Pulsierendes Herz auf dem Bildschirm
Technologiepark BremenFraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS in Bremen stellt mit futuristischem Neubau die Weichen für die Zukunft
Der Neubau, mit dem sich das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS nach mehr als sechs Jahren Planung und Bauzeit nun auf dem Campus der Universität Bremen präsentiert, ist ein kühner Wurf. Er setzt das bei Fraunhofer MEVIS schon länger verfolgte Prinzip des agilen Arbeitens in Architektur um und lässt in seiner futuristischen Geste ahnen, mit wieviel Ehrgeiz und Kreativität das Institut seine Aufgaben angeht: Fraunhofer MEVIS widmet sich der wohl größten Herausforderung im Gesundheitswesen – der digitalen Transformation der Medizin.
Fraunhofer MEVIS entwickelt neue Computerverfahren etwa der künstlichen Intelligenz und der klinischen Entscheidungsunterstützung, um Diagnosen und Therapien effizienter zu machen, Risiken für Patienten zu minimieren und Nebenwirkungen zu reduzieren. Das Ziel ist eine Präzisionsmedizin, die maßgeschneiderte, individuelle Lösungen bietet. 1995 von Professor Dr. Heinz-Otto Peitgen als gemeinnützige GmbH an der Universität Bremen gegründet, erwarb man innerhalb weniger Jahre internationale Anerkennung.
Pionier mit exzellenter Forschung
Durch Corona eingeschränkt, stellte das Institut seinen Neubau und eine Auswahl seiner aktuellen Arbeitsthemen im Juni zunächst mit einem virtuellen „Open House“ der breiteren Öffentlichkeit vor. In ihrem Grußwort sagte Dr. Claudia Schilling, Bremens Senatorin für Wissenschaft und Häfen: „Als Wissenschaftssenatorin ist es mir ein besonderes Anliegen hervorzuheben, dass Fraunhofer MEVIS in allen für die Wissenschaftspolitik relevanten Feldern Pionierarbeit geleistet und beispielhafte Entwicklungen initiiert hat. (...) Indem Sie Ihre Industriekunden von der Produktidee bis zur Anwendung begleiten, decken Sie die gesamte Innovationskette ab. Auch sind Sie ein sehr aktiver Partner bei der Umsetzung einer weiteren Vision des Wissenschaftsplans des Landes Bremen, exzellente überregionale Forschungseinrichtungen und exzellente Forschung in der Universität eng miteinander zu vernetzen."
Architektur der biologischen Zellen
Der vom Bremer Büro Haslob Kruse und Partner gestaltete Neubau an der Max-von-Laue-Straße bietet eine Nutzfläche von 2.600 Quadratmetern mit Raum für 210 Arbeitsplätze. „Die äußere Form des Gebäudes ist abgeleitet aus drei biologisch motivierten Zellen, die sich überlappen. Innen ist das Institut sehr offen gestaltet. Die Struktur trägt dazu bei, dass die Menschen miteinander in Kontakt treten können“, beschreibt Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Horst Hahn das Gestaltungsprinzip der markanten Immobilie. Die Kosten für das neue Objekt – circa 15 Millionen Euro reine Baukosten – haben je zu einem Drittel das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Land Bremen sowie die EU übernommen.
„Liebe Kolleginnen und Kollegen", heißt es in einem Schreiben, das Fraunhofer MEVIS im Mai zum Umzug an den neuen Standort verschickte, „die Werkstatt der digitalen Medizin ist fertig und bekommt Leben eingehaucht! Seit dem 1. Mai lautet die Adresse von Fraunhofer MEVIS nun Max-von-Laue-Straße 2, 28359 Bremen. (...) Der Namensgeber unserer neuen Adresse, Max von Laue, ist einer der Pioniere der Forschung mit Röntgenstrahlung. Er hat die durch Wilhelm Conrad Röntgen entdeckte Strahlung benutzt, um Strukturen sichtbar zu machen, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen sind. Ein Jahrhundert später arbeiten auch wir bei Fraunhofer MEVIS daran, diesmal mit Verfahren wie künstlicher Intelligenz und Virtual Reality, wichtige Zusammenhänge 'jenseits des Auges' erfassbar und nutzbar zu machen. Zum Beispiel, um die Strahlenbelastung bei minimal-invasiven Verfahren zur Operation von Herzklappen für Patient und Arzt zu vermindern."
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Training für die Herzklappen-OP
Dass der Blick der Forscherinnen und Forscher bei MEVIS auf die Zukunft einer digitalisierten Medizin gerichtet ist, gleichwohl aber Projekten mit konkreten Anwendungsbezügen im Hier und Jetzt gilt, konnten die Gäste der virtuellen Eröffnung des Institutsneubaus live erleben. So wurde unter anderem demonstriert, wie aus 3D-Daten das digitale Modell eines schlagenden Herzens entsteht, mit dem eine Herzklappen-Operation vorab geplant, optimiert und trainiert werden kann.
