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20.3.2023 - Jann Raveling

Mit einem Sozialunternehmen nach dem Studium starten – wie kann das klappen?

Wissenschaft

Social Entrepreneurship an den Bremer Hochschulen

Uni Bremen
An der Universität Bremen bieten sich viele Chancen für sozial engagierte Gründer:innen © WFB/Rathke

Im oder direkt nach dem Studium ein Sozialunternehmen gründen – das gelingt in Bremen dank vielfältiger Angebote. Tipps und Tricks zum Gründen sowie ein Blick auf die Wissenschaft.

Die Motivation für viele angehende Gründerinnen und Gründer sind Missstände in der Welt – „und damit die Überlegung: Wie können wir daran etwas verändern? An diesem Punkt starten viele Geschäftsideen“, erklärt Dr. Jan Harima von der Universität Bremen, der das Arbeitsgebiet Entrepreneurship leitet. Regelmäßig sitzen in seinen Kursen junge Studierende, die selbst einmal gründen wollen, einige von ihnen auch im Bereich der nachhaltigen Wirtschaft.

Für sie hat er einige Tipps parat:

Tipp 1: Das Problem der Kundschaft in den Fokus stellen

„Eine der wichtigsten Lektionen, die ich zu vermitteln versuche, ist es, vom Problem potenzieller Kunden her zu denken. Viele kommen gleich mit der Lösung an, haben aber noch nicht verstanden, was der Kunde oder die Kundin eigentlich will oder braucht“, erklärt der Forscher, der früher auch schon selbst gegründet hat.

Tipp 2: Nicht direkt die ganze Welt retten wollen

Angehenden Sozialunternehmer:innen rät er dabei, aufs Wesentliche konzentriert zu bleiben. „Viele Gründer:innen machen den Fehler, dass sie sich zu sehr auf komplexe gesellschaftliche Probleme konzentrieren und darüber das Geschäft vergessen. Im Zentrum sollte aber gerade zu Beginn immer die Kundschaft und das auf sie zugeschnittene Produkt stehen, nicht ein allgemeiner oder breit gefasster sozialer Zweck. Sonst wäre es kein Unternehmen, sondern ein gemeinnütziger Verein.“ Ein Fehler, den auch andere Start-ups gerne machen – etwa Tech-Unternehmen, die detailverliebt ihr Produkt an der Kundschaft vorbei entwickeln.

Jan Harima
Dr. Jan Harima, Leiter des Arbeitsgebiets Entrepreneurship © Harima

Social Entrepreneurship an den Bremer Hochschulen

Die Bremer Hochschullandschaft unterstützt dabei junge Gründungsideen auf vielfältigen Wegen:

Universität Bremen

An der Universität bieten sich mehrere Möglichkeiten für Gründende, sich näher mit dem Thema Social Entrepreneurship zu beschäftigen. Eine etwa am Lehrstuhl für Mittelstand, Existenzgründung und Entrepreneurship. Dieser führt jedes Jahr mehrere Lehrveranstaltungen für Bachelor- und Masterstudierende durch, die auch für sozial engagierte Studierende hilfreich sind.

„Auch bei Sozialunternehmen geht es um die unternehmerische Entwicklung eines Geschäftsmodells, da sind die Voraussetzungen zur herkömmlichen Wirtschaft kaum anders. Nur die Motivation und der Geschäftszweck ändern sich“, so Jan Harima weiter.

Was sich so einfach sagt, ist natürlich eine riesige Herausforderung. Wer mit sozialen Innovationen sein Geld verdienen will, habe einen anstrengenden, aber auch potentiell sehr bereichernden Weg vor sich, so Harima. In Zusammenarbeit mit dem Bremer Sozialunternehmen „Hilfswerft“ veranstaltet der Lehrstuhl regelmäßig deshalb sogenannte Social Entrepreneurship Camps, bei denen Interessierte innerhalb von wenigen Tagen von der ersten Idee bis zum Geschäftsmodell an ihrer Gründung arbeiten.

Hochschule Bremen

Auch an der Hochschule Bremen gibt es Gründungsunterstützung und auch die Möglichkeit, sich mit Social Entrepreneurship zu befassen. Das Projekt „FreiRAUM@HSB“ schafft eine Anlaufstelle für alle Gründungsinteressierten, während die Hochschule Bremen (wie auch die weiteren Bremer Hochschulen) Teil des Hochschulnetzwerks BRIDGE sind, das sich seit 20 Jahren um Existenzgründung aus der Wissenschaft kümmert.

