Wie Studierende digitale Strategien für den Bremer Einzelhandel entwickeln
Digitalisierung / Industrie 4.0Gemeinsam mit Studierenden das Onlinemarketing optimieren
Oft fehlt in kleineren Unternehmen das Wissen oder schlicht die zeitliche und personelle Kapazität, sich über das Tagesgeschäft hinaus dem Thema Onlinemarketing zu widmen. Dabei ist genau das in der Pandemie-Situation wichtig: Digitales Marketing bietet Unternehmen die Möglichkeit, die eigene Kundschaft gezielt anzusprechen – auch im Corona-Lockdown.
Unterstützung erhielten vier Bremer Unternehmen aus Einzelhandel, Gastronomie und Tourismus im Wintersemester 2020/21 von Master-Studierenden der Universität Bremen: Beim Projekt „Digital Retail Consulting for Bremen“, einem Praxismodul innerhalb des Masterprogramms Betriebswirtschaftslehre, schlüpfen Studierende aus den Studienschwerpunkten Marketing und Entrepreneurship in die Rolle von Berater:innen. Ob es um den Aufbau eines Onlineshops geht, die zielgruppengerechte Kommunikation auf Social Media oder die Suchmaschinenoptimierung der Webseite. Die Studierenden bringen das in der Theorie erlernte Wissen ein und entwickeln gemeinsam mit Unternehmensvertreter:innen digitale Strategien, die den Einzelhandel nachhaltig stärken sollen. Das Projekt entstand aus einer Kooperation zwischen dem markstones Institute of Marketing, Branding & Technology der Universität Bremen und den Digitallotsen der WFB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH.
Pilotphase startet mit vier Bremer Unternehmen
Nach persönlicher Ansprache möglicher Praxispartner:innen und einem Teilnahmeaufruf über die Stadtteilinitiativen beteiligten sich an der ersten Projektrunde drei Bremer Einzelhändler:innen und ein Gastronom. Darunter das Unternehmen Bauhof Wohnimpuls, das individuelle Räume mit dem Einsatz ökologisch nachhaltiger Materialien plant und gestaltet. Mit dabei waren auch der Naturkosmetikanbieter NaturWerk aus der Bremer Neustadt und die Kaffeetante mit mobiler Kaffeebar und Ladengeschäft im Stadtteil Vegesack. „Spannende Unternehmen, die auch sehr unterschiedlich sind“, findet Professor Maik Eisenbeiß, der am markstones Institut die Arbeitsgruppe Digitales Marketing leitet.
Von Seiten der Händler:innen war eine gute Portion Mut gefragt – denn die Teilnahme am Projekt bedeutete auch, die entsprechende Vorarbeit zu leisten, Schwächen im eigenen digitalen Bereich zu identifizieren und für die gemeinsame Entwicklung mit den Studierenden-Teams offen zu sein. „Am Anfang war es schwierig zu erklären, welches Know-how die Studierenden mitbringen“, erinnert sich Malte Breford, Digitallotse bei der WFB . „Gemeinsam mit den interessierten Unternehmen wurden die Bedarfe dann auf ein Thema konkretisiert und der Erwartungshorizont abgesteckt, also was die Studierenden leisten können und was eben auch gerade nicht.“ Als einer von inzwischen drei Digitallotsen in Bremen berät er insbesondere kleinere, oft inhaber:innengeführte Unternehmen, zeigt digitale Möglichkeiten auf und gibt Denkanstöße – sobald es jedoch an die Umsetzung geht, gibt er den Staffelstab an andere weiter:
„Der Bedarf an tiefgehender Begleitung in einzelnen Bereichen und auch an konkreter Umsetzung bei den Unternehmen ist groß, wir Digitallotsen dürfen aber aus Haftungsgründen keine Maßnahmen für die Unternehmen umsetzen – deshalb kam uns die Idee einer Kooperation in Form eines Praxismoduls mit dem markstones Institut“, erzählt der Digitallotse. Eine klassische Win-win-Situation also. Vom doppelten Gewinn des Projekts spricht auch Professor Eisenbeiß. „Wir von Seiten der Uni versuchen die Studierenden und die Problemstellungen der Händler:innen zusammenzubringen, um kompetente Lösungen für akute Probleme zu entwickeln. Die Studierenden können somit handfeste, echte Marketingprobleme lösen“, erklärt Eisenbeiß die Idee hinter dem Projekt. Eine Kooperation mit den Digitallotsen bot sich hierfür an: „Die Digitallotsen haben das entsprechende Netzwerk – wir sind nur die Mittler“, so der Marketingprofessor.