Der künstlichen Intelligenz (KI) mit ihren lernfähigen Algorithmen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Mit ihrer Hilfe lassen sich die einzelnen Strukturen in den Bilddaten identifizieren, die Bewegung der Herzklappen blitzschnell analysieren und in das digitale Modell des realen, individuellen Herzens übertragen. Da sich der Vorgang nicht nur per VR-Brille, sondern auch auf dem Bildschirm beobachten lässt, können bei Bedarf auch externe Fachleute hinzugezogen werden.
„Herzklappen-OPs können sehr komplex sein, oft werden dabei verschiedene Maßnahmen miteinander kombiniert“, sagt MEVIS-Forscherin Anja Hennemuth, Professorin am Institut für kardiovaskuläre Computer-assistierte Medizin (ICM), einer Gemeinschaftseinrichtung der Charité und des Deutschen Herzzentrums Berlin. „Oft muss das Team dann während der OP viele schnelle Ad-hoc-Entscheidungen treffen.“ Um mögliche Fehler zu vermeiden und das Risiko für die Patienten zu minimieren, muss eine fundierte Planung des Eingriffs erfolgen.
Komplexe Vorgänge auch für Patienten und Patientinnen verständlich machen
Das neue Assistenzsystem soll aber nicht nur die Erfolgschancen erhöhen und Abläufe optimieren, sondern den Patienten in der Kommunikation mit den Beteiligten auch die Chance bieten, die komplizierten Zusammenhänge zu verstehen. Fraunhofer MEVIS und seine Partner gehen davon aus, dass das digitale Verfahren bereits in zwei bis drei Jahren in den ersten Kliniken zum Einsatz kommen und sowohl den Medizinern als auch den Patienten die Vorbereitung auf eine Herzklappen-OP erleichtern kann.
„Das Fokusthema künstliche Intelligenz ist ein gelungenes Beispiel für die synergetische Zusammenarbeit innerhalb des Bremer Wissenschaftskosmos.“
Prof. Dr.-Ing. Bernd Scholz-Reiter, Rektor der Universität Bremen, in seinem Grußwort zum ‚Open House‘ des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medizin MEVIS am 18. Juni 2021
Verbesserung der Nachkontrollen bei Tumorbehandlungen
Eine zentrale Rolle kommt der KI bei MEVIS auch in einem weiteren Arbeitsgebiet zu – der Entwicklung von verbesserten Methoden zur Nachkontrolle bei Tumorbehandlungen: Durch einen Vorher-Nachher-Vergleich von zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommenen CT-oder MRT-Bildern soll ein Algorithmus beispielsweise präzise vermessen, inwieweit ein Tumor im Zuge einer Chemotherapie geschrumpft ist („Registrierung“). Die Forscherinnen und Forscher wollen damit Möglichkeiten eröffnen, Nachkontrollen bei Tumorbehandlungen zu automatisieren und damit schneller und genauer zu realisieren.
Als erstes möchte sich das Fraunhofer MEVIS-Team auf Lunge und Leber konzentrieren, zwei für die Onkologie besonders relevante Organe. Langfristig aber soll der KI-Algorithmus in der Lage sein, Metastasen im ganzen Körper zuverlässig aufzuspüren und präzise zu vermessen. Zusätzlich will die Arbeitsgruppe versuchen, neben dem Tumorvolumen noch weitere Parameter aus der Analyse zu gewinnen, etwa zur Zusammensetzung des Tumorgewebes, um zusätzliche Informationen über die Wirkung der Therapie zu erhalten. Ein erster Prototyp soll in einem Jahr fertig sein.
„Da unser System eine genauere Vermessung der Tumore ermöglicht, ließen sich die Termine für die Nachkontrollen in Zukunft womöglich vorziehen. Man könnte sie vielleicht schon nach einem Monat nach Therapiebeginn machen und nicht erst wie heute üblich nach drei Monaten. Der Vorteil: Spricht ein Medikament nicht wie erhofft an, ließe sich früher als heute zu einem anderen, womöglich vielversprechenderen Wirkstoff wechseln“, sagt Jan Hendrik Moltz vom Fraunhofer MEVIS.
Kollaborativer KI-Werkzeugkasten
Künstliche Intelligenz (KI, oder engl. AI – Artificial Intelligence) hat das Potenzial, das Leben, die Forschung, die Ökonomie und das Arbeiten in unserer Gesellschaft grundlegend zu verändern. Die umfassenden Anwendungsbereiche und die faszinierende Kraft ihrer Wirkungen täuschen jedoch nicht selten darüber hinweg, wie kompliziert und aufwändig es sein kann, selbstlernende Algorithmen zu entwickeln und eine KI damit für spezifische Aufgabenstellungen zu trainieren.