„Oft ist es so, dass wir Teams begleiten, die mit einer Idee kommen und gar nicht primär darüber nachdenken, ob sie zum Beispiel im Bereich des Sozialunternehmer:innentums ‚unterwegs‘ sind. Wir schauen dann mit ihnen ebenso wie mit anderen Teams auch auf ihre Geschäftsmodelle, eruieren Finanzierungsmöglichkeiten, sprechen mit ihnen über ihren Unique Selling Point und geben Tipps“, sagt Dr. Katrin Oellerich vom Transfer und Gründungsservice - FreiRAUM@HSB, die ebenfalls eigene Gründungserfahrung mitbringt.

Darüber hinaus gebe es aber auch dezidierte Angebote. So fanden 2022 interdisziplinäre Start-up-Wochenenden statt, bei denen der Fokus auf den Themen „Herausforderungen und Probleme in den Bereichen Pflege und Gesundheit“ lag: „Die sehr diversen und interdisziplinären Teilnehmendengruppen entwickelten spannende Lösungsansätze und davon sind viele im Bereich des Sozialunternehmer:innentums“, so Oellerich weiter.

2023 startet zudem der Masterstudiengang „Sustainable Business & Entrepreneurship“, der unter anderem auch soziale Nachhaltigkeit thematisiert. Und auch in den Studiengängen der Wirtschaftswissenschaften und der Sozialen Arbeit sind die Themen „Social Innovation“ beziehungsweise „Innovationen in der sozialen Arbeit“ zu finden. Außerdem befände sich derzeit eine neue Professur „BWL, insbesondere Social Entrepreneurship und Unternehmensgründung“ in der Besetzung, so Oellerich.

Dr. Katrin Oellerich Transfer und Gründungsservice - FreiRAUM@HSB
Dr. Katrin Oellerich, Transfer und Gründungsservice - FreiRAUM@HSB © Thomas Ferstl, HSB

Hochschule Bremerhaven

Wenn es ums Gründen geht, kann auch Céline Rohlfsen aus dem Vollen schöpfen. Die Teamcoachin im Studiengang „Gründung, Innovation und Führung“ (GIF) an der Hochschule Bremerhaven hat auch selbst gegründet: Mit „Simply Impact“ hilft sie Nachwuchskräften dabei, mehr Nachhaltigkeit in ihren Karriereweg zu integrieren.

In Bremerhaven begleitet der GIF-Studiengang Studierende beim Gründungsprozess und der Umsetzung eigener Projekte. Der Studiengang richtet sich dabei an alle Branchen und Handlungsfelder, nicht explizit an Sozialunternehmen.

„Aber wir merken, dass immer mehr praktische Unternehmungen im Studiengang nachhaltige Komponenten auf unterschiedlichen Ebenen beinhalten“, sagt Teamcoachin Céline Rohlfsen. Sei es, sich zum Beispiel dafür einzusetzen, Ernährungsworkshops an Schulen in „schwierigen Stadtteilen“ zu konzipieren, oder Weihnachtsdeko nur aus recycelten Materialien zu erbauen und zu verkaufen. Nachhaltige Konzepte würden von Studierenden sowie Dozierenden immer mehr in den Fokus gerückt und als Kern von zukunftsfähigem Wirtschaften verstanden.

Darüber hinaus ist Nachhaltigkeit eine der wichtigsten Säulen der Hochschulstrategie und findet auch in den einzelnen Studiengängen immer mehr Platz. „Zum einen werden aktuelle Curricula überarbeitet und angepasst, zum anderen entstehen Studiengänge, wie zum Beispiel soziale Arbeit, gerade neu bei uns an der HS Bremerhaven. Das bewerte ich als gute Grundlage für nachhaltigere Berufsfelder in der Zukunft“, meint Rohlfsen.

Hochschule Bremen
Einer der zahlreichen Standorte der Hochschule Bremen © WFB/Lehmkühler

Soziales Unternehmertum auch aus Forschungsperspektive interessant

Neben Unterstützung bei der Gründung eines eigenen Sozialunternehmens ist für die Hochschulen das Thema aber auch aus Forschungsperspektive interessant.