Mit Zielgruppen- und Markentrichteranalysen das Onlinemarketing optimieren
Die Projektarbeit startete bei den meisten Gruppen mit einer Zielgruppenanalyse. Wer ist die Zielgruppe des Unternehmens und wie lässt sich diese am besten ansprechen? Und: Inwieweit überschneidet sich die Zielgruppe mit der bereits bestehenden Kundschaft? Mithilfe von zumeist online durchgeführten Befragungen war von den Studierenden zugleich praktischer Einsatz und theoretisches Wissen in der Datenanalyse gefragt. Für die Projektarbeit der Gruppen zeigte auch ein bekanntes Konzept des Markenmanagements hohe Relevanz: der Markentrichter. Eine trichterhafte Darstellung analysiert, an welcher Stelle potenzielle Kund:innen „verloren“ gehen – fehlt es einem Unternehmen schlicht an Bekanntheit? Oder ist das Unternehmen bei der Zielgruppe zwar bekannt, letztendlich entscheiden sich Kund:innen aber für die Konkurrenz? Kennt ein Unternehmen den eigenen Markentrichter, kann es (digitale) Maßnahmen gezielt an der richtigen Stelle einsetzen.
Im Fall der Projektteilnehmenden fiel das Ergebnis meist eindeutig aus: Der oder die Praxispartner:in erreicht potenzielle Kund:innen nicht, weil diese das Unternehmen bisher schlicht nicht kennen. Das lässt sich ändern – zum Beispiel durch den Einsatz digitaler Werbeanzeigen oder Influencer-Marketing. Eine der Gruppen erreichte beispielsweise für ihren Praxispartner innerhalb von einer Woche 25.827 Personen durch eine Anzeige auf Facebook – und das mit einem begrenzten Budget von 50 Euro.
In erster Linie ging es aber darum, basierend auf der Zielgruppen- sowie Markentrichteranalyse eine grundlegende Strategie mit dem jeweiligen Unternehmen zu entwickeln. Insbesondere im Bereich Social Media fanden dabei der Bedarf der Praxispartner:innen und die Expertise der Studierenden gut zusammen. „Insgesamt bin ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden und habe einiges über Social Media, vor allem Instagram, dazu gelernt“, resümiert NaturWerk-Inhaberin Yvonne Berends. „Es war für mich ein interessantes Projekt, an dem ich immer wieder teilnehmen würde.“
Social Media, SEO, Content Marketing, digitale Banneranzeigen, … ?
Unterschieden wird zwischen bezahlten Medien, beispielsweise Bannerwerbung oder Anzeigen in Suchmaschinen (SEA), unternehmenseigenen Medien, etwa der eigenen Webseite oder Facebookseite, und verdienten Medien, das können zum Beispiel online Rezensionen oder Kund:innenkommentare auf Social Media sein. Je nach Maßnahme fallen die für den Unternehmenserfolg relevanten Faktoren verschieden aus: Während die Kontrolle über eigene und bezahlte Maßnahmen höher ist als bei Inhalten von Nutzer:innen etwa auf Social Media, sind es besonders die Meinungen anderer Kundinnen und Kunden, die Vertrauen in eine Marke (ein bestimmtes Produkt oder auch das Unternehmen selbst) wecken. Darüber hinaus liefern sie dem Unternehmen wertvolles Feedback zur Zufriedenheit und den Bedürfnissen der Kundschaft.