Bei Fraunhofer MEVIS entwickelt die Forschungsgruppe „Collaborative AI in Healthcare“ einen Werkzeugkasten, die alle wesentlichen Schritte integriert und so die Zusammenarbeit von Programmierern und Medizinern erleichtert. Für den Einsatz in Kliniken und Praxen versprechen sie sich lernfähige Algorithmen, mit denen beispielsweise digitale Diagnoseassistenten zeitraubende Routinearbeiten übernehmen oder bei der Planung einer Therapie wertvolle Hinweise auf deren Erfolgsaussichten liefern können. Diverse Programmierwerkzeuge dafür gibt es zwar schon, aber sie greifen noch nicht so gut ineinander, sagen beteiligte Experten bei Fraunhofer MEVIS. „Unsere Plattform soll alles in einem System zusammenführen“, erläutert MEVIS-Informatiker Hans Meine. „Alle Beteiligten können sich in diese Plattform einloggen und dort sämtliche Arbeitsschritte ausführen.“
Aussicht auf engere Zusammenarbeit unter verschiedenen Kliniken
Verschiedene Kliniken arbeiten mit unterschiedlichen Gerätschaften und Bildaufnahme-Protokollen. Damit ein Algorithmus klinikübergreifend funktioniert, sollte er mit den Daten aus möglichst vielen Krankenhäusern trainiert werden. Allerdings setzen geltende Datenschutzbestimmungen auch der Weitergabe von sensiblen medizinischen Daten Grenzen. „Deshalb arbeiten wir daran, wie man einen Algorithmus mit den Daten aus verschiedenen Krankenhäusern trainieren kann, ohne dass diese Daten die Kliniken verlassen müssen“, erklärt Projektbeteiligte Bianca Lassen-Schmidt von Fraunhofer MEVIS.
„Die Einzelkomponenten für unsere KI-Plattform haben wir bei Fraunhofer MEVIS im Großen und Ganzen bereits entwickelt“, sagt Hans Meine. „Jetzt sind wir dabei, sie zu einem Gesamtpaket zu schnüren, das wir dann gemeinsam mit unseren Partnern erproben können, etwa um klinische Studien durchzuführen.“ Die kollaborative Plattform könnte langfristig sogar zu einer engeren inhaltlichen Zusammenarbeit verschiedener Kliniken beitragen, hofft man bei MEVIS. „Für die medizinische Forschung“, glaubt Bianca Lassen-Schmidt, „könnte das einen großen Effekt haben.“
Für die digitale Gesundheitsversorgung und die dafür benötigten MINT-Fächer begeistern
Fraunhofer MEVIS öffnet seine Forschungen und Entwicklungen und integriert dabei auch die Künste und Geisteswissenschaften. Seit rund zehn Jahren kooperiert es mit diversen Science-Centern, stellt Exponate und – teils spektakuläre und künstlerisch anspruchsvolle – (3D-)Filme aus, unter anderem in Berlin, Coventry, Linz, Los Angeles, Tokio und Singapur, und erhielt internationale Auszeichnungen. Aus der Partnerschaft zum Schulzentrum Walle in Bremen sind bereits originelle und mutige Ansätze erwachsen wie bspw. Forscher:innen, Schüler:innen und Künstler:innen zusammenzubringen, um die Grenzen einzelner Disziplinen zu überwinden, flexible Formen des Lernens und der Zusammenarbeit zu entdecken und Fähigkeiten zu vermitteln, selbstbestimmt mit neuen Technologien zu arbeiten.
Eine Ermutigung, diesen Weg fortzusetzen, spendierte Uni-Rektor Scholz-Reiter allen Engagierten des Fraunhofer MEVIS bei der Präsentation des Instituts-Neubaus am 18. Juni: „Die Vernetzung der Akteure birgt eine Potenzierung der Forschungserfolge. Die Öffnung der Forschung und Entwicklung für die Gesellschaft impliziert einen verantwortungsvollen Umgang mit fachbezogenem Wissen. Das Fraunhofer MEVIS regt in der Öffentlichkeit einen kritischen Dialog über neue Technologien in der digitalen Medizin an und schafft mit dieser wertvollen Transferleistung Verständnis und Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft.“
Erfolgsgeschichten
Prof. Dr. Karen Struve ist Professorin für Frankoromanistik an der Universität Bremen. In ihrem Forschungsfeld beschäftigt sie sich unter anderem mit postkolonialen Literatur- und Kulturtheorien sowie mit den Narrativen der Angst und der weltweiten Anxiety Culture. Was Karen Struve an ihrer Arbeit besonders begeistert, verrät sie bei „Wissenschaft persönlich".
Mehr erfahrenVor seiner Pensionierung war er wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Interkulturelle und Internationale Studien sowie Leiter des Arbeitsbereich Wahlen und Parteien am Institut für Politikwissenschaft. Heute engagiert er sich beim Hannah Arendt Institut für politisches Denken und führt außerdem seine Forschung im Bereich "Regieren und Politik in Bremen" fort.
zum PorträtMit dem Einzug des Fachbereichs für Rechtswissenschaften und weiterer Institute der Universität Bremen in das ehemalige Gebäude der NordLB am Domshof entsteht ein lebendiger Ort im Zentrum der Stadt, der maßgeblich zur Entwicklung der Bremer City beiträgt. Tradition und Moderne verschmelzen in einer spannenden Architektur, die nicht nur Studierende begeistert.
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