„Besonders die Frage nach dem Wachstum von Sozialunternehmen ist derzeit von hohem Interesse“, erklärt Jan Harima von der Uni Bremen. Wie können junge Sozialunternehmen erfolgreich skalieren, den Sprung vom Start-up zu einer national oder international agierenden Firma schaffen? „Nicht jedes Unternehmen muss wachsen. Jedoch sollte Wachstum nach erfolgreicher Etablierung auch im Bereich des Social Entrepreneurship ein wichtiger Anspruch sein. Denn ein Unternehmen mit hundert Mitarbeitenden kann bestimmte soziale Probleme auf einer ganz anderen Ebene angehen als ein kleiner Zwei-Mann-Betrieb.“

Ein zweites Thema, mit dem sich die Forschung intensiv beschäftige, seien Gründungsökosysteme. Erschaffen Social Entrepreneur:innen ihr eigenes Gründungssystem oder sind sie viel mehr im herkömmlichen Gründungsumfeld ihres Standorts verortet – und welche Dynamik braucht es, damit sich eine Gründungsatmosphäre entwickle?

Auch die Hochschule Bremen engagiert sich in ähnlichen Fragen: „Zum Beispiel sind Praxisforschung zu Innovationen in der sozialen Arbeit ein Thema an der Hochschule. Also die Frage, welche Herausforderungen in diesem Bereich gerade bestehen und wie diesen u.a. mit Sozialunternehmer:innentum begegnet werden kann“, so Oellerich von der Hochschule.

Für Céline Rohlfsen von der Hochschule Bremerhaven liegen wichtige Zukunftsthemen darin, die Grenzen zwischen sozialem und klassischem Wirtschaften aufzulösen: „Keine Trennung mehr zwischen 'bisherigem' und 'nachhaltigem' Wirtschaften! Für mich sind Unternehmungen nur noch zukunftsfähig, wenn sie soziales Verständnis und Nachhaltigkeit in ihrer DNA integriert haben und dabei wirtschaftlich profitabel handeln. In einer ausbalancierten sowie langfristig ressourcenbeachtenden Art und Weise“, erklärt die Gründerin.

Celine Rohlfsen
Céline Rohlfsen, Teamcoachin an der Hochschule Bremerhaven © Marike Elwers

Bremen baut auf Sozialunternehmen-Ökosystem

Einig sind sich die drei Expert:innen auch darin, dass das Interesse am sozial verantwortlichen Wirtschaften groß sei. „Insgesamt wird der Wunsch größer, die Welt zu einem besseren Ort zu machen“, ist Oellerich überzeugt.

Das gelte insbesondere für den Standort Bremen. „Bremen ist gut aufgestellt, mit vielen Akteurinnen und Akteuren wie der Hilfswerft, das Social Impact Lab oder das Starthaus Bremen als Anlaufstelle für Gründende“, so Jan Harima. „Was es noch braucht, sind richtige Leuchttürme. Unternehmen, die erfolgreich gewachsen sind und als Vorbilder für andere dienen.“

Auch Céline Rohlfsen von der Hochschule sieht diese Entwicklung. „Was es oft braucht, ist eine gute Mischung von vermeintlich ‚konträren Denkweisen. Eine gute Kombination von nachhaltiger und sozialer Vision und Mission, umgesetzt auf einer stabilen Basis von Wirtschaftlichkeit unter Einbezug dessen, dass wir auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen leben.“

Auch aus diesem Grund setzt die WFB etwa darauf, klassische Unternehmen und jene aus der nachhaltigen Wirtschaft zusammenzubringen, mit dem Ziel, gemeinsam neue Ansätze für Geschäftsmodelle oder Kooperationen zu finden. In mehreren Workshops wurden bereits erste Potenziale ausgelotet.

Zuletzt wünscht sich Karin Oellerich mehr Raum für Experimente: „Wichtig für die nächste Zeit ist, dass Geld in Form von Förderprogrammen zur Verfügung gestellt wird, mit dem Ausprobierräume geschaffen werden können, denn die Projekte in diesem Sektor brauchen oft Vorlauf bis eine kontinuierliche Finanzierung und/oder eine Etablierung auf dem Markt besteht.“

Für Gründerinnen und Gründer aus den Hochschulen, aber auch aus anderen Bereichen ist das Starthaus Bremen die zentrale Anlaufstelle. Neben eigenen Programmen, die speziell auf die Bedürfnisse von Social Entrepreneurship-Gründenden zugeschnitten sind, beraten die Starthelfer:innen bei individuellen Fragestellungen und bieten Zugang zu verschiedenen Förderprogrammen.

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