„Typisch an unserer Arbeit ist, dass sich die Unternehmen häufig nicht klar darüber sind, welche Maßnahme nun die am schnellsten umsetzbarste, effektivste und gewinnbringendste ist. Insofern war es eine Aufgabe der Studierenden, den gesamten Blumenstrauß an Wünschen zu sortieren, den Status quo des Unternehmens zu analysieren, und daraus die nächsten Schritte abzuleiten“, erklärt Digitallotse Breford. Neu ist, dass das Projekt gezielt auf die Zusammenarbeit mit kleineren Unternehmen setzt: Praxismodule sind bei den Studierenden beliebt, jedoch entstehen diese oft aus Kooperationen mit großen, teils international tätigen Firmen. „In meinem persönlichen beruflichen Werdegang habe ich die Erfahrung gemacht, dass BWL- und Marketingstudierende der Uni in der Regel eher im Studium den Fokus auf große Unternehmen legen. Mit kleinen und Kleinstunternehmen, insbesondere aus der Branche Einzelhandel, haben die Studierenden kaum bis keine Berührungspunkte“, berichtet Breford.
Neben Praxiserfahrung für die Studierenden steht die Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen im Mittelpunkt. „Schon seit Langem hegen wir den Wunsch, für den Einzelhandel in Bremen etwas zu tun. Das Projekt bietet nicht nur ein Zusammenkommen aus Praxispartner:innen und Studierenden, sondern setzt direkt vor Ort an“, sagt Eisenbeiß. Auch Professorin Kristina Klein, Leiterin der Arbeitsgruppe Konsumentenverhalten am markstones Institut, gefällt, „dass wir etwas für die Umgebung tun, in der wir arbeiten.“
Fazit: Fortsetzung folgt
Digitallotse Breford und die Professoren Klein und Eisenbeiß sind sich einig: Die Pilotphase des Projekts war erfolgreich. „Bei der Kommunikation zwischen Unternehmen und Studierenden-Teams mussten wir hier und da unterstützen. Aber es hat insgesamt tatsächlich alles gut, nahezu optimal funktioniert“, bilanziert Breford. „Aus Sicht des Digitallotsen-Projekts standen die Einzelhändler:innen im Mittelpunkt, da wir natürlich eine konstruktive und hilfreiche Zusammenarbeit mit einem deutlichen Mehrwert für die Unternehmen erreichen wollten.“ Professorin Klein sieht das ähnlich: „Lehrprojekte mit Partner:innen aus dem bremischen Umfeld sind auch deshalb total schön, weil man den Studierenden eine andere Perspektive vermitteln kann – dass die Tools und theoretischen Grundlagen, die wir in der Uni vermitteln, auch in der Praxis angewandt werden und wirklich helfen können.“
Gemeinsam digitale Strategien (weiter-)entwickeln und neue Perspektiven einnehmen – auch Andrea Lühmann, Marketingbeauftragte beim Bauhof Wohnimpuls, nahm die Zusammenarbeit mit den Studierenden positiv wahr. „Wir haben das Projekt als ein durchdachtes und positives Begleiten, Ermutigen und Mitmachen empfunden. Wichtige Impulse und Feedbacks sind geflossen – der Blick von außen war dafür sehr wichtig. Danke!“, sagt sie.
Dass es nicht bei der Pilotphase bleiben wird, steht also fest. Für das Wintersemester 2021/22 ist bereits eine Fortsetzung des Projekts in Planung. In der Zwischenzeit geht es an die detaillierte Auswertung – dabei helfen Feedback-Workshops mit den Unternehmen und die Rückmeldung der Studierenden. „Für die Zukunft ist es wichtig, im Vorfeld noch klarer zu definieren, wobei es in diesem Projekt geht, was von den Unternehmen erwartet wird und die Timelines und Ziele genauer festzulegen“, sagt Eisenbeiß. Spannend bleibt, welche Unternehmen bei der zweiten Runde dabei sein werden.
Ihr Unternehmen ist an einer Teilnahme bei der zweiten Projektrunde interessiert? Melden Sie sich mit Ihrem Bedarf bei den Digitallotsen unter digital-lotsen@wfb-bremen.de.
Erfolgsgeschichten
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