmal größer werden, um mit den Füßen an die Pedalen zu kommen. „Ich bin vergleichsweise spät gewachsen und konnte erst mit 16 anfangen“, erinnert sich Leuthold. Eigentlich schon fast zu spät für eine Karriere als Organist, wie er sagt: Die Koordination der Füße und Hände ist beim Orgelspiel nicht einfach. „Das ist hochgradig komplex“, sagt Leuthold.

Stephan Leuthold an der Sauer-Orgel, die 100 Register hat.
Stephan Leuthold an der Sauer-Orgel, die 100 Register hat. © WFB/Lehmkühler

Sauer-Orgel ist wie ein Orchester und der Organist der Dirigent

Die Komplexität ist besonders ausgeprägt bei der 1894 gebauten Sauer-Orgel im Bremer Dom mit ihren 100 Registern und mehr als 6000 Pfeifen. „An ihr bin ich wie ein Dirigent mit einem eigenen Orchester“, sagt Leuthold. Denn die Orgel hat durch ihre vielen Register eine große Vielfalt an Klangfarben. Register, das sei für den Orgelunkundigen gesagt, sind Reihen von Pfeifen gleicher Klangfarbe, die am Spieltisch mit Zügen oder Schaltern ein- und ausgeschaltet werden. Daher kommt auch — nebenbei erwähnt — die Redewendung „alle Register ziehen“. Außerdem gibt es am Spieltisch viele weitere Knöpfe und Taster mit verschiedenen Funktionen, mit denen beispielsweise voreingestellte Klangmischungen auf Knopfdruck abgerufen werden können. „Damit ist die Orgel dynamisch abwechslungsreich, und die vielen Klangfarben erinnern an ein Orchester.“

Gut restauriert und erhalten

Die Sauer-Orgel wurde mit seinerzeit neuester Technik ausgestattet, etwa der pneumatischen Ansteuerung. Dadurch habe sie eine Flexibilität, die man bis dahin kaum kannte, sagt Leuthold: „Ich kann von jetzt auf gleich einen lauten und einen ganz leisen Ton erzeugen. Das war damals eine ganz neue Sache.“ In den 1990er-Jahren wurde die Orgel umfangreich restauriert und vergrößert. Ursprünglich hatte das Instrument nur 65 Register. Ein Großteil der Pfeifen stammt noch aus dem 19. Jahrhundert, was Leuthold begeistert: „Aus der Zeit gibt es nicht mehr sehr viele Orgeln, die so gut restauriert und erhalten sind wie die Sauer-Orgel.“

Besondere Schuhe für das Pedalspiel

Um an ihr zu spielen, schlupft der Organist in ein anderes Paar Schuhe: Es sind Tanzschuhe und ein bisschen kleiner als seine Straßenschuhe. Denn das Spiel mit den Füßen auf den Pedalen sei genauso sensibel und virtuos wie das mit den Händen auf der Tastatur. „Ich brauche deshalb möglichst viel Gefühl in den Schuhen.“ Die Sohle ist bei den Tanzschuhen dünner als bei seinen anderen Schuhen — und sauberer.

Wer die Orgel hören möchte, kommt zu den Konzertreihen, zum Beispiel im Advent, im Orgelsommer oder zu den samstäglichen Mittagsmusiken von Mai bis Ende September. Der Dom, eingebettet in das Ensemble aus Marktplatz, historischem Rathaus und der Bürgerschaft, gehört auch zu einer der wichtigsten touristischen Attraktionen in Bremen. Entsprechend viele Besucherinnen und Besucher kommen tagtäglich. Mit Glück erleben sie Stephan Leuthold an der Orgel auch außerhalb von Konzerten, Veranstaltungen oder Orgel-Führungen — dann, wenn er probt.

Leuthold spielt jeden Tag mehrere Stunden

Meist spielt er mehrere Stunden am Tag. Am liebsten tut er das allerdings nach 17 Uhr, wenn der Dom für Besucherinnen und Besucher geschlossen ist. „Ich vergleiche das immer mit einem Leistungssportler, der das Ziel Olympia vor Augen hat. Der muss auch ständig trainieren. Wenn ich nicht ständig spiele, verliere ich meinen Leistungsstand.“ Aber für ihn das keine Last: „Ich habe Lust dazu.“

Stephan Leuthold steht zwischen den Pfeifen der Sauer-Orgel.
Stephan Leuthold steht zwischen den Pfeifen der Sauer-Orgel. © WFB/Lehmkühler

„Die Sauer-Orgel ist fabelhaft intoniert“

Auch wenn Leuthold keine der Dom-Orgeln bevorzugt — etwas Besonderes ist es trotzdem für ihn, an der Sauer-Orgel zu spielen. Allein wegen der Größe sticht sie unter den anderen Instrumenten heraus. Die größte Pfeife ist zehn Meter hoch, schätzt er. Und als einzige der fünf Orgeln im Dom kann er in sie hineingehen. Über eine steile Holztreppe gelangt er ins Innenleben, direkt unter dem imposanten Rosettenfenster des Doms. Hier stehen in Reihen die unterschiedlich großen Pfeifen. „Die Anordnung ist ganz logisch, ich weiß genau, wo ich welche suchen muss.“ Sie sind aus Metall und Holz. „Die Sauer-Orgel ist so fabelhaft intoniert, dass sie sehr viel ermöglicht. Für einen Organisten gibt das die Möglichkeit, immer wieder etwas Neues zu entdecken. Das ist wahnsinnig schön.“ Aber auch die kleineren Orgeln im Dom begeistern ihn. „Alle inspirieren mich“, betont Stephan Leuthold. Eine Mutter, wie gesagt, hat kein Lieblingskind.

Pressekontakt: Dom-Organist Prof. Stephan Leuthold. Tel.: +49 173 3677288, E-Mail: stephan.leuthold@stpetridom.de

Foto 1: Dom-Organist Stephan Leuthold vor der Sauer-Orgel im Bremer St. Petri Dom. © WFB/Jens Lehmkühler

Foto 2: Stephan Leuthold an der Sauer-Orgel, die 100 Register hat. © WFB/Jens Lehmkühler

Foto 3: Stephan Leuthold steht zwischen den Pfeifen der Sauer-Orgel. © WFB/Jens Lehmkühler

Der Pressedienst aus dem Bundesland Bremen berichtet bereits seit Juli 2008 monatlich über Menschen und Geschichten aus dem Bundesland Bremen mit überregionaler Relevanz herausgegeben von der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH. Bei den Artikeln handelt es sich nicht um Werbe- oder PR-Texte, sondern um Autorenstücke, die von Journalisten für Journalisten geschrieben werden. Es ist erwünscht, dass Journalistinnen und Journalisten den Text komplett, in Auszügen oder Zitate daraus übernehmen. Bei Fragen schreiben Sie einfach eine E-Mail an pressedienst@wfb-bremen.de.

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